Unsterblichkeit, ein Heilmittel gegen Krebs, saubere Fusionsenergie
[pullquote]»Wenn ich die Folgen geahnt hätte, wäre ich Uhrmacher geworden.«[Albert Einstein][/pullquote]
Das alles sind Erfindungen aus dem Im Jahr 2016 spielenden Zukunftsthriller “Control”, die schon längst von genialen Köpfen entwickelt wurden. Nur weiß niemand etwas davon, außer dem Bureau of Technology Control, kurz BTC. Diese ursprünglich staatliche Einrichtung soll die Menschheit vor wissenschaftlichen Errungenschaften schützen, für die sie noch nicht bereit ist. Hat doch selbst Albert Einstein, dessen Grundlagenforschung einst den Weg zur Entwicklung der Atombombe ebnete, deren Befürwortung beim Anblick ihrer Zerstörungskraft bereut.
Das Bureau of Technology Control ist inzwischen eine vollkommen autark arbeitende, unkontrollierte Instanz geworden. Denn die einkassierten Erfindungen nutzt das BTC für seine Zwecke und erhebt sich damit zu nahezu gottgleicher Macht. Mit welchen Mitteln das BTC dabei vorgeht, erlebt der Physiker Jon Grady hautnah. Er hat einen Gravitationsspiegel erfunden und ist somit der Lösung eines großen wissenschaftlichen Mysteriums einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Grady baut ein Instrument, das die Schwerkraft in beliebige Richtungen lenken kann. Doch bevor er seine Erfindung publik macht, werden sein Labor von Terroristen in die Luft gesprengt, seine Mitarbeiter getötet. Er selbst landet in einem Gefängnis, in dem ihn das BTC mit Hilfe fortschrittlicher Folter zur Kooperation bewegen will.
Die Messlatte hängt hoch
Nach der Veröffentlichung der Technologie-Thriller “Daemon“, “Darknet” und “Kill Decision” wurde der amerikanische Autor und Softwareentwickler Daniel Suarez als neuer Michael Crichton gefeiert. Denn es war auch ihm gelungen, detailliert beschriebene und somit ausnehmend realistisch wirkende Geschichten um Zukunftstechnologien zu schreiben. Technologische Meilensteine wie KI und Virtual Reality übertrug der Autor in düstere Zukunftsszenarien, in denen sich diese zu einer autonom agierenden, weltzerstörerischen Macht entwickelten. Suarez’ Romane faszinierten eine breite Leserschaft vor allem deshalb, weil sie eine ebenso erschütternde, wie denkbare Zukunft heraufbeschwörten.
Auch wenn sich mancher, dem ständig Dinge aus der Hand fallen, wünschen mag, es gäbe eine Möglichkeit, die Schwerkraft zu steuern; bisher ist dieser Kunstgriff ausschließlich der Fantasie vorbehalten. In “Control” stand dem Autor also kein Schreckensszenario zur Verfügung, dessen Grundzüge dem Leser bereits bekannt sind und das sich zu einer düsteren Vision extrapolieren ließ. Insofern gleicht die Grundidee in “Control” eher einem Science-Fiction-Plot, in welchem sich ein futuristisches Gedankenspiel zu einer monströsen Bedrohung entfaltet.
Doch dieses Konzept entgleitet dem Autor immer wieder. Denn es fehlt zum Beispiel ein plausibler Hintergrund, warum das BTC den Gravitationsspiegel zu der beschriebenen Waffe umwandelt. Zudem kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie derartige Aktionen unbemerkt oder ungeahndet bleiben könnten.
Glaubwürdiger dargestellt ist da schon die humanbiologische Gentechnik, die Klone zu idealen Soldaten werden lässt oder einen perfektionierten Übermenschen wie Alexa hervorbringt. Der gravierende Schwachpunkt dieses Handlungsstrangs ist nicht einmal, dass derartiges in zahlreichen Biotech-Thrillern überzeugender verarbeitet wurde, sondern dass sich das Geschehen weitestgehend vorhersehbar entwickelt. Hier ist dem Autor leider nur wenig eingefallen, womit er seine Leser überraschen oder gar schockieren könnte.
Trotz der genannten Schwächen ist “Control” ein kurzweiliger und extrem dramatischer Zukunftsthriller. Aus der detailreichen wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema Gravitation formt Suarez ein beeindruckendes Action-Spektakel, das Spaß macht, solange man es nicht hinterfragt. Seine Hauptfiguren entwickelt der Autor zwar zu stereotypen, aber trotzdem sympathischen Helden. Suarez lässt ihnen nicht nur einige Schwächen zugutekommen, sondern gewährt dem Leser Einblicke in Kindheit und Herkunft, sodass man trotz Genialität und Superkraft mit ihnen mitfühlen kann. Leider versäumte es der Autor, ihre Gegner ähnlich interessant zu charakterisieren. Sie wirken wie Standard-Bösewichter, beliebig austauschbar.
Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und münden in eine Schlacht, die den Helden eine Erstürmung der feindlichen Feste abverlangt. Hier schöpft der Autor wirklich jedes Mittel aus, um Kopfkino à la Roland Emmerich zu inszenieren, was ebenso überzogen, teilweise grotesk anmutet. Amüsant sind die Analogien zu J.R.R. Tolkiens “Der Herr der Ringe”, die Suarez seinem einzigen zwielichtigen Charakter Cotton in den Mund legt. Dessen Dialoge bieten zur Abwechslung etwas Humor, anstatt des überwiegenden “Technikgebabbels”.
Insgesamt wirkt das Finale jedoch unausgegoren. Vieles bleibt ungeklärt und der Autor lässt einen Ausblick auf die Zukunft nach der Schlacht vermissen. So verbleibt am Ende der Eindruck, dass man zwar einen spannenden, aber nicht unbedingt innovativen Zukunftsthriller gelesen hat. Daniel Suarez sind keineswegs die Ideen ausgegangen. Aber in “Control” ist es ihm nicht gelungen, daraus ein nachhaltig fesselndes Gesamtwerk zu erschaffen, über das man nachdenken und diskutieren möchte. Genau das war jedoch bisher ein Markenzeichen der Suarez-Romane.
Cover © rororo
- Autor: Daniel Suarez
- Titel: Control
- Originaltitel: Influx
- Übersetzer: Cornelia Holfelder-von der Tann
- Verlag: rororo
- Erschienen: Oktober 2014
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 496
- ISBN: 978-3-499-26863-2
- Sprache: Deutsch
- Sonstige Informationen:
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