Vom Zeitpunkt der Rezension aus gesehen ganze 62 Jahre reicht die Geschichte der Computerspiele zurück, denn bereits 1952 entstand mit OXO das wohl erste bekannte Computerspiel auf einem ESDAC-Computer – und im Jahr 1958 wurde mehr oder minder spaßeshalber das Spiel “Tennis For Two” auf einem an ein Oszilloskop angeschlossenen Analogcomputer entwickelt. Sinnvoll erschaffen und populär wurden Computerspiele allerdings erst durch den Preissturz der Logikchips und die Möglichkeit, entsprechende Konsolen auch an den Fernseher anschließen zu können. So genießt der Entwickler und Atari-Mitbegründer Nolan Bushnell noch heute den Ruhm, den ihm der Kultstatus des Spiels “Pong” eingebracht hat. Und seitdem hat sich unfassbar viel getan.
Bewegten sich bis in die Achtziger Jahre noch überwiegend Klötze über den Bildschirm, bei welchen man oftmals viel Phantasie benötigte, um zu erkennen, was sich da auf der Mattscheibe bewegt – man denke an die Anfänge mit dem Magnavox Odyssey und dem Atari 2600 (1978). Langsam wurden die Grafikauflösungen feiner und die Bilder bunter, und so bereicherten 1982 der Commodore 64 (für die echten Geeks im gleichen Jahr der Sinclair ZX Spectrum) in Form von Homecomputern den Spielemarkt. Einer der bekanntesten Homecomputerkonkurrenten mit ähnlicher Leistung war der Amstrad CPC-Computer in verschiedenen Ausführungen (hierzulande auch als Schneider CPC bekannt), doch hinsichtlich Erfolg lag Amstrad stets hinter dem rot-blauen C.
Doch auch die Konsolen machten einen beachtlichen technischen Fortschritt, und so wusste 1983 das Nintendo NES die Gamer zu begeistern. Die Entwicklung der Sega-Konsolen (erst das Sega Master System, später das Sega Mega Drive), den Nintendo-Konsolen (SNES im Jahr 1990, das Nintendo 64 dann 1996) ging ebenso voran wie die der Homecomputer, von welchen der Atari ST in verschiedenen Ausführungen gute, die frühen Commodore Amiga-Modelle exzellente Erfolge erzielen konnten. Es gab zwar auch zahlreiche Mitbewerber, doch es war klar, dass gerade Sega, Nintendo, Commodore und Atari sich als die damaligen Flaggschiffe der Computerspiele etabliert haben.
Ende der 80er Jahre kam mit dem Atari Lynx die erste marktreife Handheld-Konsole auf den Markt, doch letztendlich waren es der Sega Game Gear und insbesondere Nintendos Game Boy, die die Daddelfreudigen mit portablen Geräten zu erfreuen wussten. In etwa dieser Zeit wurden auch die Entwickler der IBM-kompatiblen PCs wach – der Amiga und der Atari ST wurden nach einigen Jahren eingeholt, abgehängt und zumindest in kommerziellem Kontext abgelöst.
Die Konsolenentwickler zogen nach, und wir kennen das Spiel: Playstation, Playstation 2, PS3 und heute die PS4 seitens Sony, Microsoft warf kurz nach der Jahrtausendwende die Xbox auf den Markt, und auch die Nintendo Wii und die Wii U erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. In all diesen Jahren haben auch die PC-Games parallel eine beachtliche Entwicklung durchlebt – was Anfang der 90er schon im 3D-Sektor passierte, war beachtlich, doch im Vergleich mit den beinahe fotorealistisch animierten Spielen wird einem jene Entwicklung erst einmal richtig vor Augen geführt. Auch die Macher der Spielkonsolen in Taschengröße haben nicht geschlafen. Von den Eigenschaften, die die ersten Mobiltelefone (man erinnere sich an “Snake”, welches es bereits 1978 auf Konsolen wie dem Apple II zu spielen gab) mit sich brachten und wozu Smartphones heutzutage in der Lage sind, wollen wir gar nicht erst anfangen – und diese werden in “PUSH > START” auch gar nicht thematisiert.
Was das alles mit diesem earBOOK zu tun hat? Eine ganze Menge, denn in diesem einige Kilogramm schweren Wälzer, dessen Hochglanzseiten beachtlich dick sind, wird der Leser auf eine visuelle Reise der Extraklasse geschickt. Ab und zu mit parallel zueinander abgedruckten deutschen und englischen Texten aus der Feder von Prof. Dr. Stefan Günzel aufgelockert, werden dem Computerspielinteressierten einige der schönsten Kunstwerke in Form von Screenshots aus bekannten und weniger bekannten Games präsentiert.
Und das sind sie letztendlich, diese Spiele: Kunstwerke. Gerade in Anfangszeiten, als man auf aufwändige Weise Pixel für Pixel setzen musste und die Programmroutinen aufgrund noch spärlicher Systemressourcen effiziente Programmierung groß geschrieben wurde, war es eine große Herausforderung, Spiele zu entwickeln, die einerseits eine Spielbarkeit mit sich brachten und andererseits eben optisch etwas hermachten.
Einerseits werden bei der Lektüre nostalgische Gefühle evoziert, da gerade die Pixel Arts der damaligen Zeit ihren gewissen Charme versprühten und auch heute noch ganze Heerscharen von Computerspiel-Freaks Retro-Abende und -Partys feiern oder auf ihren Stühlen und Sofas begeistert die ollen Kamellen, von welchen viele wegweisend waren, zocken lassen. Andererseits zeigt das Buch auf, wie heftig der über Dekaden stattgefundene Sprung ins Jetzt auch technische Neuerungen und Entwicklungen hin zu realistischsten Ergebnissen doch gewesen war. Von 8-Bit auf 16-Bit. Von 3D auf HD.
