Christian Krumm – At Dawn They Sleep (Buch)


Christian Krumm - At Dawn They Sleep (Cover © Verlag Nicole  Schmenk)Nach zwei Sachbüchern, nämlich “Kumpels in Kutten” (Reportage über den Metal im Ruhrpott von den Achtzigern bis heute) und “Century Media. Do it yourself – Die Geschichte eines Labels.” wagt sich der Metalhead und Historiker Dr. Christian Krumm an seinen ersten Roman, dessen Titel den Namen eines Songs der Band Slayer trägt. In diesem 240-Seiter wird primär die Geschichte Alioschas erzählt. Der arbeitet einerseits mit seinem Kollegen Wolf in einer Autowerkstatt, andererseits in einer Redaktion und lebt mit seiner Freundin Eva zusammen – die beiden scheinen eine gute, harmonische Beziehung zu führen, doch Alioscha fühlt sich in vielerlei Hinsicht unwohl.

Eva, die nicht gerade eine Liebhaberin der harten Klänge ist, scheint zwar keine schlechte Partie für ihn zu sein, doch ihm sind viele eingefahrene Standards – insbesondere die Spieleabende mit diversen ihrer Bekannten und Freunde – ein Dorn im Auge. Dämliche Sprüche, klischeehaftes Getue, alle furchtbar normal und angepasst. Und er selbst befindet sich stets in Erklärungsnot und muss sich dafür rechtfertigen, dass er ist, was und wer er ist.

Außerdem kommen Alioscha langsam Zweifel im Hinblick auf ihre Beziehung – wie viel liegt ihr wirklich an ihm, wenn die Karriere letztendlich doch immer wichtiger zu werden scheint? Denn es läuft zunehmend darauf hinaus, dass Eva Entscheidungen trifft und er entweder mitziehen oder es bleiben lassen darf.

Alioscha bleibt kaum etwas anderes übrig, als ein Doppelleben zu führen. Die Metalszene nimmt in seinem Leben immer mehr Platz ein. Vor allem seine Begeisterung für die Schreiberei – er möchte sich als Onlineredakteur etablieren – treibt ihn hierbei voran. Er ist in Szenekneipen und -clubs unterwegs, sieht sich Konzerte an, knüpft Kontakte und glaubt fest daran, auf dem richtigen Pfad entlangzuwandern. Er wird Zeuge bandinterner Streitigkeiten, Intrigen innerhalb der Szene, amouröser Verstrickungen (von denen er auch einige erlebt und sich in ihren Wirren verfängt), kommt mit Drogen und viel Bier in Berührung, und gleichzeitig werden dem Leser Schicksale einzelner Charaktere präsentiert.

Nun stellt sich die Frage, wie sich die Bands weiterentwickeln, wie es mit ihm und Eva weitergeht (oder ob da eventuell eine Frau ist, die es wirklich ernst mit ihm meint) und was aus ihm, dem autoschraubenden Redakteur mit Zukunftsvisionen werden mag…

Was – gerade für jene, die selbst mit Heavy Metal vertraut sind – verlockend klingen mag, erweist sich allerdings bereits im ersten Buchviertel als ermüdend, da der Protagonist  auf zahlreiche Szeneklischees und -stereotypen trifft. Fast sämtliche Metalklischees werden in “At Dawn They Sleep” erfüllt, von der Wichtigkeit des Bieres über bierbeflügeltes Arm-in-Arm-Headbanging zu bierselig mitgegröhlten Songs bis hin zur breiten Palette typischer Szenegänger/innen. Da gibt es die jungen Neu-Fans, die arrogante Elite, und gemischt wird alles mit noch mehr Bier, mit Drogen, mit Sex . Und einmal mehr soll suggeriert werden, dass Metal die ultimativen Alleinstellungsmerkmale besitze: Einerseits sei Metal ein einzigartiges Lebensgefühl, andererseits sei nur Metal dazu in der Lage, bestimmte Emotionen im leidenschaftlichen Hörer zu wecken. Dies wirkt gnadenlos szenebeweihräuchernd und zeigt (gewollt? ungewollt?) entlarvend auf, woran des der Metalszene krankt: Sie beansprucht Individualismus und Vielseitigkeit für sich, besteht letztendlich allerdings zu einem großen Teil aus uniformierter Klientel sowie klar eingefahrenen Mechanismen und Ritualen. Dass auch unter den Metalfans noch echte Individuen zu finden sind, soll gar nicht bestritten werden.

