Die Nichten der Frau Oberst (Spielfilm, DVD/Blu-Ray)

Die-Nichten-der-Frau-Oberst_ECD_dvd_coverErwin C. Dietrich, the next one. Richtiger müsste es heißen: Die nächsten Zwei, ist nämlich neben der bearbeiteten 1980er “Nichten der Frau Oberst”-Version, die höchst erfolgreiche Verfilmung aus dem Jahr 1968 im wie üblich umfangreichen Bonus-Teil enthalten. Ungeschnitten wie das 1980er Werk, allerdings nicht für Blu-ray aufgepimpt. Trotzdem in sehr achtbarer Qualität.
Guy de Maupassant und “Die Nichten der Frau Oberst” sind ein eigenes Kapitel für Literaturwissenschaftler. Man kann antiquarisch (u.a. erschienen in der ‘Exquisit’-Reihe des Heyne Verlags) eine Novelle/Roman dieses Titels käuflich erwerben. Doch was man erhält, wäre eine Studie wert. Laut Erwin C. Dietrich wird das Werk zwar Guy de Maupassant zugeschrieben, aber er wisse nicht, ob der französische Romancier tatsächlich der Verfasser aller  kursierenden Varianten sei.  

Angeblich hat Dietrich eine Seite des Buches De Maupassant gelesen, sich den Rest für die Verfilmung ausgedacht und anschließend einem Luxemburger Verlag erlaubt, seine Version (ebenfalls) als Maupassant-Buch auszugeben. ECD ist mittlerweile 84 und ein engagierter Schilderer von Anekdoten. Wohlmeinend, mit Spaß bei der Sache, aber ein Paradebeispiel für unzuverlässiges Erzählen.

Das zieht sich bis in die Bonusbeiträge hinein. Schauspieler Claus Tinneys Erinnerung weicht bei anderen Themen komplett von der Dietrichs ab, und Eric Falk, der ‘große kosmische Evolutionsphilosoph’ hat per se seine ganz eigenen Ansichten, was Filme, Spiritualität und das Sein im Allgemeinen und Speziellen (globaler Orgasmus) angeht.  Der Filmwissenschaftler Uwe Huber darf wieder geduldig dirigieren, damit die Herren – explizit ECD und Falk beim Audiokommentar – nicht komplett abschweifen. Trotzdem – oder gerade deswegen – macht es ungeheuer viel Spaß, den Ausführungen zu folgen. Denn außer über die nebulöse erotische Kosmologie, erfährt man viel Wissenswertes über die große Kunst des kleine-Filme-Machens; sprich über Erwin C. Dietrich und seine höchst effiziente und profitable Art der Filmproduktion selbst.

Doch zurück zur Geschichte der “Nichten der Frau Oberst” (wie es zum katastrophalen Flop der “Neffen des Generals” kam, kolportiert Claus Tinney in der Bonus-Sektion). Die Quellenlage ist höchst ungenau, wer mag, kann eine Hausarbeit darüber schreiben.

nichten-oberst-original-posterErwin C. Dietrich bereitet daraus Folgendes zu: Die verwitwete, sehr ansehnliche und agile Frau Oberst hat zwei bezaubernde Nichten, Florentine und Julia, die sie an den Mann bringen möchte. Das gestaltet sich in der Erstverfilmung nicht gar so leicht, da die jungen Damen hohe Ansprüche haben, die u.a.  Impotenz und Medikamentenmissbrauch mit anschließendem, körperlichem Verfall hervorrufen können. Außerdem haben sie sich selbst viel zu lieb. Frau Oberst tut ihr Möglichstes, um die beiden zu verheiraten und sieht zu, dass sie selbst nicht unbefriedigt zurückbleibt.

Die Verfilmung aus dem Jahr 1980 ist kaum noch pikante Brautschau, sondern ein erotischer Reigen, bei dem alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen, in unterschiedlichen Kombinationen. Am Ende ist die herrschaftliche Villa der Frau Oberst voll mit Bewohnern, Gästen, Angestellten und alle haben Spaß mit- und aneinander.

Zwölf Jahre sind eine lange Zeit. Blieb es 1968 bei wenigen Szenen mit blankem Busen, einem Hauch von Schambehaarung, ein bisschen Wälzen im Heu und angedeuteten lesbischen Vergnügungen, behält die Kamera 1980 die volle weibliche Nacktheit ausführlich im Fokus. Ein Porno wird an keiner Stelle draus.

Dietrich und sein Kameramann Peter Baumgartner sind bestrebt der weiblichen Schönheit,  unter Einbeziehung der Räumlichkeiten, des Inventars und der Dekoration, Tribut zu zollen. Das beherrschen die beiden, unterstützt von Walter Baumgartners heimeligem Soundtrack (die englische Version besitzt andere, wesentlich ‘rockigere’ Musikbegleitung). Die Verfilmung aus den Sechzigern besitzt noch einen sacht-elliptischen, dramatischen Aufbau, was besonders die Episode um den gebeutelten Alexander Monty betrifft, der von flüssigem Viagra über Kneipp-Kur (sehr amüsant in Szene gesetzt) bis zu verzweifelten Autofahrten über leere Autobahnen nach Italien, vieles tut, um seiner Florentine gerecht zu werden. Schafft er leider nicht, was möglicherweise auch an seiner Fixierung auf Frau Oberst liegt, was zu einem der unspektakulärsten Abgänge der Filmgeschichte führt. Aber so ist das beim ECD, ob Liebe, Laster oder Tod, das Leben geht weiter und irgendwas gibt es immer zu feiern. Wie die Schönheit  beispielsweise.

