Es war einmal vor langer Zeit Realität, dass in den Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Menschen arbeiteten, die tatsächlich Interesse an Film und Filmgeschichte hatten, die sich sogar trauten thematische Reihen (wie der hervorragende “Phantastische Film” im ZDF mit seinem surrealen, horriblen Vorspann von Heinz Edelmann) oder (zumindest teilweise) Retrospektiven zu senden. Die “Schwarze Serie” fand eine Heimstatt in den Dritten Programmen, Regisseuren wie Ingmar Bergman, Jean Pierre Melville, Francesco Rosi, Luchino Visconti u.v.a. wurde mitunter sogar in ARD und ZDF gehuldigt. Auch Damiano Damiani bekam seine Reihen (u.a. 1977 fünfteilig im ZDF), in der vorzugsweise seine Mafia-Filme zu sehen waren. Fernab der elegischen Romantisierung durch Francis Ford Coppola erzählte Damiani vom Kampf integrer Einzelner gegen ein durch und korruptes, die ganze Gesellschaft prägendes Verbrechens- und Unrechtssystem. Damiani verklärte weder die Mafia noch ihre Antagonisten, die am Ende oft mit leeren Händen dastanden und/oder blutend verreckten. Supermann fliegt nicht mehr.
Abseits seines Hauptbetätigungsfeldes widmete sich Damiani aber auch anderen Genres. Kein glückliches Händchen hatte er mit der Wahl seines Horror-Sujets, dem zweiten Teil des bereits in der Erstausgabe schnarchigen “Amityville Horror”. Besser traf er es mit seinen beiden Western – wobei er vehement dagegen kämpfte, “Töte Amigo” als solchen zu bezeichnen, da er nicht innerhalb der ‘protestantischen amerikanischen Kultur’ spiele. Damiani bezeichnete ihn schlicht als politischen Film.
Der acht Jahre später entstandene “Nobody ist der Größte” war natürlich Kino-Pflichtprogramm für alle Terence Hill-Fans. Ein Schelmenstück voller sarkastischer (nie zynischer) Tiraden und wendungsreicher Tricksereien, die einen Jahrmarktsmagier vor Neid erblassen lassen würden.
Besser noch traf es der Regisseur mit “Töte Amigo” (“Quién sabe?”), der zwar ebenfalls seine burlesken Momente besaß, aber vom gesamten Tenor her wesentlich düsterer daherkam. Obwohl er fast ausschließlich bei strahlendem Sonnenschein spielt.
Außerdem war “Töte Amigo” gefährlich. So gefährlich, dass er hierzulande erst einmal um achtzehn Minuten gekürzt wurde, um anschließend dennoch auf dem Index zu landen. Zentrale Sequenzen wurden herausgeschnitten, ziemlich offensichtlich, um den politischen Gestus des Films zu relativieren. Was grafische Gewaltdarstellungen angeht, gab es bereits zur Entstehungszeit von “Töte Amigo” expliziteres. Das hierzulande aber ebenfalls gerne vom Schneidetisch fiel. Aber das ist ein anderes Kapitel…
… in diesem schließt sich der Amerikaner El Gringo zur Zeit der (frühen) Mexikanischen Revolution der Bande des mexikanischen Banditen El Chuncho an. Der sich zwar zu seinen revolutionären Landsleuten bekennt, aber zunächst keine Bedenken hat, aus der Revolution Profit zu schlagen, indem er General Elias und seinen Anhängern Waffen verkauft. El Chuncho freundet sich mit dem mysteriösen Amerikaner an, ohne zunächst zu ahnen, welche finsteren Pläne dieser tatsächlich hegt und auch durchführt. Obwohl El Chuncho der Revolution durchaus verbunden ist, dauert es lange, bis er endlich Partei ergreift. Mit einer Entschuldigung auf den Lippen, da er für El Gringo und seine finanziellen Möglichkeiten Sympathien hegt.
