In zweifacher Mission unterwegs
Ein persönlicher Bericht von der Buchmesse Leipzig von Eva Bergschneider
Donnerstag, 12. März bis Freitag, 13. März 2015
Nach zweimaligen Besuchen als Repräsentantin der Phantastik-Couch (2010 und 2012) und einem zum rein privaten Vergnügen (2014) war ich in diesem Jahr in zweifacher Mission auf der Buchmesse in Leipzig unterwegs. Zwei Portale, für die ich derzeit schreibend tätig bin, habe ich vertreten; booknerds.de, welches mir die Akkreditierung bescherte sowie mein neues Online-Magazin für Phantastische Literatur, www.phantastisch-lesen.com.
Dieses Bild der großzügigen und lichtdurchfluteten Korridore zwischen den Messehallen mit den morgendlichen Besuchern ist irgendwie das Gesicht der Leipziger Buchmesse. Bei sonnigerem Wetter aufgenommen sähe es noch imposanter aus, doch leider hellte sich der Himmel nur selten auf. Kalt und nass war es zudem, sodass man nur die Raucher und ein paar Cosplayer außerhalb der Hallen sah.
A propos Cosplayer: Sie sind weiterhin in diesem Bereich unter der Glaskuppel zwischen Halle 2-5 anzutreffen, vielleicht nicht mehr ganz so zahlreich wie noch vor zwei Jahren. Phantastik und Comic/Manga-Aussteller teilten sich früher die Halle 2, doch inzwischen hat man letzteren die Halle 1 reserviert. Dort findet nun die Manga-Comic-Convention statt, etwas abseits vom restlichen Buchmessegeschehen. Das verschafft den Vertretern der Phantastik-und Schulbuch-Literatur deutlich mehr Platz in Halle 2, was Besucher und Aussteller freut. Und zum Glück finden sich zwischen den Hallen immer noch genügend Träger und Trägerinnen schillernder und origineller Kostüme, die diese gern vor der Kamera präsentieren.
Zentraler Anlaufpunkt für Phantastik-Fans ist die Halle 2 mit dem Lesungsprogramm auf der Fantasy-Leseinsel und dem WerkZeugs-Stand, der ein umfassendes Angebot an Phantastik-Büchern und allerlei Merchandising-Produkte verkauft. Der vom Publikum getrennte, aber komplett einzusehende Autoren-VIP-Bereich (auch Streichelzoo genannt) lässt auch dem Management bekannte Blogger der Phantastik-Szene ein. Und so ist dies der ideale Ort, um brandneue Infos aufzuschnappen, mit Autoren und Kollegen zu quatschen und einen Kaffee abzugreifen.
Besuche bei den Verlagen
Dieses Mal hatte ich mit insgesamt vier Verlagen Termine verabredet und somit die Gelegenheit, alte Bekanntschaften aufzufrischen, neue zu schließen und einen Blick in die Herbstprogramme zu werfen. Kiepenheuer und Witsch (kurz KiWi) haben mir den Roman “S” von J. J. Abrams (ja, der von “Lost” und “Star Trek”) und Doug Dorst vorgestellt, und der verspricht wirklich ein Knaller zu werden. Das Buch im Pappschuber sieht aus, als wäre es Ende der vierziger Jahre aus der Leihbibliothek geklaut worden; oll, abgegriffen, inklusive grauem, rechteckigem Bibliotheksaufkleber auf dem Buchrücken sowie Ausleihstempeln auf der letzten Seite. Zwischen den Klappendeckeln, die vorn die Aufschrift “SHIP OF THESEUS” und den Autorennamen V.M. Straka tragen, findet der Leser die Geschichte auf vergilbtem Papier gedruckt. Und scheinbar weitere darum herum in Form von zahllosen handschriftlichen Notizen, alten Zeitungsartikeln, Postkarten, Skizzen, Eintrittskarten und einer Dechiffrierscheibe, die man zum Lüften eines Geheimnisses braucht. Übrigens muss all das Material genau an seinem Platz bleiben, damit der Leser die Geschichte verstehen kann. Selbst wenn der ungewöhnliche Roman inhaltlich nicht voll überzeugen sollte, begeistert allein das Konzept und die Gestaltung mit viel Liebe zum Detail (ich schwöre, es riecht sogar nach altem Papier!). KiWi werden das Kunstwerk als deutsche Ausgabe herausbringen, was man als Bibliophiler keinesfalls verpassen darf.
Bei Droemer-Knaur traf ich eine ‘alte’ Bekannte aus Phantastik-Couch-Zeiten, die mir ebenfalls die Highlights des neuen Programms vorstellte. Vor allem ein Horrorroman im Format eines IKEA-Katalogs fiel ins Auge: “Horrorstör” von Grady Hendrix. Da denkt man doch gleich an gruselige Szenen vom Aufbau des Kleiderschranks mit einem Mini-Inbusschlüssel, oder sollte es sich gar um Billy-Regale des Grauens mit einem bizarren Eigenleben drehen?
Der Bastei Lübbe Verlag begrüßte mich gleich mit drei Pressereferentinnen und stellten mir ebenfalls ein umfangreiches Phantastik-, Belletristik- und Krimi-Programm für Herbst/Winter 2015/2016 vor. Bastei-Lübbe hat weiterhin viel Science-Fiction im Programm und setzt auf Phantastik-Crossover. Einige Reihen, deren Bände jeweils abgeschlossenen Handlungen haben und somit auch einzeln lesbar sind, mischen Krimi-Plots und ein phantastisches Setting, mitunter vor historischer Kulisse. Den Begriff Steampunk scheint man bei den großen Verlagshäusern zu vermeiden, offenbar möchte man sich nicht auf derartige Schlagworte festlegen. Wie dem auch sei, Leser und Rezensenten dürfen sich auf interessante Bücher freuen, die sich nicht auf Genres festlegen lassen.
