Wir erinnern uns an die finale Episode der ersten Staffel. Will Graham, der das FBI bei Mordfällen unterstützen sollte und der Polizei auch auf der Jagd auf den Chesapeake Ripper, auf welchen die meisten Fälle zurückzuführen sind, half, gerät – nicht zuletzt aufgrund seiner Labilität und seines hohen Maßes an Empathie – selbst ins Kreuzfeuer der Ermittlungen. Er selbst wird der Morde bezichtigt und landet in einem Hochsicherheitsgefängnis. Gespräche mit anderen darf er nur in einer Art Käfig führen.
Nun ist das FBI nach wie vor auf externe Hilfe angewiesen, und es birgt ob des Wissensvorsprungs seitens des Zuschauers beinahe blanken Hohn in sich, dass ausgerechnet Wills Psychiater, eben Hannibal Lecter, nun als helfende Hand dient und das Ermittlerteam beraten soll. Und wenngleich der Person Will Graham (grandios von Hugh Dancy dargestellt) viel Screentime gewährt wird, wird der Fokus in dieser zweiten Staffel vernehmbar deutlich stärker auf den Namensgeber (ebenfalls perfekt von Mads Mikkelsen gemimt) gerichtet.
Ist man auch nur halbwegs mit der Geschichte vertraut (die thematisch noch immer vor Thomas Harris’ “Roter Drache” spielt, aber eben in die heutige Zeit transformiert wurde), ist völlig klar, um was für einen Menschen es sich bei Lecter handelt. Dennoch eröffnet die zweite Staffel mit einer äußerst heftigen Szene, die einem erst einmal den Kiefer nach unten klappen lässt – nur um danach zwölf Wochen in die Vergangenheit zu blenden und den Zuschauer Stück für Stück wissen zu lassen, warum es zu ebenjener blutigen Szene kam. Und mit jeder Frage, die beantwortet wird, werden neue Fragen aufgeworfen, sodass man als Zusehender oftmals an seinem eigenen Vorwissen zu zweifeln beginnt. Ein innerer Zwiespalt tut sich auf.
Nun befindet sich auch Dr. Abel Gideon (Eddie Izzard) im selben Gefängnis, doch die Morde gehen weiter. Hat der Chesapeake-Ripper (wer es nun auch immer sein mag), der ja nun angeblich hinter Schloss und Riegel ist, dort draußen Marionetten, die seine Arbeit weiterführen? Hat er Nachahmer? Special Agent Jack Crawford (Laurence Fishburne) und sein Team versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen und ahnen kaum, wie falsch sie mit so manchem liegen. Doch die Zweifel innerhalb des Teams an der schuld Grahams wachsen, und bald erhärtet sich der Verdacht, wer tatsächlich der Chesapeake Ripper ist… doch wie stellt man ihn? Und ganz nebenbei hat das FBI auch noch andere, zuweilen bestialisch brutale Mordfälle aufzuklären, die nicht unbedingt auf den Serienmörder zurückzuführen sind…
Worauf alles hinauslaufen wird, ist im Grunde größtenteils abzusehen – um so erstaunlicher und beeindruckender ist es, die Macher der Serie trotz allem eine unglaubliche Spannung aufzubauen wissen. Eine Spannung, die mit einem Gefühl der Beklemmung einhergeht, die dem Zuschauer nahezu die Luft zum Atmen nimmt. Ein unbehagliches, beinahe quälendes Gefühl macht sich breit – eines, das den Thrill physisch werden lässt.
Hierbei spielen viele Komponenten eine Rolle. Zum einen wären da natürlich die visuellen, horrortypischen Gore-Elemente – Blut spritzt und fließt literweise, Innereien, Menschenfleisch und all das, was der menschliche Körper sonst noch hergibt, werden ihrer ursprünglichen Bestimmung beraubt und werden zweckentfremdet – für oftmals bizarre Arrangements oder für das leibliche Wohl…
Ebenso ist es einmal mehr die künstlerische Komponente, die einem den Mund offen stehen lässt – was an sich grausam und brutal ist, erlebt durch eine (so auch in der Rezension zu Staffel eins erwähnte) morbide Ästhetik eine ureigene Form der Schönheit. Doch die Kunst wird in vielerlei Hinsicht weitergeführt – nahezu jede wortlose Szene, die Rückblenden, die Visionen, zahlreiche Dialoge, die Träume, selbst die Wortwahl an sich -, all das wird zu einem Großen und Ganzen. Ein Panoptikum der schaurig-schönen Ausdruckskraft. Eine Grenzenverschiebung und ein wilder Zickzackparcours über die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Verstärkt wird dies noch durch Farbspiele, Überschneidungen, besonders aber auch durch den akustischen Teil dieser Produktion.