Bill Tate alias El Gringo steht natürlich parabelhaft für die tatkräftige Einmischung der US-Amerikaner in die politischen Belange Mittel- und Südamerikas. Lou Castel spielt diese Mischung aus Söldner und CIA-Agent mit einer somnambulen Weltabgewandtheit, die ihn zum perfekten Pendant des erdigen Galgenstricks El Chuncho werden lässt. Tate scheint lächelnd und wachend über den Dingen zu schweben, bis er kaltblütig in die Geschichte eingreift. Dass er im Zuge dessen beinahe beiläufig El Chunchos Leben rettet, macht ihn verwundbar. Ein Kain, der sich seinem ungehobelten Bruder Abel andient. Und so nicht das biblische Ende erlebt, sondern bloße Verwunderung. Castel ist der ideale Darsteller für diese Rolle.
Der exzellente Gian Maria Volonté kann eh alles spielen. Er fegt als Naturgewalt durch den Film, großsprecherisch, verletzlich, ein ungewaschener Mann aus dem Volk, der bauernschlau erkennt, dass die Revolution eine Chance ist, viel Geld zu machen. So lange, bis sich das Gewissen regt – dafür braucht es allerdings ein paar Dutzend Tote – und den Eigennutz übertüncht. Aber selbst der letztmögliche Befreiungsschlag kommt ganz ohne Pathos aus, Volonté lässt seinen vorlauten El Chuncho nicht zum edlen Revolutionär mutieren, sondern gönnt ihm, bei aller Ernsthaftigkeit, einen chaplinesken Abgang.
Die Komik des Films ist laut aber bitter, Western typische Duelle und Shootouts finden nicht statt, hier ist das Sterben ein kurzes, grausames. Der Film beginnt mit einer Hinrichtung und endet damit. Unter ganz anderen Vorzeichen. Neben Volonté und Castel brillieren in kleinen, aber einprägsamen Rollen, Klaus Kinski als El Chunchos predigender Bruder El Santo, Western-Veteran Aldo Sambrell als so aufrechter wie unentschlossener Tenente, der sich mit Rufino Ingles als gefesseltem Capitan auf den Gleisen, in einer geradezu Beckettschen Szene wiederfindet. Martine Beswick darf für herben Charme und ein wenig Resignation sorgen.
Bei “Töte Amigo” sind die Wirren der Mexikanischen Revolution kein pittoreskes Beiwerk, sondern zentral in die Handlung eingebettet. Damiano gelingen eine Vielzahl eindrucksvoller Szenen, die Politik- und Privatgeschichte(n) kongenial kombinieren. Dabei kommt der Film ohne moralisierenden Fingerzeig aus, ist so rau und schmutzig wie die Zeit, in der er spielt. Als Fußnote zum US-Amerikanischen Imperialismus ist “Töte Amigo” zudem erschreckend aktuell.
Die vorliegende Fassung hat eine höchst ansehnliche Bildqualität und wurde natürlich um die fehlenden achtzehn Minuten ergänzt – teilweise zu erkennen an der abweichenden Synchronisation. So dauerte es nur knapp fünfzig Jahre, bis “Töte Amigo” in einer adäquaten Fassung auf Blu-Ray hierzulande veröffentlicht wurde. Als Boni gibt es zwei ausführliche Interviews mit Damiano Damiani und Lou Castel, wobei für Castels Part gute Englischkenntnisse vonnöten sind, da er nicht untertitelt ist. Lohnend sind beide.
Cover & Szenenfotos © Koch Media
- Titel: Töte Amigo
- Originaltitel: Quién sabe?
- Produktionsland und -jahr: Italien, 1967
- Genre:
Politischer Film, Italo-Western
- Erschienen: 11.09.2014
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
113 Minuten auf DVD
118 Minuten auf Blu-Ray - Darsteller:
Gian Maria Volonté
Lou Castel
Martine Beswick
Klaus Kinski
u.v.m.
- Regie: Damiano Damiani
- Drehbuch:
Salvatore Laurani
Franco Solinas - Kamera: Antonio Secchi
- Schnitt: Renato Cinquini
- Musik:
Luis Enríquez Bacalov
Ennio Morricone - Extras:
Drei Kinotrailer
Interview mit Regisseur Damiano Damiani
Interview mit Darsteller Lou Castel
Bildergalerie - Technische Details (DVD)
Video: 2.35:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB, IT/Dolby Digital 2.0
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.35:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB, IT/DTS HD-Master Audio 2.0
Untertitel: D - FSK: 18
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 13/15 dpt