Zwar blickt Krumm als Autor auch mehrfach hinter den Szenehorizont, doch seine Erzählung, die durchaus eine zwar simple, aber ausdrucksstarke Sprache in sich birgt, weiß keinen wirklichen Spannungsbogen aufzubauen, was dummerweise dadurch erschwert wird, dass die Höhepunkte nicht derart hoch liegen, als dass wenigstens der Weg dorthin für ein wenig Thrill sorgen könnte – vor allem ist die Enttäuschung dann groß, wenn man das Ende der Story (einen bestimmten der reichlich vorhandenen Perspektivwechsel) bereits viel zu früh erahnt. Hartnäckig am Nervenkostüm knabbert obendrein der hohe Soap-Faktor dieses Romans, denn oftmals nimmt das Beziehungsdurcheinander derart viel Platz in “At Dawn They Sleep” ein, dass der Leser nur noch die Augen verdrehen möchte. Auch die Tatsache, dass der geneigte Zeilengourmet kaum gefordert, aber umso mehr berieselt wird, trägt wohl kaum zu ernsthaftem Lesegenuss bei. Viel zu vorhersehbar, viel zu konstruiert und hinsichtlich der Dialoge oftmals auch viel zu hölzern hangelt sich Krumm durch sein Romandebüt. Die gute Absicht und die Intention mögen zwar erkennbar sein, doch nach dem Schließen des Druckwerks ist man regelrecht erleichtert, dieses Panoptikum der Langeweile (besser: diese langweilige Szeneseifenoper) überstanden zu haben.

Das größte Manko dieses Buches ist jedoch ohne Zweifel das fürwahr katastrophale Lektorat – nicht selten entsteht beim Leser der Eindruck, ein solches habe womöglich gar nicht erst stattgefunden. Beispiele gefällig? Hier haben Schlafsäcke ‘Reisverschlüsse’, Der Sänger und Bassist der Band Slayer heißt “Tom Arya” statt Tom Araya, Dinge sind ‘besser, als’ statt ‘besser als’, es ist von ‘orangenem Saft’ die Rede, das Cembalo wird zum ‘Chembalo’, und diverse ‘Deppen Leer Zeichen’ wie ‘Halloween Party’ und ‘Darth Vader Maske’ sorgen für Gänsehaut der unangenehmen Sorte. Dinge, die sich um den Körper winden, ‘wandten’ sich in der Vergangenheit um selbigen, und Entgleisungen wie »[…] Ihr ward doch mal zusammen, oder?« lassen das Haupthaar jedes fähigen Deutschlehrers spontan um eine weitere Nuance ergrauen. Ein ‘VW Beetle’ wird gnadenlos zu einem ‘VW Beatle’, die Augen werden hochmusikalisch und besitzen plötzlich ‘Lieder’, und den Genitiv hat man gnadenlos plattgemacht: »[…] passt nicht in das Bild von den Leuten […]«

Auch unzählige Kleinigkeiten irritieren ein ums andere Mal. Von den Kommasetzungsfehlern, die mit Sicherheit in dreistelliger Anzahl vorhanden sein dürften, wollen wir gar nicht erst anfangen. Sicherlich finden sich auch in den werweißwievielten Neuauflagen diverser Bücher, sogar diverser Klassiker, noch immer Fehler. Das ist menschlich. Sie passieren einfach, trotz intensiver Prüfung. Irgend etwas wird garantiert zum wiederholen Male übersehen. Womöglich sogar in dieser Rezension. Doch “At Dawn They Sleep” ist durchsetzt von kleinen und großen Fehlern wie ein verdorbenes Stück Fleisch, dem sich die Fliegenmaden in ganzen Heerscharen angenommen haben – und das lässt die Lektüre genau das werden, was jenes beschriebene Stück Fleisch ebenfalls ist: Ungenießbar.

Cover © Verlag Nicole Schmenk

Wertung: 6/15 dpt


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