Vor fast fünfunddreißig Jahren sahen Adrian Borland und The Sound ein “New Dark Age” heraufziehen. Damals auf das Wettrüsten der “Supermächte” bezogen, erhoben sich 2014 Fanatiker jeglicher Couleur, um zu beweisen, dass das finstere Mittelalter noch gar nicht lange her ist. Als ob es diesen Beweis gebraucht hätte. Es ist zwar nur eine Minderheit, die im Namen Allahs, Mammons, Gottes oder als besorgte Bewahrer des alltäglichen Rassismus – getarnt als Rettung des christlich-jüdischen Abendlands – die Straßen, Städte, Wüsten und Steppen unsicher macht, aber eine verflucht laute und misstönende.
Wenn man all diese Massen herumwankender und zeternder Figuren mit nur noch minimal glimmender Hirnaktivität, betrachtet , könnte man meinen, die Zombie-Apokalypse hätte längst stattgefunden. Aber auf eine Art und Weise, die man SO nicht erwartet hat. Eklig, bescheuert und ziemlich traurig.
Da loben wir uns doch die wahren Beißer, Streuner, Walker, die ohne großes Lamentieren, grunzend und schmatzend durch die Gegend ziehen und nach lebender Nahrung suchen. Der einzige Reflex, der sie in Bewegung hält. Mehr eine Erinnerung an die Vergangenheit als tatsächlich notwendige Nahrungsaufnahme. Denn diese Frage wird in “The Walking Dead” nur beiläufig gestellt und bestenfalls lapidar beantwortet. Aber da wussten auch schon die filmischen Vorgänger keine wirklich schlüssige Auskunft zu geben.
Doch was soll’s, Zombies spielen – wie im richtigen Leben – höchstens die zweite Geige. Stattdessen werden im Gewand einer blutigen Horror-Saga, gesellschaftliche Strukturen und Formen des möglichen Zusammenlebens in einer zerstörten Welt unter die Lupe genommen, dass sich die philosophischen Balken biegen.
“The Walking Dead” gehört zu jenen Fernseh-Ereignissen, von denen immer wieder kolportiert wird, dass sie dem aktuellen (Mainstream)-Kino längst den künstlerischen Rang abgelaufen haben. Fällt schwer, zu widersprechen.
Für mich gehörten 2014 zu diesem Paket die finstere Gewaltstudie “True Detective”, das arschcoole “Justified” nach Elmore Leonards Vorlage, eine Mammut-Session mit den “Mad Men”, während “The Coven”, der dritte Teil der “American Horror Story” nach starkem Beginn nur schauspielerisch, visuell und durch den gelungenen Musikeinsatz überzeugte. Plottechnisch war dieses Perpetuum Mobile von andauerndem Tod und Auferstehung ein ziemlicher Rohrkrepierer. Das gilt auch für die immens erfolgreiche “The Blacklist”, deren (einzige) Stärke darin besteht, dass James Spader seinem Affen Zucker bis zum Abwinken geben darf. Das reicht aber für unterhaltsames Nebenbeigucken.
Solide Kost lieferte “Elementary“, das trotz seiner leicht nervösen Modernisierung des Sherlock Holmes-Themas erfrischend lässig und schauspielerisch erfreulich blieb, der düstere Historien-Noir “Ripper Street” sowie der schriftstellernde Tom Sawyer im Bann des Verbrechens “Castle”. Der selbst bei mäßigen Mordfällen und gelegentlicher Hyperdramaturgie gekonnt zwischen Screwball-Komödie und solider Krimikost pendelte. Auch wenn sie sich keinen Hund anschaffen, sind Nathan Fillion und die liebreizende Stana Katic würdige Nachfolger von Nora und Nick Charles.
Noch etwas macht dem Kino zu schaffen: Viele Filme, die einen Einsatz auf der großen Leinwand verdient hätten, werden gleich als DVD oder Blu-Ray veröffentlicht. Weil sie zu sperrig, zu wenig plakativ, zu herausfordernd oder was auch immer sind. Menschen, die keinerlei Gespür für die Magie des Kinos haben, treffen geschäftsmäßige Entscheidungen. Es gilt wie überall: Business as usual.
Immerhin gelang es (u.a.) dank der Initiative einer Gruppe Filmenthusiasten, das so artifizielle wie meisterliche “Under The Skin” in einige Kinos zu hieven. Der soghafte Film zeigt eine atemraubende Scarlet Johannsson als männerverschlingendes und verletzliches Alien auf der verzweifelten Suche nach Nähe und Empfindungen. Eine polarisierende Mischung aus grandiosem Arthouse- und Guerilla-Kino. Wer sich einen vergnüglichen Abend machen möchte, sollte die Amazon-Kundenrezensionen zum Film lesen. Immer schön zwischen voller Punktzahl und einem Stern wechseln.
