Um es gleich vorweg zu nehmen: Ist man nicht gerade hart im Nehmen, was detaillierte Sauf-, Sex- und Fäkalgeschichten betrifft, sollte man einen großen Bogen um “Göttlich versumpft” machen, denn in diesem vertonten in Tagebuchform verfassten Buch bekommt man von all dem reichlich geboten. Der finnische Protagonist Juha Berg ist primär oder beinahe ausschließlich ein Mensch, der seinen Gelüsten konsequent nachgeht. Wenn er sich das benebelte Gehirn mal wieder freivögeln möchte, so findet der vor libidinöser Energie strotzende Juha immer eine Gelegenheit. Und da der finnische Mann eine durstige Spezies ist, muss das Trinkverlangen selbstverständlich mit allerlei Alkoholhaltigem gestillt werden.
Dass so viel Sex und Sauferei irgendwann auch hungrig macht, hat zur Folge, dass auch ordentlich gefuttert wird – nur sind die Lebensmittel nicht immer Juhas bester Freund, weswegen sie durchaus des Öfteren im Eiltempo aus Sphinkter und Ösophagus entweichen wollen. Ganz nebenbei muss er sein restliches Leben auch irgendwie noch auf die Reihe bekommen, inklusive Freunden (Deppen, aber ganz nett, manche mit bizarren pornösen Vorlieben) oder beispielsweise dem gerade aktuellen, falls vorhandenen Job (irgendwie muss das Geld für den Fusel ja her). Damit ihm das Leben nicht gänzlich entgleitet, schreibt er täglich die Ereignisse des just vergangenen Tages auf – sofern sein Erinnerungsvermögen es zulässt. Diese Erlebnisse sind oftmals derart heftig und ekelerregend, dass man nicht selten mit den Ohren schlackern muss. Denn Berg erzählt alles schonungslos, ohne schönende Worte und in einer klaren, dreckigen, derben Sprache. Oder wie es als Spruch im Digipak der CD zu lesen ist: »Deftig, krass, gnadenlos drastisch.« – und da kann man absolut nicht widersprechen.
“Göttlich versumpft” sorgt für einen inneren Zwiespalt, denn auf der einen Seite ereignet sich so viel Peinliches, Lustiges, Unfassbares, dass man sich köstlich amüsiert und nur noch den Kopf über Juha Berg schütteln kann. Da jagt eine Slapstickeinlage die nächste, da hagelt es wunderbar blöde Sprüche, und dann schildert der Ich-Erzähler wieder all den Mist, der da passeirt ist. Auf der anderen Seite ist all das, was da passiert, trotz seiner Ironie und Überzogenheit derart realistisch dargestellt, dass einem das Lachen durchaus im Halse stecken bleiben kann – denn wenn man sich zu Gesicht führt, dass manche Menschen wirklich so leben in ihrer siffigen Bude, gesundheitlich auf dem absteigenden Ast und stets dem Trieb und der Sucht hörig, ist all das gar nicht mehr so lustig.
Das Werk unterhält und rüttelt zur gleichen Zeit auf. Es ruft ein »Ach du liebe Zeit, was treibt dieser Kerl da schon wieder, haha!« hervor, aber auch ein »Au weia, hoffentlich rutsche ich/rutscht der Herbert/rutscht mein Nachbar nicht mal genau so weit ab.«, ist demnach gleichermaßen ein Warnschuss wie ein Feuerwerk der Schadenfreude – und bewegt sich somit am Rande der Erträglichkeit und des guten Geschmacks. Es ist Bukowski auf Comedy und ein »Pass auf Dich auf, Kumpel…« in einem.
Dass “Göttlich versumpft” nicht gerade literarisch wertvolle Kost ist, sondern – ganz im Gegenteil – Vuorinen seinem Protagonisten eine sehr simple Sprache mit reichlich Kraftausdrücken auf den Weg gibt, sollte klar sein. Es bleibt nur zu hoffen, dass Autor Juha Vuorinen, der seiner Buchfigur schließlich ebenfalls den Vornamen Juha gegeben hat, nicht allzu viel mit dem Mann aus diesem Werk zu tun hat. Die ein oder andere Weisheit oder der ein oder andere philosophische Lichtblick lassen zumindest auf viel Fiktionalisierung schließen.
Ein dickes Lob muss man dem Sprecher Ingo Naujoks aussprechen. Naujoks ist den meisten sicherlich wohlbekannt aus diversen deutschen Kino- und Spielfilmen sowie Fernsehserien, doch nebenbei bemerkt sollte auch seine famose, diabolische Liveshow “Apocalypso”, mit der er 2012 über die deutschen Bühnen fegte, nicht unerwähnt bleiben, denn hier bewies der gebürtige Bochumer einmal mehr, dass nicht nur Professionalität und absolute Livetauglichkeit wichtige vorhandene Attribute seiner Leistung sind, sondern auch seine Spontaneität. Und gerade letztere findet man auf diesem Hörbuch zuhauf. Doch speziell seine knorrig-schnodderige, verlebt anmutende und zuweilen herrlich kaputt wirkende Art des Vortragens ist für “Göttlich versumpft” Gold wert, denn hierdurch erscheinen die Erzählungen Juha Bergs völlig authentisch. Man merkt während des gesamten Hörbuches, dass Naujoks eine stark empathische Ader zu der Figur entwickelt hat, beinahe in deren Rolle geschlüpft zu sein schien und offenbar vieles aus dem Bauch heraus vorgetragen hat. Es wirkt alles schlichtweg echt.
Möchte man gerne mal ein krankes, auf Niveauansprüche einen gepflegten dampfenden Haufen setzendes Werk mit einem begnadeten Sprecher genießen, macht man mit vorliegender Veröffentlichung absolut nichts falsch.
Cover © Lübbe Audio
- Autor: Juha Vuorinen
- Titel:
Göttlich versumpft
Aus dem Tagebuch eines Saufkopfs - Originaltitel: Juoppohulun päiväkirja
- Übersetzer: Gabriel Schrey-Vasara
- Label: Lübbe Audio
- Erschienen: 15.08.2014
- Sprecher: Ingo Naujoks
- Spielzeit: 305 Minuten auf 4 CDs
- ISBN: 978-3-7857-4934-0
- Sonstige Informationen:
Bearbeitete Hörbuchfassung
Produktseite (u.a. mit Interview mit Ingo Naujoks)
Wertung: 11/15 dpt