Und die lässt sich, Modererscheinungen außer Acht gelassen oder explizit miteinbezogen, in jedem der beiden Filme auf unterschiedliche Weise finden. Kai Fischer als Tante Oberst zieht sich im ersten Film kein bisschen aus – trägt lieber ein grünes Negligé zu ihren roten Haaren, was Dietrich ziemlich abscheulich fand -, Karine Gambier hat da weit weniger Scheu. Es gibt ein Wiedersehen mit der bezaubernden Brigitte Lahaie, deren Loblied Dietrich, Falk und Huber wieder in den höchsten Tönen singen,  Nadine Pascal, Francette Maillol, Cathy Stewart, insgesamt ist die halbe Belegschaft aus “Gefangene Frauen” wieder mit dabei und macht große Augen zum schönen Spiel – im Falle Will Stoers gibt es immerhin einen wesentlich gepflegteren Haar- und Bartschnitt.

Neu an Bord ist der wasserstoffblonde Muskelprotz Mike Montana, der wie aus “Blade Runner” entflohen scheint. Über den ECD und Eric Falk selbstverständliche kleine Geschichten und Mutmaßungen parat haben. Wie es über etliche andere Beteiligte einiges zu berichten gibt, was leider meist im Ungefähren bleibt.  Spuren verlieren sich oft nach der gemeinsamen Zeit mit Dietrich. Ein paar Aktricen waren kürzer oder länger im Pornogeschäft, manch eine(r) der Belegschaft ist mittlerweile verstorben. Oder auch nicht.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAWilde Zeiten haben ihre Opfer gefordert, die Kommentare erzählen davon. “Die Nichten der Frau Oberst” selbst ist wieder laissez faire-Kino vom feinsten, Hedonismus pur, freundlich und unbedarft, trotz seiner offensichtlich kommerziellen Ausrichtung. Und Brigitte Lahaie überstrahlt erneut alles. Sie ist eine der Wenigen, die auch heute noch präsent sind und deren Spuren sich leicht im Internet verfolgen lassen.  Demnächst in diesem Lichtspielhaus mit “Julchen und Jettchen – die verliebten Apothekerstöchter”.

Erwin C. Dietrichs Kino lebt. Daheim und in formal ansprechender Weise. Eine Reise in eine Zeit, als filmische Erotik noch keine Kurse in detailversessener Gynäkologie ersetzte, Effekte und Behaarung naturbelassen – beziehungsweise dezent frisiert – waren und elegante Lässigkeit nicht für langweilige Gestaltung gehalten wurde. Der katholische Filmdienst regte sich auf, der evangelische Filmbeobachter nannte den Film: “Schwülstiger Porno-Streifen [wirklich!] nach einem – wie es vielversprechend heißt – ‘jahrzehntelang verbotenen’ Roman von Guy de Maupassant, der aber mit dem Altmeister literarischer Erotik ungefähr so viel gemeinsam hat wie Kunstdünger mit Kunst”. Die Zuschauer kümmerte dies nicht, sie rannten trotzdem massenhaft ins Kino, 1968 wie 1980, und ECD kassierte. Hätte schlimmer kommen können. Und das tat es dann ja auch …

Cover & Szenenfotos © Ascot Elite Home Entertainment/Original-Poster © Cinefacts

  • Titel: Die Nichten der Frau Oberst
  • Produktionsland und -jahr:  Schweiz, 1980 + 1968
  • Genre:
    Erotik
    Softsex
    Drama
    Komödie
  • Erschienen: 22.07.2014
  • Label: Ascot Elite Home Entertainment
  • Spielzeit:
    89 + 89 (Original) Minuten auf DVD
    92 + 92 (Orignal)
    Minuten auf Blu-Ray
  • Darsteller:
    Karine Gambier
    Brigitte Lahaie
    Eric Falk
    Nadine Pascal
    Francette Maillol
    Kai Fischer (Original)
    Heidrun Hankammer (Original)
    Tamara Baroni (Original)
    Heiner Hitz (Original)
  • Regie: Erwin C. Dietrich
  • Drehbuch: Erwin C. Dietrich
  • Kamera: Peter Baumgartner
  • Musik: Walter Baumgartner
  • Extras:
    Audiokommentar,
    -Featurette “Die Nichten des Herrn Dietrich”,
    -Featurette “Peter Baumgartner, Filmkameramann”,
    -Interview mit Claus Tinney,
    -Fotogalerie, Mädchen, Machos und Moneten (ROM-Teil),
    -Interview mit Erwin C. Dietrich (ROM-Teil),
    -Originaltrailer (1980), Originaltrailer (1968), Trailershow,
    -DIE NICHTEN DER FRAU OBERST (Das Original von 1968) mit Intro von Darsteller Claus Tinney

  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1.78:1/16:9 + 2.35:1/16:9
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Dolby Digital 5.1
    Englisch, Dolby Digital 5.1
    Französisch, Dolby Digital 2.0
    (Original) Deutsch, Dolby Digital 2.0
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1.78:1/16:9, 1080p24 HD + 2.35:1/16:9
    Sprachen/Ton
    :
    Deutsch, DTS-HD Master Audio 5.1
    Englisch, DTS-HD Master Audio 5.1
    Französisch, Dolby Digital 2.0
    (Original) Deutsch, Dolby Digital 2.0
    Untertitel:
    D
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktlink

Wertung: 11/15 dpt

 

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