Einerseits sorgt beschwingt wirkende klassische Musik – bevorzugt in den Szenen gespielt, in welchen Lecter ein aufwändiges Menü zubereitet (ein wahrer Augenschmaus, nebenbei bemerkt) -, in unterstreichender Form für eine geniale Akzentuierung des Schönen, beinahe scheinheilig und vor Ironie triefend. Andererseits weiß der Komponist Brian Reitzell mit seiner Art der Tonerzeugung – dissonante, kranke, kakophone Klänge, viele davon aus alten, seltenen oder gar selbst gebauten Instrumenten – dem Ganzen hinsichtlich psychologischer Wirkkraft noch einiges an Schockpotential mitzugeben.
Dachte man, auf psychologischer und metaphorischer Ebene sei bereits in der Eröffnungsstaffel alles gesagt, so irrt man gewaltig, denn auch diesbezüglich wurde nachgelegt. Seien es die visuellen Anspielungen, die tiefgehenden Dialoge, die markerschütternden Psychoszenen voller Wahnsinn, die suggestiven Worte, der Krieg im Kopf oder die psychische Gewalt – all das erlebt in Staffel zwei neue Dimensionen.
Im Grunde spinnt man den Faden genau dort weiter, wo man mit Staffel eins aufgehört hat – vorliegende zweite Staffel endet ebenfalls wieder mit so manchem fiesem Cliffhanger, der selbst die, die mit dem Hannibal Lecter-Universum bereits aus den Büchern und den Spielfilmen vertraut sind, unruhig und ungeduldig werden lässt bezüglich dessen, was sich dann in Staffel drei ergeben werden mag. Und man war in der Lage, hinsichtlich Perfektion und audiovisueller Wucht noch einmal nachzulegen.
Aufregend, spannend, zermürbend, verstörend, Wahnsinn in sich tragend, Grenzen verwischend, menschliche Abgründe offenbarend und Intellekt in seiner gefährlichsten und brutalsten Form demonstrierend. Das sind die Attribute, die “Hannibal” auch in der zweiten Staffel als ein mehr als prächtiges Gewächs im Seriendschungel dastehen lassen.
Cover & Szenenfotos © STUDIOCANAL/NBC
- Titel: Hannibal
- Staffel: 2
- Episoden: 13
- Originaltitel: Hannibal
- Produktionsland und -jahr: USA, 2014
- Genre:
Psychothriller, Horror, Krimi, Drama
- Erschienen: 04.12.2014
- Label: STUDIOCANAL
- Spielzeit:
535 Minuten auf 4 DVDs
558 Minuten auf 3 Blu-Rays - Darsteller:
Mads Mikkelsen
Hugh Dancy
Caroline Dhavernas
Hettienne Park
Laurence Fishburne
Scott Thompson
Aaron Abrams
Gillian Anderson
Kacey Rohl
Vladimir Jon Cubrt
Gina Torres
Anna Chlumsky
Eddie Izzard
Lara Jean Chorostecki
Raúl Esparza
Michael Pitt
Katharine Isabelle
Jeremy Davies
Chris Diamantopoulos
u.v.m. - Produktion: Carol Dunn Trussell
- Idee (Serie): Bryan Fuller
- Romanvorlage: Thomas Harris
- Musik: Brian Reitzell
- Extras:
Audiokommentar von Cast & Crew
Featurettes:
This is my Design
The Style of a Killer
Bodies of Lies
Killer Intentions
“Post Mortem”-Interviews mit Cast & Crew
Reconstructing the Fight
Geschnittene Szenen
Gag Reel
Trailer
Wendecover - Technische Details (DVD)
Bild: 1,78:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DD)
Untertitel: Deutsch
- Technische Details (Blu-Ray)
Bild: 1,78:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
Produktseite DVD und Blu-Ray
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 14/15 dpt