Ebenfalls beglückend: Das hypnotische “Magic, Magic“, die so kluge wie stilvolle Geistermär “The Awakening”, das finstere, bitterkomische “Excision” und der herausragende, chinakritische Episodenfilm “A Touch Of Sin” voller umwerfender Tableaus und Bilder, immerhin wie “Under The Skin” mit gelegentlichem Programmkino-Kurzeinsatz. Schön auch, dass so viele (Italo)-Western, Eastern und sonstige Schätzeken der Filmgeschichte in restaurierter Form den Weg in den Player finden können.
Ganz wollen wir das Kino aber nicht abschreiben. Highlights waren “Grand Budapest Hotel“, der in jeder Hinsicht überbordende Hauruck-Actioner “Raid 2″und der ergreifende “Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit”, vielleicht ganz knapp mein Film des Jahres. Auf jeden Fall habe ich dem unvergleichlichen Eddie Marsan einen Schrein gebaut.
Als Blockbuster gefielen die “Guardians Of The Galaxy” und völlig überraschend der zweite Auftritt Captain Americas “The Return Of the First Avenger”. Selbst bis zum patriotischsten aller Superhelden hat sich herumgesprochen, dass die USA George Orwell wie ein kleines Licht aussehen lassen.
A propos Orwell: Den Roman zur Überwachungs- und “gefällt mir!-über-alles”-Misere lieferte Dave Eggers mit “The Circle“. Kein Buch für die Ewigkeit, aber ein spannender Trip in den Regulierungs-, Zertifizierung und alles ist öffentlich”-Wahn liefert der Roman allemal.
Meine Tops aber sind:
- Bruce Holbert – “Einsame Tiere”
- David Peace – “GB 84” (der ziemlich genau erklärt, warum wir politisch heute da stehen wo wir stehen)
- Dominique Manotti – “Der Ausbruch”
- Liza Cody – “Lady Bag”
- Daniel Woodrell – “In Almas Augen”
- Carl Hiaasen – “Affentheater”
- Howard Linskey – “Gangland”
- Mechtild Borrmann – “Die andere Hälfte der Hoffnung”
Und die längst überfällige und hochlöbliche Reaktivierung der “Freunde von Eddie Coyle” von George V. Higgins.
Bleibt noch die Musik. Auch da gäbe es vieles zu sagen, doch weil ich oben so ausgeschwiffen bin, halte ich es zum Schluss hin kurz. Schön waren die Beschäftigung mit der Vergangenheit, von Anton Bruckner (dirigiert von Günter Wand), Alexander Scriabin, Philipp Glass, John Coltrane, Bill Evans über Nina Simone bis zu John Martyn, Van Morrison, Weather Report und Frank Zappa habe ich mich durch die Vergangenheit treiben lassen, die musikgeschichtliche wie meine eigene. Hocherfreulich.
Aktuell schätze ich von Herzen und in alphabetischer Reihenfolge (abgesehen vom ersten Album):
- Andrea Schroeder: “Where the Wild Oceans End” (was letztes Jahr Anna von Hauswolff für mich bedeutete, übernimmt dieses Jahr Frau Schroeder, die beweist, dass man auf ganz eigene Art, in die Fußstapfen von Nico treten kann ohne zum Klon zu werden).
- Van Christian: “Party Of One”
- Ned Collette & Wirewalker: “Networking In Purgatory”
- Esben & The Witch: “A New Nature”
- Neil Finn: “Dizzy Heights”
- Gazpacho: “Demon”
- Peter Hammill & Gary Lucas: “Other World”
- Sivert Høyem: “Endless Love”
- i.n.a.: novemberland
- Perfect beings: “same”
- Paul Roland: “Professor Moriarty’s Jukebox”
- RPWL: “Wanted” (besonders die Live-Umsetzung ist grandios)
- Sonny Simmons & Moksha Samnyasin: “Nomadic”
- Lucinda Williams: “Down Where The Spirit Meets The Bone”
Genug, auch wenn ich wichtige Platten bestimmt unterschlagen habe, mache ich jetzt Schluss, bevor das Listenschreiben ausartet. Da möchte man mit Wünschen für ein besseres, schöneres, friedvolleres 2015 enden, und dann werden ein Dutzend Menschen barbarisch niedergemetzelt, weil sie es wagten, gallige Cartoons zu zeichnen und Satiren zu schreiben. Und dann feiern sich die einen Wichtelhirne als Helden des Dschihad und die anderen instrumentalisieren diesen Mordanschlag, um ihre Abscheu vor allem Andersartigen zu rechtfertigen.
Bleibt als Hoffnung: So dunkel, wie es in all diesen Köpfen aussieht, kann das neue Jahr eigentlich gar nicht werden. Es gibt genügend Menschen, die sich nicht von Hass, Verachtung und dem Wunsch zur konsequenten Unterdrückung und letztlichen Eliminierung der Andersdenkenden und -lebenden anstecken lassen. Und darauf sollten wir 2015 bauen und uns freuen. Und natürlich auf Kunst, Kultur und alles, was Spaß macht, ohne dem Nächsten und Fernsten zu schaden.
All you zombies, show your faces
All you people in the street
All you sittin’ in high places
The pieces gonna fall on you
Selbst die Hooters wissen seit langem Bescheid.
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