Sie war aufregend, die Zeit des Pac Man, der Space Invaders, des Pong, des Donkey Kong und ebensolchen Klassikern wie Frogger. Und Dig Dug und Pitfall. Und dann wurde es langsam filigraner mit Bomb Jack, Paper Boy, Arkanoid und Out Run. Nicht schlecht haben sie alle gestaunt, als es mit Tennis, The House Of The Dead und Mortal Kombat dann noch detailreicher und komplexer wurde, und dachte man, besser als auf den Amigas und Atari STs sowie den Nintendo- und Sega-Konsolen ginge es nicht, wurde mit Egoshootern wie Doom gezeigt, was alles möglich war. Heftig, als Super Mario auf dem Nintendo 64 auf einmal durch 3D-Landschaften flitzte. Und so langsam wurden die Pixel immer kleiner, die Farben immer vielfältiger – und auch heute scheint es noch kein Ende im Höher-Schneller-Weiter der Spieleentwicklung zu geben.
“PUSH >START” kommt mit wenigen (aber sehr interessanten) Worten aus und ist ohnehin vielmehr eine qualitativ hochwertige Museumsführung durch die Computerspielwelt der letzten etwas mehr als vier Jahrzehnte – eine, zu der man immer wieder gern greifen mag, sobald einen pixelromantische Emotionen ereilen. Und gerade die liebevolle Aufmachung, die extrem hochwertige Verarbeitung sowie der raffinierte Prägedruck (Die “Pixel” sind schachbrettmusterartig geprägt) sind drei Attribute, die dieses earBOOK zu einem echten Schätzchen werden lassen.
Selbstverständlich wird beim Durchblättern des mit einer etwas unpraktischen, glücklichwerweise problemlos herausziehbaren Banderole verzierten Werkes auch die Neugier auf die sich im hinteren Buchdeckel befindliche 10-Zoll-Vinylscheibe, welche in gelbem durchsichtigem Vinyl erstrahlt. geweckt. Doch leider wollen die acht Songs in ihrer von Big Twice remixten Form nicht so recht zum Buch passen, denn wenngleich es sich um die Songs aus solchen Klassikern wie Super Mario Bros, Space Harrier, Street Fighter oder eben Tetris handelt, wohnt ihnen zu keiner Zeit der Charme inne, den die Nummern in ihrer Originalversion ohne Umwege ausstrahlten. Die ‘Dubstep light’-Passagen im Main Theme von Space Harrier sind beinahe ein Sakrileg, und Korobreniki, das weltbekannte und liebenswerte Tetris-Gedudel, wurde mit DJ Tiesto-artigem Trancemaster-Synthesizer, ebenfalls Spar-Dubstep und Lounge-Sounds derart verstümmelt, dass man am liebsten seinen Gameboy nach den Übeltätern werfen möchte. Ähnlich schmerzhaft wird es beim Haupttheme von “Super Mario Bros”, das in der Big Twice-Version zu einer lahmen Dancenummer verwurstet wurde. Sollte das auf irgend eine Weise eine Brücke zwischen alten Computerspiel-Soundtracks und dem Heute sein, so ist es – geeky gesprochen – ein “epic fail”.
Viel schöner wäre es gewesen, parallel zur zeitlichen Entwicklung echte Chiptunes auf Vinyl oder CD zu packen – Legenden wie Chris Hülsbeck, David Whittaker, Allister Brimble, Tomi Jylhä-Ollila, Tim Wright, Ben Daglish, Martin Galway oder Rob Hubbard haben genügend faszinierende und ohrwurmträchtige Songs für diverse Spielemeilensteine geschrieben, die in ihrer unverfälschten Art eine ganz andere Magie in sich bergen als diese acht vergewaltigten Tracks.
So lässt sich aus rein subjektiver Sicht konstatieren: Buch der helle Wahnsinn, Schallplatte verzichtbar – doch die Qualität des Papiernen macht die Enttäuschung bezüglich des Akustischen absolut vergessen und erwärmt das Gamerherz.
Ein wunderbares Nerdbook.
Cover & Abbildungen © earBOOKS/edel
- Autor: Prof. Dr. Stefan Günzel
- Titel: PUSH > START – The Art Of Video Games
- Verlag: earBOOKS/edel
- Erschienen: 15.09.2014
- Einband: Hardcover mit Prägung und Banderole
- Seiten: 380 mit 200 Abbildungen
- ISBN: 978-3-94357-309-1
- Sprachen: Englisch und Deutsch
- Zusätzliche Inhalte:
10″ Vinyl Minialbum von Big Twice inkl. mp3-Download-Code- Tracklist:
Seite A:
Castlevania – Vampire Killer
Super Mario Bros – Main Theme
Mega Man 2 – Dr. Wily’s Theme
Ninja Gaiden – Master Ninja Theme
Seite B:
Street Fighter – Guile’s Theme
Space Harrier – Main Theme
Puzzle Bobble – Let’s Go To Pao Pao Island!
Tetris – Korobeiniki
- Tracklist:
- Sonstige Informationen:
10″ auch als mp3 mittels Code downloadbar
Produktseite beim Prego Shop mit Abbildungen
Produktseite bei earBOOKS.net mit digitaler Vorschau
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 11/15 dpt
Sehr schön 😉
Schön 🙂