Eins vorweg: Es ergibt wenig Sinn, “Die Wedernoch” ohne die vorherige Lektüre von “Die Seltsamen” zu lesen, da sich sonst einige Verständnisprobleme ergeben dürften und die Charaktere in des Lesers ein unvollständiges, unrundes Profil abgeben könnten. Genau so gut könnte man von einem Film nur die zweite Hälfte ansehen. Da war es eine weise Tat, dass der Verlag “Die Wedernoch” gerade mal rund ein dreiviertel Jahr später nachgeschoben hat, sodass die, die Teil eins bereits kennen, die Geschichte noch halbwegs frisch im Gedächtnis haben.
Bartholomew Kettles Schwester Hettie ist nun schon seit mehreren Jahren ins Land der Feen ‘verschwunden worden’ – durch ein Portal wurde sie von London aus dorthin entführt. Kettle lässt sich nicht entmutigen und sucht Hettie – ein Bastard aus Mensch und Fee und somit eine Seltsame, die besonders von den Menschen geächtet wird. Man sollte wissen: Feenwesen sind in Bachmanns Geschichte nicht etwa schöne, ausschließlich weibliche Wesen in schönem Kleid und Feenstab, sondern hässliche Gestalten mit oftmals unschönen Eigenschaften. Gestalten, denen nicht Haare, sondern Zweige und Äste aus den Köpfen wachsen.
In einem der drei Haupterzählstränge, recht spät wohlgemerkt, erfährt der Leser, wie Bartholomew gemeinsam mit Mr Jelliby seine Suche fortsetzt – in einem weiteren wohnen wir Hettie bei und erleben mit, welch hässliche Dinge ihr im “Alten Land” widerfahren. Im dritten wiederum wird eine neue Figur eingeführt: Pikey, ein Bettlerjunge, dem die Feen ein Auge genommen haben – seitdem besitzt er ein sogenanntes umwölktes Auge, mit dem er Visionen hat. Visionen, die wie ein Draht zum “Alten Land” erscheinen. Visionen, in denen er Hettie sieht.
Soll Hettie sich nun der in der Feenwelt herrschenden Strenge widersetzen oder lässt sie sich lieber stillschweigend auf all die Repressalien und all das Drangsal ein, um klammheimlich Pläne zur Flucht zu schmieden? Bartholomew und Pikey ahnen noch nicht, dass sich ihre Wege bald kreuzen werden – und der Rest des Weges gen Hetties Rettung oder zumindest einem Versuch dessen führen kann.
Bachmann lässt sich mit der Erzählung dieses Mal etwas mehr Zeit, und man merkt, dass der Jungautor, Baujahr 1993, bereits beim Niederschreiben dieser Dilogie an sich gewachsen ist. Was im ersten Teil mitunter noch etwas unausgereift wirkte, liest sich in Teil zwei deutlich klarer und erscheint fokussierter. Er versucht den Figuren noch mehr Tiefe zu verleihen und der Story den ein oder anderen originellen Dreh zu geben, und dies darf als gelungen bezeichnet werden. Mit dem Sich-Zeit-Lassen strapaziert Bachmann des Lesers Geduld zwar zu Beginn der Lektüre, doch nach und nach akkumulieren die Ereignisse und reißen den Leser wie eine literarische Lawine mit. Zwar nicht so, dass die Kinnlade nach dem Lesen erst wieder von Hand zugeklappt werden muss, aber durchaus in konkurrenzfähiger Stärke.
Mit nüchternem Blick gesehen wird der Autor auch mit “Die Wedernoch” kaum einen Innovationspreis gewinnen, da man klar vernehmen kann, bei welchen Autoren er ‘zur Schule gegangen war’, doch weiß der Ideenreichtum des in den USA geborenen und in der Schweiz lebenden Autors zu beeindrucken. Sollte er diesen in Zukunft noch ausgefeilter darbieten, die Inspiratoren dabei ein wenig ausblenden und selbige in seinen Geschichten nicht so offensichtlich hervorschimmern lassen, könnte aus Stefan Bachmann ein wirklich großer Nachwuchsautor werden, von dem man auch in zehn und mehr Jahren sprechen wird.
Cover © Diogenes Verlag
- Autor: Stefan Bachmann
- Titel: Die Wedernoch
- Teil/Band der Reihe: 2. Teil der Dilogie
- Originaltitel: The Whatnot
- Übersetzer: Hannes Riffel
- Verlag: Diogenes
- Erschienen: 10/2014
- Einband: Hardcover, Leinen
- Seiten: 416
- ISBN: 978-3-257-06906-8
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