Literarischer Katastrophentourismus oder: DINGS BUMS und nackte Haut für 0,99 Euro! oder: Warum trinkst du lieber Kaffee, anstatt mein e-Book zu lesen, du Egoistenschwein?


Dingsbums © Chris PoppEines vorweg: Dieser Artikel spiegelt keinesfalls die kollektive Meinung des booknerds-Teams wider. Auch wohnt ihm keinerlei journalistischer Anspruch inne. Der Redakteur ist lediglich in Meckerlaune und muss seine Genervtheit mit ein wenig virtuellem Geschmiere kompensieren.

Wandelt man – virtuell wie real – durch die literarische Welt, so stößt man immer wieder auf neue interessante Veröffentlichungen, Geheimtipps und vergessene Klassiker. Man stöbert, sucht und findet. Man stolpert über eine Entdeckung, von der man noch nicht ahnt, dass es eine der wichtigsten persönlichen Entdeckungen sein wird. Literatur bereichert das Leben – durch Horizonterweiterung, durch Erweiterung des Wissens, durch ein euphorisierendes Gefühl dank einer spannenden oder schönen Erzählung, durch den Austausch mit Gleichgesinnten. Man möchte das zwischen Buchdeckeln Geschriebene, das dort draußen auf einen wartet, sein Leben lang nicht missen müssen. Es aufsaugen. Es verinnerlichen. In die papiernen Welten eintauchen…

Wie in sämtlichen anderen Bereichen der Kunst existieren allerdings auch in der Welt der Bibliophilen (oder der sich für bibliophil haltenden Zeitgenossen) diese geschwürartigen Auswüchse, auf welche man fürwahr verzichten kann. Und über die möchte sich der Verfasser dieser Zeilen heute mal ein wenig aufregen, strunzsubjektiv bis in die Haarspitzen.

Einer dieser Auswüchse hat sich gerade in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren extrem hartnäckig auf dem Buchmarkt festgefressen, und zwar dort, wo er für alle sichtbar ist, nämlich auf dem Cover:

Der Zweizeiler-Titel.

oder besser gesagt: der…

ZWEIZEILER
TITEL

Zusammengesetzte Wörter, die zusammengeschrieben oder mit Bindestrichen verbunden gehören, werden gnadenlos mit der Layout-Axt entzweigehackt, eventuelle Bindestriche werden wie überflüssige Holzspäne weggeschnippt und die Wortbestandteile übereinandergestapelt. Verbale Verstümmelung in aller Konsequenz. Die “Deppen Leer Zeichen”-Epidemie nimmt nach wie vor unaufhaltsam ihren Lauf, und es scheint von Jahr zu Jahr schlimmer zu werden:

KREUZ
FEUER

KNOCHEN
BRECHER

WINTER
SCHLAF

(spontan aus den Fingern gesaugt, möglicherweise tatsächlich auf Buchcovern prangend)

oder:

DER SEIDEN
SPINNER

SCHATTEN
SCHREI

KRÄHEN
MÄDCHEN

TOTEN
ZIMMER

(leider definitiv Buchcover zierend)

…oder eben:

Dingsbums © Chris Popp

Sicherlich sehen Buchcover dadurch mitunter deutlich ansprechender aus (das abgebildete Cover mal ausgenommen), der Titel sticht ins Auge, doch dem Verfechter der guten Sprache beschert der Stich eine tiefe Wunde in dessen Seele. Und der verursacht …

SEELEN
SCHMERZ

…, häufig auch …

GEHIRN
HERPES

… und mitunter durchaus einen …

SCHREI
ANFALL

…, und zwar einen, der …

OHREN
BETÄUBEND

… ist. Von …

MEHR
ZEILER
TITELN

… wollen wir erst gar nicht anfangen. Es ist zum

HAARE
RAUFEN

Mein Wunsch: Mehr Respekt vor der Sprache.

