Tim Tharp – Perfekt ist jetzt (Buch)
Sutter Keely wirkt wie aus der Zeit gefallen. Ein ‘rebel without a cause’, ein Typ, von dem Eltern hoffen, dass er nie bei einer Party ihrer Sprösslinge auftaucht, wenn mal sturmfrei ist. Denn das heißt: Aufruhr, Zerstörung, Hunde mit Punkfrisur, nacktgeschorene Katzen und Kotze im Aquarium. Oder schlimmeres. Sutter trinkt zu viel, schon morgens, er hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, selbst wenn er besser schweigen sollte, schart Freundinnen um sich, bis er verlassen wird. Das ist sein Schicksal: Verlassen zu werden.
Gleichzeitig ist Sutter – wie sollte es anders sein – empfindsam, musikbegeistert, nachdenklich und immer für einen Spaß zu haben.
Nicht, weil er es unbedingt will, sondern weil er glaubt, es wird von ihm erwartet. Dabei merkt er genau, dass er stehen bleibt, während sich alles um ihn herum weiter entwickelt. Und weil er so hellwach ist, schmerzen diese Erkenntnisse, und es gibt nur eins, was dagegen hilft: 7UP mit Whisky und weitermachen, das perfekte Jetzt genießen. Auch wenn es beginnt, schal zu schmecken.
Das Positive zuerst: Tim Tharpe verurteilt seinen Protagonisten nicht, stellt ihn nicht an den Pranger. Sutter agiert nachvollziehbar und sympathisch und so darf er sehenden Auges in den Untergang torkeln. Auch wenn’s nur die Sonne ist, die am Horizont entschwindet.
Sutter gegen die Teenage-Angst. Gegen verkorkste Eltern-Patchwork-Familien-Beziehungen, kopfüber ins Vergessen, mit dem Fettnäpfchen als Pool-Party-Express. Im nüchternen und halbbetrunkenen Zustand gequält von den ewig gleichen Fragen: Wie wird mein Leben aussehen, werde ich je die Richtige finden, und wenn ja, wie versaue ich es nicht? Wenn alle Vorbilder es schon nicht hinkriegen. Sutter ist der schlechte Einfluss, der lieben Mädchen die Hölle schmackhaft macht. Aimee ist so eine. Viel zu brav, zu klug und mit zu geringem Selbstbewusstsein. Sutter wird sie verändern, Aimee wird ihn berühren. Wie kaum jemand zuvor. Liebe ist gefährlich, Enthusiasmus mitunter auch. Tharp lässt lange Zeit offen, ob Sutter seine Freundin runterziehen oder sie ihn hochhieven wird.
Geschickt hält Tharp die Waage, lässt viele Möglichkeiten offen, changiert gekonnt zwischen Komik, Drama und Momenten poetischer Weltbetrachtung. Liest sich flott runter, regt zu Partys an und erinnert an eine milde Version von Craig Kee Stretes Roman “Uns verbrennt die Nacht”, der den Mythos Jim Morrison sowohl bediente als auch auf ihn reinfiel. Streets Roman ist wilder, vermessener und endgültiger; “Perfekt ist jetzt” bleibt realistischer und – leider – auch harmloser.
Womit wir bei den negativen Aspekten wären. Eigentlich müsste man “Perfekt ist jetzt” als ‘Coming Of Age’-Roman bezeichnen, doch leider bleibt eine Entwicklung weitgehend aus. Tharp sieht seine Hauptfigur deterministisch gefangen in seiner familiären Geschichte. Allzu offensichtlich ist Sutter dazu verdammt, die Geschichte seines Vaters, der Frau und Kinder verantwortungslos verlassen hat, um irgendwo anders ein anderes Leben ohne Blick zurück zu beginnen, zu wiederholen. Der erdichtete Vater, erfolgreich und autark, ist noch von erzählerischer Finesse, obwohl schnell klar wird, dass er nur ein Konstrukt aus Sutters Fantasie ist. Es hätte nicht mehr betont werden müssen, dass der echte Vater die Folie ist, auf der sich Sutters Leben ausbreiten könnte. Damit auch der letzte Leser diese Koinzidenz begreift, gibt es ein Treffen von Vater und Sohn. RTL-Time. Familien im Brennpunkt. Daddy ist ein verantwortungsloser Verlierer, wie wird Sohnemann wohl enden? Der Boden, den Tharp seinem Protagonisten unter den Füßen wegzieht, gab es von Beginn an nicht.
Hier macht es sich der Autor zu leicht, stilisiert Sutter zum hilflosen Opfer, was er faktisch gar nicht ist. So bleibt seine Rebellion in der Angst hängen und nicht im Versuch, sich gegen Restriktiionen aufzulehnen oder gar etwas Neues aufzubauen. Sutter ist kein Jack Kerouac, für den Auf- und Umbruch Pflicht ist, kein Holden Caulfield, kein Tom Sawyer, der sich das Grauen der Vergangenheit untertan macht, um eine wie auch immer geartete Zukunft zu gewinnen. Sutter ist ein Familienmensch auf der Flucht. Dass Tim Tharp die Verlockungen dieser Flucht mit Lust, Laune, zahlreichen literarischen und musikalischen Verweisen nachgeht, zeichnet “Perfekt ist jetzt” aus. Es wird eine Ahnung vermittelt, dass Literatur immer noch ungestüm, unberechenbar, zugleich düster und witzig sein kann. Letztlich bleibt “Perfekt ist jetzt” ein lesenswerter Roman, der beständig brodelt aber nicht explodiert.
»Sorry Jungs«, sage ich, »Die Nacht wartet auf mich. Es stehen noch viele Abenteuer an.«
Wir sind gespannt
Cover © magellan
- Autor: Tim Tharp
- Titel: Perfekt ist jetzt
- Originaltitel: The Spectacular Now
- Übersetzer: Jessika Komina, Sandra Knuffinke
- Verlag: magellan
- Erschienen: 21.07.2014
- Einband: Hardcover
- Seiten: 332
- ISBN: 978-3-7348-5003-5
- Sprache: Englisch
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 11/15 dpt