Dario Argentos Dracula
Es gab einen Augenblick, da war Dario Argento der größte lebende Kinomagier. Damals, in jenem barocken Kino in Avignon, das die passende Kulisse für eine Aufführung von “Deep Red” bot, der englischen “Profondo Rosso”-Fassung. Zweimal binnen drei Tagen gönnte ich mir diesen intensiven (Alp)traum, nicht nur um festzustellen, dass man tatsächlich den Mörder während der ersten Minuten entdecken kann, wenn man genau hinschaut. “Profondo Rosso” ist ein Farbenrausch, der die Ästhetik der Gewalt zelebriert, ein perfektes Zusammenspiel von Bildern, Musik und Tönen, zudem – was bei Argento nicht selbstverständlich ist – mit nachvollziehbarer Handlung und stimmigen Dialogen. David Hemmings und Daria Nicolodi rundeten zwei perfekte Kinoerlebnisse ab.
Darauf folgte die gesamte Filmographie, meist auf dem heimischen Fernseher angeschaut. Der hypnotische “Suspiria”, “Inferno”, der tief in der Traumlogik verwurzelt ist,
“Phenomena”, trotz des grotesken Finales ein atmosphärisches Monster, “Opera” und natürlich die Frühwerke, die gerne im Rahmen selbsternannter (Bryan)-Edgar-Wallace-Reihen im normalen TV-Programm liefen; Ausnahme “Vier Fliegen auf grauem Samt”. Selbst den später beschlagnahmten “Tenebre” erwischte ich in seiner kurzzeitigen Kino-Freiheit.
Mit dem in Amerika produzierten „Trauma” (“Aura”), ein optisch wenig ansprechender Thriller von der Stange, mit nur wenigen argentoesken Momenten, begann ein seltsamer Absturz, bei dem Dario Argento mit zunehmendem Alter seine kinematographischen Fähigkeiten zu verlieren schien. Zwar gab es mit dem unterschätzten, dennoch vorzüglichen “Stendhal Synrome”, dem stimmungsvollen “Non ho sonno” (der Mantel des rücksichtsvollen Schweigens wird über Drehbuch und Schauspielerführung gedeckt) und den beiden Arbeiten für die “Masters Of Horror”-Reihe (“Jennifer” und “Pelts”) gelinde Entwarnung, doch läuteten sämtliche Glocken beim langatmigen “Card Player” und der wenig packenden TV-Fingerübung “Do You Like Hitchcock” Sturm.
Nicht laut genug wie der, eigentlich sehnlich erwartete, krude und hilflose Abschluss der drei-Mütter-Trilogie “Mother Of Tears” belegte. Beim unsäglichen “Giallo” war endgültig keine Rettung mehr in Sicht.
Als Argento verkündete, er wolle sich des “Dracula”-Stoffes annehmen, in Farbe und drei D, mit Goblins Claudio Simonetti an seiner Seite und Sergio Stivaletti an den Effekten, war die Vorfreude nicht gerade groß, da unabhängig von den Totalausfällen, der “Phantom der Oper”-Ausflug in die Gefilde der gotischen Literaturvorlagen schon blass geblieben war.
Die Kritiken zum Kinostart überschlugen sich. Mit Häme und Entsetzen. „Dracula 3D” stelle selbst das “Giallo”-Debakel in den nicht vorhandenen Schatten, so das Gros der Meinungen. Was Widerspruch entlockt. Ganz so schlimm wie “Giallo” ist Argentos “Dracula” nicht. Was leider nicht viel bedeutet.
“Dracula 3D” ist eine (unfreiwillige) Hommage an die Künstlichkeit des Kinos. Von schlechtsitzenden Perücken bis zu offensichtlich angeklebten Karnevalsschnurbärten, über CGI-Effekte, die Videospiele lebendig aussehen lassen und Farbfilter, die an wildeste Phantasmagorien eines Produzenten von Kiosk-Postkarten aus der Camargue und Mykonos erinnern; alles singt das Hohelied des Artifiziellen. Auf Blu-Ray in gestochen scharfem Bild. Ein atmosphärischer Gefrierschrank.
Wir sehen eine Puppenstube, ein ganzes Puppendorf, das man an den Rand eines Märchenwalds verpflanzt hat (zu dem ein Laientheater gehört), den man durcheilen muss, um zu Graf Draculas recht spartanisch eingerichtetem Schloss zu gelangen. Sofort wird klar, der Mann ist nicht blass, weil er tot ist, sondern weil er friert.
Der eigentlich von mir geschätzte Thomas Kretschmann ist eine hüftsteife Fehlbesetzung, der weder als verzweifelter Witwer noch wütender Blutsauger überzeugt. Er ist einfach da und tut lethargisch die Dinge, die ein Graf Dracula tun muss. Das angeblich in ihm brennende, unstillbare Feuer der Begierde und die Sehnsucht nach wahrer, unsterblicher Liebe bleiben bloße Behauptungen.
Grob wird Bram Stokers Romanhandlung paraphrasiert, den kostspieligen Ausflug nach England haben die Filmemacher ausgespart. Wir bleiben im aseptischen Modellstädtchen Passburg, wo Jonathan Harker eintrifft, um als Bibliothekar bei Graf Dracula zu arbeiten. Der hat es eigentlich auf Harkers Angetraute Mina abgesehen, da sie seiner verstorbenen Gattin zum Verwechseln ähnlich sieht.
