André Franquin – Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 1: Die Anfänge eines Zeichners (Comic)


spirou gesamtausgabe1Darauf dürften viele Fans des franko-belgischen Comics lange gewartet haben: Carlsen bringt den ersten Band der Spirou und Fantasio-Gesamtausgabe auf den Markt. Bereits seit einigen Jahren häufen sich die Veröffentlichungen von Gesamtausgaben und so war es nur konsequent, dass Spirou – als eine der erfolgreichsten Comicreihen Europas – nicht länger auf sich warten lässt.

Die Ausgabe trägt den Untertitel “Die Anfänge eines Zeichners” und bezieht sich auf niemand Geringeren als André Franquin, der den Helden in Pagenuniform zwar nicht erfand, aber maßgeblich so stark prägte, dass er von vielen Fans als geistiger Vater der Reihe angesehen wird. Dass es zu diesem Ruf ein langer Weg war, macht diese Gesamtausgabe deutlich.

In chronologischer Reihenfolge präsentiert der erste Band das Frühwerk Franquins von 1946 – dem Jahr, in dem der Zeichner die Serie übernahm – bis 1950, als das erste albumlange Abenteuer “Der Zauberer von Rummelsdorf” erschien. Wer also Spirou für das vielfältige Universum liebt, welches Franquin um den jungen Pagen herum geschaffen hat, ist möglicherweise mit dieser Erscheinung falsch beraten. Rummelsdorf mit seinen verschrobenen Einwohnern – allen voran Pankratius Hieronymus Ladislaus Adalbert Graf von Rummelsdorf (oder Pacôme Hégésippe Adélard Ladislas, comte de Champignac, wie er im französischen Original heißt) – tritt genausowenig in Erscheinung, wie die immer wiederkehrenden Rivalen Zyklotrop oder Fantasios missgünstiger Vetter Zantafio. Auch das Marsupilami, jenes Wunderwesen, das mit seinem neun Meter langen Schwanz Erstaunliches leistet und von den Titelhelden in der fiktiven südamerikanischen Bananenrepublik Palumbien entdeckt wird, tritt erst später in Erscheinung. Stattdessen liefert diese Gesamtausgabe interessante Einblicke in einen legendären Schaffensprozess.

Die erste Geschichte “Der Tank” spielt in Belgien kurz nach Ende der deutschen Besatzung und die beiden Titelhelden benehmen sich noch sehr unvorbildlich. Da durch das Kriegsende sämtliche Waffen überflüssig geworden sind, werden diese von den amerikanischen Soldaten zu Spottpreisen verhökert und Fantasio erwirbt einen Panzer, mit dem er und Spirou aufgrund ihrer Unkenntnis der Handhabung fast eine gesamte Stadt verwüsten. “Spirou und das Fertighaus”, die Geschichte, mit der Franquin offiziell die Reihe übernommen hat, wurde noch von seinem Vorgänger Jijé begonnen. Dem Nachwuchszeichner blieb also nichts anderes übrig, als sich am Stil Jijés zu orientieren, was ihm so gut gelang, dass es dem Leser nur schwer gelingt, zu erkennen, wo der Wechsel stattfand.

Zu dieser Zeit war Franquin bereits ein hervorragender Zeichner und Geschichtenerzähler. Um seinen eigenen, unverwechselbaren Stil zu kreieren, der den Charme der Comics ausmacht, sollte es jedoch noch einige Zeit brauchen. Und so unterscheiden sich die ersten Geschichten sowohl in ihren Zeichnungen als auch im Inhalt erheblich von den späteren Abenteuergeschichten, wie beispielsweise “Schmuggel”, mit dem dieser erste Teil der Gesamtausgabe endet.

Etwas wirklich Neues findet sich nicht, die Geschichten sind keine ehemals verschollenen und wiederentdeckten Schätze. Bereits in den 1980er Jahren veröffentlichte der Carlsen Verlag die Geschichten unter dem Label “Carlsen Classics”. Wer heute an den Frühwerken interessiert ist, aber nicht gleich die Gesamtausgabe erwerben möchte, hat die Möglichkeit, zur Spirou Spezial-Reihe zu greifen. Wozu braucht der Leser also überhaupt diese Veröffentlichung?

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass ein Werk wie die vorliegende Gesamtausgabe etwas für Liebhaber ist. “Spirou und Fantasio” ist aus dem Leben vieler Comicfans nicht mehr wegzudenken. Die frühen Geschichten haben den Character eines Rohdiamanten. Im ungeschliffenen Gewand erkennt man bereits das Potential, welches die Geschichten Franquins haben. Die Gesamtausgabe lässt uns teilhaben an einem kreativen Prozess und dokumentiert den Werdegang der Spirou-Abenteuer von noch etwas inhaltsarmen, am Slapstick orientierten und manchmal brüllend komischen Geschichten zu einer grandiosen Reihe des franko-belgischen humoristischen Abenteuercomics. Abgerundet wird das Ganze von den redaktionellen Seiten, die dem Leser Hintergrundinformationen und bisher unveröffentlichte Skizzen präsentieren.

Ein weiterer Grund, der für diese Gesamtausgabe spricht, ist der Comicfan selbst. Ein sich oft bestätigendes Vorurteil des Comicfans ist seine kauzige Sammlermentalität, die stark durch Unvollständigkeit gestört wird. Lücken im Bücherregal verursachen dem Fan kribbelige Knie (der Ehapa-Verlag illustrierte diese Mentalität, indem er seine Lustigen Taschenbücher mit einem fortlaufenden Bild auf den Buchrücken versah, wodurch das Fehlen einzelner Bände noch stärker auffiel). Durch die Gesamtausgabe wird die Vollständigkeit in kompakter und komprimierter Form geliefert. Diese Veröffentlichung ist nicht nur eine Ansammlung von Geschichten, sondern auch ein Nachschlagewerk für den Spirou-Fachmann und -Liebhaber. Inhaltlich erfüllt diese Veröffentlichung die Forderungen, die der Comicfan an sie stellt, voll und ganz. Um das Sammlerherz noch höher schlagen zu lassen, hätte der Einband jedoch ein klein wenig schicker ausfallen können. Eine gelungene Veröffentlichung bleibt es dennoch allemal.

Cover © Carlsen Comics

  • Autor: André Franquin
  • Titel: Die Anfänge eines Zeichners
  • Teil/Band der Reihe: Spirou und Fantasio Gesamtausgabe Band 1
  • Originaltitel: Spirou et Fantasio – L’intégrale 1 – Les debuts d’un dessinateur
  • Übersetzer: Michael Hein, Marcel Le Comte
  • Verlag: Carlsen Comics
  • Erschienen: 2014
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 208
  • ISBN: 978-3551716217
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag
    Erwerbsmöglichkeiten

    Wertung: 12/15 dpt

     


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