A propos Steampunk: Ein Besuch bei Feder&Schwert ist für mich als Fan der Kunstrichtung natürlich obligatorisch, und auch dort gab es Neues zu entdecken. Zum Beispiel eine Steampunk-Story, die in Afrika spielt: “Matamba” von Kirsten Brox. Die Idee des Romans, einen britischen Veteran den Mysterien einer afrikanischen Variante der Steampunk-Welt auszusetzen, klingt verheißungsvoll.
Leipzig liest – Lesungen und Events
Verleihung des Literaturpreises SERAPH
Zum vierten Mal wurde der Literaturpreis SERAPH verliehen. Natalja Schmidt und Oliver Graute von der Phantastischen Akademie stellten die Long-List-Nominierten der Kategorien “Bestes Buch” und “Bestes Debüt” vor. Gewonnen hat den Staubfänger, wie die schwarz glänzende Statue schließlich bezeichnet wurde, in der Kategorie “Bestes Buch” nach 2013 zum zweiten Mal Kai Meyer für sein Werk “Die Seiten der Welt”. Der Preis für das “Beste Debüt” ging an Akram El-Bahay für seinen Fantasy-Roman mit orientalischem Flair, “Flammenwüste”. Der Nachwuchsautor war mit seiner Familie zur Preisverleihung gekommen und freute sich sichtlich über die Anerkennung und 2000 Euro Preisgeld. Überschattet wurde die Feier von der Nachricht, dass der großartige britische Schriftsteller und “Scheibenwelt”-Erfinder Terry Pratchett verstarb. Die Stimmung war spürbar gedrückt, als Natalja Schmidt den Autor mit feierlichen Worten bedachte.
Abends fand die Blind-Date-Preisträgerlesung mit den beiden Gewinnern wieder im Energie- und Umweltzentrum der Stadtwerke Leipzig statt. Ich konnte sie leider nicht besuchen, da meine Tochter zu der Zeit in Leipzig ankam.
Blogger-Treffen
Zum ersten Mal gab es eine Blogger-Lounge auf der Messe, auf der unter anderem ein großes Blogger-Treffen stattfand. Ich kannte dort anfangs niemanden außer der Betreiberin des sehr lesenswerten Literaturblogs “Papiergeflüster“, die mich netterweise zu dem Event eingeladen hatte. Doch schon bald kam ich mit verschiedenen Blogger-Kollegen ins Gespräch. Unter anderem mit zwei Frauen, die Buchbesprechungen und Keksrezepte in ihrem Blog “Leckerekekse“ vorstellen. Einige der Blogs habe ich auch schon einmal besucht, zum Beispiel den Blog “Bücherstadt-Kurier”, den ich über ein schönes Interview mit Bernhard Hennen kennen lernte. Recht regelmäßig lese ich den Blog “Literaturschock“, und nun kenne ich auch die Gründerin des Portals, die mit “Literaturschock”-T-Shirt zum Treffen kam.
Die Patrick Rothfuss-Show
Das Highlight auf der Fantasy-Leseinsel fand am Freitag um vier Uhr nachmittags statt, als Patrick Rothfuss zur Lesung kam. Die noch nicht sehr bekannte Autorin Lucie Müller las ab halb vier aus ihrem Roman “Kriegssinfonie” vor und profitierte vom Ansturm derer, die sich für die Rothfuss-Lesung vorab die besten Plätze sicherten. Als es dann so weit war und der Autor die Bühne betrat, wurde er fast wie ein Rockstar bejubelt. Allgemeine Heiterkeit kam auf, als Patrick Rothfuss erklärte, er habe sein Buch (“Die Musik der Stille”) vergessen und sich eines aus dem Publikum lieh. Glücklicherweise hatte jemand das englischsprachige Original “The Slow Regard of Silent Things” zur Hand, was der Autor erleichtert entgegen nahm. Gelesen hat er allerdings nur kurz, dafür aber umso ausführlicher Fragen beantwortet und fast bis zum Toresschluss um sechs Uhr Bücher signiert.
Steamtown live – Steampunk trifft Pulp Crime
Der Autor Carsten Steenbergen und der Hamburger Sprecher und Schauspieler Detlev Tams brachten im Rahmen des freitäglichen Abendprogramms das Hörspiel “Steamtown” als interaktive Lesungsinszenierung auf die Bühne. “Steamtown” entstand als Online-Romanprojekt vom Autorenteam Tom und Stefan Orgel und Carsten Steenbergen und kam ursprünglich – typisch für Steampunk – eher düster daher. Carsten und Detlev präsentieren den Stoff jedoch mit deutlich mehr Humor – inklusive einer Blümchenbadekappe. In den Cammerspielen Leipzig nutzte Detlev den großzügigen Platz der Bühne für vollen Körpereinsatz und Improvisation. Und das Publikum nahm jede Gelegenheit zum Mitgröhlen, Murren, Johlen und Jubeln begeistert wahr. “Steamtown live” war für Akteure und Zuschauer ein derb-witziges und spannendes Steampunk-Lesespektakel, das einfach Spaß gemacht hat.
Am Samstag in aller Früh ging es für mich zurück nach Hause. Die vielen schönen Eindrücke und netten Begegnungen machen schon jetzt Lust auf die nächste Leipziger Buchmesse. Bis zum nächsten Jahr!
Fotos: © Eva Bergschneider
Steamtown-live © Tom Orgel