Liebe Leser, nach den Verirrungen Ihres werten Kolumnisten in die Abgründe elektronisch verzerrter und ohrenbetäubender Geisteskrankenmusik hat sich ebenjener dazu entschlossen, Sie heuer wieder mit richtiger Musik zu verwöhnen. Im Regalladen um die Ecke entdeckte ich ein Schmuckstück, welches mir nun sanft die Ohrmuscheln massiert. Die Verkäuferin quittierte ihren Blick auf die von mir gewählte Ware mit den Worten »Ja das ist ja mal was ganz anderes.« Ob sich dieses Statement bloß auf die von mir gewählte Schallplatte, die heutzutage vermutlich keine Sau mehr hört, bezieht, oder darauf, dass sie den auserkorenen Akustiksprengstoff einem Kerl wie mir mit seiner mohammedkarikierenden Unrasiertheit nicht zugetraut hätte, lässt sich schwer sagen. Als ich sie auf mein journalistisches Anliegen hinwies, sagte sie nur mit mitleidigem Blick »Ach, müssen Sie sich die jetzt auch anhören?«
Die Moosacher aus München feiern 20-jähriges Dienstjubiläum und belohnen sich und ihre Anhänger mit dieser Scheibe, die einen Querschnitt aus 20 Oktoberfesten und etlichen Faschingsgaudis von 1952 bis 1972 bietet. Die harten Trümmerzeiten der Nachkriegsära neigten sich ihrem Ende zu und die nächste Bedrohung stand direkt vor den Toren Deutschlands: Der Rock und auch der Roll verführten die nachkommende Generation, die leider keine Charakterbildung durch einen ordentlich Krieg erlebt hatte, zu Halbstarkentum und kopulierenden Tanzschritten. Dem Herrgott sei’s gedankt, dass es noch ordentliche Musikanten gab, die der amerikanischen Kulturrevolution etwas entgegenzusetzen hatten. Die Moosacher benutzten ihre Gitarren zum Musizieren, anstatt sie aus berechnendem Pazifismus anzuzünden und bieten ziemlich ziemliche Unterhaltung, die die ganze Familie näher beisammen rücken lässt.
Der akustischen Bedrohung aus den Staaten begegnen sie mit ihrer bajuwar-kultivierten Art, und dennoch reicht es ihnen nicht, das Barbarentum mit der Präsentation der Überlegenheit deutschen Kulturguts zu bekämpfen. Nein, sie legen obendrauf noch eine gehörige Schippe Humor, was leider nicht die Liedauswahl, aber zumindest ein Foto der Musikanten, die alle einen Wischmop am Kopf tragen und mit der Bildunterschrift »Mit einem lustigen boarischen Text wurden die Beatles verulkt« versehen ist, beweist.
Dass sie mit ihrem Kopfschmuck aussehen wie der ungenießbare Igelstäubling (Lycoperdon echinatum), ist eine äußerst subtile humorige Spitze gegen die Pilzköpfe.
Aber die Moosacher sind keine reine Verteidigungskapelle gegen den Rock’n’Roll. Und so hat sich die Band gar zweimal zu einem Auslandseinsatz in die Staaten begeben, um dort deutsches Liedgut zu propagieren. Unterstützt wurden sie dabei von der volkstümlichen Guerillera Maria Hellwig, um jodelnd das Abendland zu retten.
… da kommt mir eine tolle Geschäftsidee. Sie nennt sich Yodelizer, eine App, die – wie Google Translate – einen eingegeben Text in das Jodel-Alphabet übersetzt. (Vinyaüdeldidu-Terrodeldidöist).
Darüber hinaus finden sich politische Parodien im Repertoire der Moosacher. »Die vielen Neger als Besatzungssoldaten veranlaßten sie zu dieser damals vielumjubelten Parodie« ist unter einem im Album zu sehenden Foto zu lesen. Auf dem Bild selbst sehen wir die schwarz angemalten bayrischen Musiker. Der deutsche Humor ist eben unverwüstlich. Selbst wenn wir von Negern besetzt werden, behalten wir unseren schwarzen (höhö) Humor.
Im heiteren Vorfreude-Song “Wenn in München Olympia ist…” gehen die Moosacher zwar nicht von einem ergiebigen Medaillen-Regen aus, aber sie erfinden gleich eine olympische Disziplin, in der wir Deutschen einfach unschlagbar sind:
»In einem andern Sport
Da machen wir drei mit,
Mir ham a Riesenkondition, do san mir richtig fit.
In einer neuen Disziplin, do san mia guat in Schwung
Des is im Zehnminutenkraulen und einem Seitensprung.«
Deutschlands amouröse Fähigkeiten sind Olympia-tauglich! (Jawoll, Paris, ville de l’amour, vous êtes baisé). Und so ist es wohl ein Verdienst der Moosacher, dass die Veranstaltung 1972 in München allen als “Olympiade der Herzen” in Erinnerung geblieben ist.
Ein ironischer Seitenhieb gegen den Fortschrittswahn verbirgt sich dagegen hinter der Autofahrer-Polka. Da die heißbegehrten Moosacher ständig die Isar rauf und runter touren, kennen sie sich mit den technischen Problemen des Autofahrens aus. Und teier is des! Die Ironie versteht natürlich nur, wer das Bayernland bewandert hat und so die schönsten Flecken der Erde auch dort bestaunen konnte, wo keine Autobahn hinführt. Bei Rüben und Ranunkeln, wo eine dickbusige Hüttenwirtin zu Brezn und Bier einlädt, ist die Welt noch in Ordnung.
Im Song “Die guate alte Zeit” erfahren wir dann, dass es auch in der guten alten Zeit schon eine gute alte Zeit gab. Wie schon Einstein bewies: Zeit ist relativ.
Relativ lang erscheint es einem dann doch, bis diese Platte endlich um ist. Um also auf die eingangs gestellte Frage der Verkäufersfrau des Regalladens zurückzukommen: Muss ich das jetzt auch anhören? Lessing sagte »Kein Mensch muss müssen« (obwohl der Charmin’-Bär und Herbert Wehner das wohl anders sehen würden). Und trotzdem: Ja, ich muss. Denn sonst müssten Sie es. Und das wollen Sie nicht. Aber einer muss es tun:
»Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.« (Richard von Weizsäcker)
Die Moosacher – Herzliche Grüße aus München
Preis: 1,50 €
United Artists Records, Liberty/UA GmbH, München, vermutlich von 1972