“Stadt der Ertrinkenden” zählt zu den Büchern, die von einem etwas zu großen Autorenbild auf der Umschlaginnenseite überschattet werden. Ben Atkins fällt dabei nicht nur durch seine an Justin Bieber gemahnende Frisur auf, sondern vor allem dadurch, dass das Original”‘Drowning City” veröffentlicht wurde, als Atkins gerade mal zwanzig Jahre alt war. Das war 2014, fünf Jahre, nachdem er mit dem Schreiben des Romans begonnen hatte. Doch obwohl das Buch auf dem Cover als Kriminalroman bezeichnet wird, liest sich der zweizeilige Klappentext eher als Kommentar zu schlechtem Schulklima: »Lebe nach den Regeln, und du wirst für den Rest deines Lebens ein Opfer sein.« – oder fällt man mit dieser Leseweise auf die eigenen Vorurteile rein?
Versucht man, alleine den Text auf sich wirken zu lassen, ist “Stadt der Ertrinkenden” ein handwerklich ausgefeilter Krimi, der vor allem durch einen sauber konstruierten Spannungsbogen und bekannte, aber faszinierende Settings aufwarten kann. Die Grundkonstellation ist denkbar traditionell: Zum Ende der Prohibitionszeit kehrt Fontana von einer Geschäftsreise nach Europa in eine unbekannte Stadt zurück und findet ein Chaos vor: Luca, mit dem er das größte Alkohol-Vertriebsnetz der Stadt leitet, verschwindet, kurz nachdem er Fontana einen ominösen Auftrag gibt. Anschließend wird ihm von seinem einflussreichsten Kunden mitgeteilt, dass eine wichtige Lieferung nicht angekommen ist. Fontana, der äußerlich stille, aber ziemlich gedankenreiche Ich-Erzähler, geht dem Verschwinden auf den Grund und entdeckt eine Verschwörung, in deren Verstrickung ihm gleich mehrere Parteien an den Kragen wollen.
Soweit, so stereotyp. Besonders ist, dass Atkins an diesem simplen Gerüst komplexe und immer wieder überraschende Handlungsstränge aufbaut, ohne, dass der Erzählfluss sich verliert – und das, obwohl Fontana gelegentlich zu philosophierenden Reflexionen neigt und zahlreiche Figuren mit vielfältigen Motiven auftreten. Diese sind zwar oft ein bisschen überzeichnet, aber trotzdem glaubwürdig. Nur Fontanas Gedankenspiele stören zuweilen in ihrem Pathos – aber hier darf der Altersbonus dann doch greifen: Gerade die reflektierenden Phasen zeichnen auch ein Coming-of-Age nach, mitsamt ewigen Freundschaftsschwüren in der Dämmerung und der Flucht des Liebespärchens über den Atlantik. Gerade jüngeren Leser*innen kann damit auch die Lust am Kriminalroman nahe gebracht werden; umgekehrt wird den Krimileser*innen natürlich die Pubertät ins Gedächtnis gerufen – inklusive der Augen-zu-und-durch-Momente.
Obwohl Zeit und Ort – das Amerika der Großen Depression – es nahelegen, ist es ein wenig unbefriedigend, “Stadt der Ertrinkenden” als Parabel auf den Kapitalismus zu lesen. Die immer wieder aufscheinende Wirtschaftskrise und politische Kompensationsbewegungen von extrem rechter und extrem linker Seite bieten keine neue Betrachtungsweise, sondern nur eine etwas unschöne Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus, die gegenüber dem kriselnden Kapitalismus das größere Übel bilden sollen. Dass alle Ideologien gleichwertig schlecht seien, ist allerdings auch ein Gemeinplatz, der ignoriert werden kann. Übrig bleibt ein nettes, unterhaltsames Büchlein, das in beeindruckender Routiniertheit alle Altersklassen bedient, aber auch etwas gesichtslos bleibt. Bleibt nur zu hoffen, dass es sein Publikum findet, denn neben dem Autoren haben auch der Polar-Verlag und die Übersetzer Laudan & Szelinski sehr solide Arbeit geliefert. Nur das Autorenportrait, das könnte etwas kleiner sein.
Cover © Polar-Verlag
- Autor: Ben Atkins
- Titel: Stadt der Ertrinkenden
- Originaltitel: Drowning City
- Übersetzer: Laudan & Szelinski
- Verlag: Polar-Verlag
- Erschienen: 02/2015
- Einband: Klappbroschur
- Seiten: 280
- ISBN: 978-3-945133-10-1
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 10/15 dpt
1 Kommentar