Man neckt und beißt sich, die eine stolpert und ein anderer fällt. Nach gut siebzig Minuten erscheint erfreulicherweise das wetter- und altersgegerbte Gesicht Rutger Hauers vor der Kamera, der Showdown kann beginnen. Fällt dann aber ziemlich unspektakulär aus. Hauer legt seinen Abraham van Helsing zunächst als taffen Recken an, der sich seiner Widersacher schnell und brutal entledigt. Angesichts des untoten Grafen bedarf van Helsing allerdings der Hilfe Minas, um zu obsiegen.
Was einigermaßen unverständlich ist. Denn wenige Sekunden, bevor Mina den Grafen erledigt wie einen tollwütigen Werwolf, fleht sie ihn noch begierig an, van Helsing umzubringen. Eine hilflose und eindeutig gelogene Erklärung, dass sie nur ‘so getan’ hätte, den Grafen zu begehren, ist die letzte von vielen unmotivierten Handlungsabfolgen und Ereignissen, die augenscheinlich nur stattfinden, weil Bram Stoker – so ungefähr – in seinem Roman davon erzählt hat.
Als Nacherzählung bleibt “Dracula 3D” dröge und über weite Teile statisch, was bei Argentos früherem meisterlichen Umgang mit der ‘schwerelosen’ Kamera ziemlich verwundert.
Eine Neuinterpretation der altbekannten Geschichte findet erst recht nicht statt. Wenn man davon absieht, dass Graf Dracula bei Argento ein multipler Gestaltwandler ist. Worauf der Regisseur selbst (im Bonus-Interview) und sein Co-Autor Antonio Tentori (im ausführlichen “Behind The Scenes”-Teil) begeistert hinweisen. Während Fledermäuse anscheinend zu profan sind, erleben wir Dracula als Eule, Wolf, ein Schwarm Fliegen und eine Gottesanbeterin. Dass bei diesen grafischen Computerdesastern kein vampirischer Hai aus einem nahenden Gewitter fällt, ist fast verwunderlich.
Überhaupt die Effekte: Ab und an herrscht in Passburg und Umgebung die Gewaltkeule. Vom gespaltenen Schädel über zerfetzte Kehlen, bis zum baumelnden Augapfel am Nagel, wird kurz und schmerzvoll gemeuchelt. Dario Argento handelt diese kleinen gorigen Momente beiläufig ab, so als schäme er sich bereits im Vorfeld für die spätere CGI-Inkarnation. Kein Vergleich zur liebevoll ausgetüftelten Handarbeit früherer Jahre. Dabei ist mit Sergio Stivaletti jemand an Bord, der es kann. Oder wie sein Meister – konnte?
Ähnlich steht es um den Soundtrack. Das Theremin weint, die Synthies wabern saumselig und sphärenhaft, die Endcredits werden als schaumgebremste Gothic-Opera zu Grabe getragen. Von Simonettis einstigen Großtaten mit Goblin ist das weit entfernt. Traurig.
Was bleibt also? Der Blick in ein Diorama auf einem Provinzjahrmarkt, eine in kaltes, bonbonbuntes Freilicht getauchte Bühne, Asia Argentos Brüste (mal wieder), eine Mina (Marta Gastini), die aussieht wie die jüngere Ausgabe Lucys (=Asia), der man eine Nase aus dem Pinocchio-Fundus verpasst hat? Dann schon lieber die dralle Tanja (Miriam Giovanelli), die wie eine wilde, lang verschollene Halbschwester Scarlett Johanssons dahergebraust kommt und leider als Computerstaub endet.
Das hat einen eigenen, verqueren Reiz, der nichts mit Spannung oder einer inhaltsreichen Handlung zu schaffen hat, sondern ein Bad in einem künstlichen Schauraum mit bescheidenen Werten ist. Gratis dazu gibt es ein sattes Maß an Komik der unfreiwilligen Art. Man wird auf gleichzeitig überbordende und höchst bescheidene Weise unterhalten. Könnte man so stehen lassen und schnell wieder vergessen, wenn da nicht die liebevolle Erinnerung an einen ehemaligen, großen Magier des Kinos wäre.
Der den Regiestuhl nicht auf ewig verlässt wie ihm einige Kritiker angeraten haben. Sondern dabei ist, sein nächstes Filmprojekt, “The Sandman” nach E.T.A, Hoffmann mit Iggy Pop(!) in der Hauptrolle, per Crowdfunding zu finanzieren. Ein weiteres Trauerspiel?
Anzumerken ist noch, dass die Filmsichtung zweidimensional stattfand. Es gibt aber auch keinen erkennbaren Grund, sich “Dracula 3D” mit zusätzlicher Brille anzutun. Immerhin da hat Dario Argento ein Einsehen und betrachtet dreidimensionales Filmen als einmaliges Experiment, wie er im gutgelaunten Interview während des Slash-Filmfestivals verrät.
Cover & Szenenfotos © Koch Media
- Titel: Dracula (3D)
- Originaltitel: Dracula (3D)
- Produktionsland und -jahr: Italien, 2012)
- Genre:
Horror - Erschienen: 28.08.2014
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
106 Minuten auf 1 DVD
110 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Thomas Kretschmann
Marta Gastini
Asia Argento
Rutger Hauer
Miriam Giovanelli
- Regie: Dario Argento
- Drehbuch: Dario Argento
Enrique Cerezo
Sefano Piani
Antonio Tentori
- Kamera: Luciano Tovoli
- Musik: Claudio Simonetti
- Extras:
Behind The Scenes, Musikvideo, Original Kinotrailer, Teaser,
Interview mit Dario Argento beim Slash-Filmfestival - Technische Details (DVD)
Video: 2.40:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB, DTS HD-Master Audio 5.1
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.40:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB, DTS HD-Master Audio 5.1
Untertitel: D
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 5/15 dpt