Hinsichtlich der Buchcover hat sich zudem ein weiterer Trend manifestiert, der das Medium rein optisch zu austauschbarer Ware werden lässt. Wenn wir in den Buchhandlungen stöbern oder online mit dem Scrollrad durch die Shops radeln, stoßen wir auf zahlreiche Standards, die offenbar für verkaufsfördernd gehalten werden. Die Klischee-Cover:

  • Im Fantasy- und Science-Fiction-Bereich: Rundes Dingsbums mit Text darin (wahlweise auch mit Text darunter und/oder darüber).
  • Im Erotikbereich: Unbekleidete () oder leicht bekleidete () Oberkörper, meist auf Perfektion retuschiert.
  • Bei Büchern mit Liebe als Thema: Silhouette eines Liebespaars in der Mitte, außenherum Bäume und umherschwirrendes Gebimse.
  • Bei Jugendbüchern: Photoshop-Gesichter in Frontalaufnahme, meistens zur Hälfte oder zu zwei Dritteln zu sehen.
  • Bei Kriminalromanen und Thrillern: Menschenleere Landschaften und Straßen – oder (danke, Kollege König) Türen.

Mein Wunsch: Mehr Kreativität.

Ein besonders großes, beinahe platzen wollendes Geschwür findet man allerdings erst in den sozialen Netzwerken vor, und jeder, der bibliophil und auf Facebook unterwegs ist, wird wissen, was gemeint ist – und möglicherweise wird sich der ein oder andere Autor, der sein Buch via Selfpublishing vertreibt, gehörig auf den Schlips getreten fühlen. Doch hier sind beileibe nicht sämtliche Selfpublisher gemeint, sondern nur eine spezielle Unterart dieser Spezies. Und selbige raubt dem der Literatur zugeneigten Menschen tagtäglich mit einigen Unarten den Nerv – und bringt zudem den ehrlichen, unaufdringlichen und seriösen Teil der Selfpublisher-Szene in Verruf:

  • Der Kaffee-Vergleich.
    Wie Christina von Pudelmützes Bücherwelten auf ihrem Blog bereits angesprochen hat, geht seit einiger Zeit auf Facebook eine sehr gern von bestimmten Selfpublishing-Autoren gepostete Grafik durch die Streams und Gruppen, die besagt, dass eine Tasse Kaffee 2,50 Euro koste, ihr e-Book hingegen nur 1,99 Euro (oder noch weniger). Und Christina hat recht, indem sie argumentiert, dass auch hinter der Entstehung des servierten Produkts Kaffee – wenngleich auf andere Art – ein aufwändiger Prozess steckt, und die Servierkraft möchte selbstverständlich ebenfalls bezahlt werden, wenn sie den Kaffee an den Tisch des Gastes bringt.
    Doch auch die Tatsache, dass sich einige der Autoren in latenter Larmoyanz suhlen (»Mein Buch ist sooo günstig, und ich habe soooo viel Zeit investiert, das könnt ihr doch kaufen!«), wirkt mitunter ganz schön enervierend. Doch der Kaffee-Vergleich birgt etwas in sich, was in psychologischer Hinsicht raffiniert und ekelerregend zugleich ist. Dem potenziellen Käufer wird hierdurch ein schlechtes Gewissen suggeriert: Wenn er lieber einen Kaffee trinken geht, ist er ein egoistischer Mistkäfer und unterstützt somit den armen, armen Autoren nicht, weil er nicht vor dem PC sitzt, seinen Kaffee nicht selbst brüht und nicht das grandiose e-Book kauft. Danke auch.
  • Die Marktschreier.
    Besonders in literaturbezogenen Facebook-Gruppen werden wir auf penetranteste Art von diversen Autoren darauf aufmerksam gemacht, dass man nur heute ihr e-Book bei amazon für 1,99 Euro, 99 Cent oder gar kostenlos herunterladen kann. UND ZWAR IN SÄMTLICHEN GRUPPEN! UND IN GROSSBUCHSTABEN! Nein, liebe Autoren, ich werde mich nicht wegen Euch bei amazon anmelden. Und selbst wenn ich dort angemeldet wäre: WIE WÜRDE ES EUCH DENN GEFALLEN, WENN ICH EUCH ANBRÜLLE? LOS, KOMMT UND LEST MEINE REZENSIONEN! BEEILT EUCH! LEST SIE NUR NOCH HEUTE, MORGEN NEHME ICH SIE OFFLINE! SELBST SCHULD, WENN IHR LIEBER VOR DEM FERNSEHER EURE ZEIT VERGEUDET, ANSTATT MEINE ARTIKEL ZU LESEN!
  • Chartplatzierungs-Schaulaufen.
    »Juhu, mein e-Book ist in den amazon-Verkaufscharts in der Kategorie ‘Vampirroman’, Subkategorie ‘Erotik’, Sub-subkategorie ‘für 25- bis 35-jährige Leser mit Laktoseintoleranz’, auf Platz zwei! Wuhuuuu! Da verlose ich doch gleich fünf e-Books meines aktuellen Werkes und lege noch eine XXL-Leseprobe meines vorherigen Romans obendrauf!« – solche Jubelarien darf man in diversen Chroniken emsig facebookender Selbstverleger fast täglich bestaunen.
  • »Gib mir eine 5-Sterne-Rezension, dann geb ich Dir auch eine.«
    Es schadet keinesfalls, wenn sich Autoren gegenseitig unterstützen. Ganz im Gegenteil: Solidarität untereinander wirkt sich auf die Bekanntheit durchaus positiv aus, und man lernt mit und von anderen. Man liest sich gegenseitig und erfreut sich einander an den Werken der anderen Schriftsteller. Man wirbt füreinander.
    Doch es wird sehr interessant – oder besser gesagt: äußerst suspekt -, wenn man sich die fast ausschließlich mit fünf Sternen versehenen Rezensionen dann einmal genauer ansieht. Nicht nur, dass sich diese Rezensionen oftmals nur marginal voneinander unterscheiden und die Werke in höchsten Tönen in wenigen Sätzen in den Himmel gelobt werden – oftmals tauchen in diesen “Rezensionen” auch die stets gleichen Namen auf. Das lässt bereits an der Glaubwürdigkeit zweifeln, doch endgültig zunichte gemacht wird sie, wenn man mal darauf achtet, in welcher Geschwindigkeit die Rezensionen erfolgen. Pikant: Es gibt sogar Facebookgruppen, in denen dies organisiert abläuft.

Mein Wunsch: Mehr Benehmen und weniger Aufdringlichkeit. Weniger Internet-Gejammer und mehr Konzentration auf die eigene Arbeit.

Gibt es noch weitere Krankheiten in der Literaturszene, die euch auf die Nerven gehen? Ich bin gespannt und freue mich auf Kommentare und rege Diskussionen.

 Cover © Chris Popp


2 Kommentare
  1. Danke. Ich hab laut gelacht – vor allem über den “GEHIRN
    KRAMPF”
    dieser wirklich schrecklichen Buchtitel-Mode (wenn einer meiner Verlage das mit einem meiner Titel versuchen würde, bekämen sie Ärger mit mir. Wirklich.)
    Ja, Marketing ist schwer. Nehmt es den armen SP nicht so übel. Wir sind Autoren, keine PR-Fachleute. Da wird halt noch viel am lebenden Objekt geübt. (Aber der Kaffeetassen-Preisvergleich, der ärgert mich schon als bekennenden Koffein-Junkie eminent. ^^)

    Kleiner Hinweis, ihr habt eins meiner Pet Peeves erlegt: Der Autor. Des Autors. Dem Autor. Den Autor. “Autoren” ist immer Plural … ;-))

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