Schwartz & Yann – Spirou Spezial 19: Die Leopardenfrau (Comic)

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Zu Beginn eine schlechte Nachricht für alle konservativen Comic-Fans: Franquin ist tot. Und auch im neuen Spirou Spezial “Die Leopardenfrau” ist von seinem Erbe nicht viel zu spüren. Was vielen Spirou-Fans in den letzten Jahren immer wieder bitter aufgestoßen ist, ist aber eigentlich eine Stärke. Bereits 1969 gab Franquin, der die Comicreihe maßgeblich geprägt, aber nicht erfunden hat, diese an den Zeichner Jean-Claude Fournier ab, der die Serie nach eigenen Vorstellungen fortführte.

Seitdem wurde das Spirou-Imperium durch wechselnde Autoren ständig weiterentwickelt und verändert – nicht immer zum Vorteil der Abenteuer (man werfe nur einen Blick in die Bände von Nic & Cauvin, die die Serie nach drei Abenteuern zum Glück wieder abgaben), aber zumindest auf eine Art und Weise, die einen eigenständigen Stil der Autoren bewies. Das macht Spirou zu einer Comic-Spielwiese, die sich an festen Regeln orientiert, aber dennoch überraschen kann – im Gegensatz zu den neuen Asterix- oder Lucky Luke-Comics, die zwar nicht schlecht sind, denen man aber das schwere Erbe, das auf den neuen Autoren lastet, ansieht.

Seit 2005 wird diese Spielwiese durch die “One-Shots” erweitert, bei der wechselnde Autoren die Möglichkeit haben, ein Spirou-Abenteuer zu entwickeln. Es sind ihnen hierbei kaum Grenzen gesetzt, solange ein authentisches Spirou-Abenteuer entsteht und keine Parodie. Der vorliegende Band “Die Leopardenfrau” ist bereits der siebte “One-Shot”, wobei dieser Begriff insoweit irreführend ist, als es sich um den Nachfolgeband von “Operation Fledermaus” handelt. Das Autorenteam Yann & Schwartz schickte den jungen Pagen in diesem Abenteuer in die belgische Résistance im Jahre 1942, der durch seinen Job im Hotel Moustique – während der deutschen Besatzung Hauptquartier der Nazis in Brüssel – an wertvolle Informationen für den Widerstand kommt. “Die Leopardenfrau” setzt vier Jahre später ein. Der Krieg ist vorbei, Spirous Kriegsheldenglanz ist verblasst und die Tatsache, dass er die Jüdin Audrey, die sich vor den Nazis auf einem Dachboden versteckt hielt (eine durchaus gewollte Reminiszenz an Anne Frank) nicht vor dem Konzentrationslager retten konnte, hat ihn in den Alkoholismus getrieben. Halt bekommt er durch seinen Freund, den Reporter Fantasio, der sonst die Chaotenrolle im Heldenduo einnimmt. In diesem Abenteuer ist er jedoch der vernünftige Part, der »hier die Zügel in die Hand nimmt«, so Yann, verantwortlich für das Szenario. »Dadurch konnte ich Spirou etwas menschlicher machen«. Eben jenen Helden, der für gewöhnlich keinen Makel aufweist und durch diese Konturlosigkeit geradezu langweilig daher kommt.

Als eine kongolesische Schönheit im Leopardengewand über Brüssels Dächer schleicht und von Colonel van Praag – Gast im Hotel Moustique und Verfechter belgisch-kolonialer Werte – angeschossen wird, rettet Spirou sie und bringt sie in Fantasios Wohnung in Sicherheit. Die Leopardenfrau entführt daraufhin kurzerhand Fantasio und lässt sich von ihm nach Paris ins Existentialistenviertel Saint-Germain-des-Prés chauffieren. Dort hofft sie einen alten kongolesischen Fetisch zurück zu bekommen, der zuvor gestohlen wurde und für die Zukunft des Weltfriedens eine entscheidende Rolle spielt. Fantasio dagegen nutzt den Ausflug zur Recherche für seinen Artikel über den französischen Existentialismus, von dem er doch so wenig versteht (»Die Existenz geht der Essenz voraus’… Dreck! Da fällt mir ein, ich muss noch Essigessenz kaufen für den Hausputz!«).

“Die Leopardenfrau” spielt gekonnt mit dem politischen Klima des gerade in Gang kommenden Kalten Krieges. Vergessen sind die Untaten ehemaliger Nazis, hier personifiziert durch Oberst von Knöchel, bekannt als SS-Scherge aus “Operation Fledermaus”. Von Knöchel soll den Alliierten dabei helfen, einige deutsche Atomwissenschaftler in die Staaten zu schaffen. Dafür wird ihm die Rehabilitation versprochen. Interessant ist auch die Figur des Colonel van Praag, Symbol für die Enttäuschung über den Untergang Belgiens als Kolonialmacht. Diese Enttäuschung war nach dem Zweiten Weltkrieg noch vielerorts zu spüren. Verbunden sind diese beiden Erzählstränge durch den Koso, ebenjenen kongolesischen Fetisch, den die Leopardenfrau in Paris sucht. Wie diese Verbindung aussieht, erfährt der Leser noch nicht, denn das Abenteuer wird im Band “Der Meister der schwarzen Hostien” fortgesetzt, auf dessen Veröffentlichung der Leser noch etwas warten muss.

Gekonnt spielt “Die Leopardenfrau” mit dem Erbe vergangener Spirou-Geschichten. Fantasio muss das halbe Abenteuer im Schlafanzug überstehen – ein Bild, das den Franquin-Verehrern nicht neu ist. Auch sein Faible für verrückte Erfindungen kennt der Fan aus Geschichten wie “Eine aufregende Erbschaft”. Das Ganze ist jedoch mehr als eine Kopie alter Ideen, vielmehr ist es eine Verbeugung vor den alten Meistern. Und dem Leser bereitet es ein großes Vergnügen, all diese kleinen Anspielungen zu entdecken und zu verstehen. Das realistische Setting gibt diesem Comic eine weitere und neue Dimension. Der intellektuellen Leserschaft wird es ein Vergnügen sein zu erfahren, dass es die Leopardenfrau ist, die Simone de Beauvoir den Anstoß zu “Das andere Geschlecht” gibt, dem Grundlagenwerk des Feminismus.

Und wer nicht alle Anspielungen versteht, hat im Anhang die Möglichkeit, Hintergründe und Biographien nachzulesen. Darüber hinaus gibt es einen Einblick in Skizzen und die Entwicklung der Geschichte. Dieses Bonusmaterial ist nicht ganz so umfangreich wie in “Operation Fledermaus”, aber dennoch eine gelungene Aufwertung dieser Veröffentlichung.

Cover © Carlsen Comics

Wertung: 12/15 dpt

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