Romane in Serien – eigentlich braucht das doch niemand, der als Autor oder Leser literarisch etwas auf sich hält. Fließbandliteratur, Auftragsarbeiten, minimalste Variationen, ansonsten Blaupausen vorhergegangener Romane. So könnte man eine Rezension eines Krimis, der als x-ter Roman einer Serie erscheint, beginnen und gleichzeitig enden lassen. Doch in Andrea Camilleris Krimi “Der Tanz der Möwe” tauchen tatsächlich einige literarische Elemente auf, die diesem 17. Band seiner Reihe um den sizilianischen Commissario Montalbano zu einiger Relevanz verhelfen und die zeigen, dass auch das Fortschreiben von Reihen weit mehr sein kann als nur die bereits angesprochenen minimalsten Variationen mit maximalem Wiedererkennungswert. Ob es so etwas wie eine Poetik von Reihen und Serien gibt – der Rezensent ist sich nicht sicher. Eine erste Suche zeigt, dass sich die Wissenschaft bislang eher kaum mit dieser Frage beschäftigt hat. Natürlich, der Ripley der Highsmith wurde wissenschaftlich beackert, doch ansonsten zeigt sich die Literaturwissenschaft Serien gegenüber eher verschlossen und beschäftigt sich lieber mit vermeintlich “Genialischem” – was per Vorurteil eine Reihe nun mal nicht sein könne. Wer hier etwas Gegenteiliges zu berichten hat, der darf in den Kommentaren zur Rezension gerne einen Hinweis geben.
Doch erst mal kurz ein paar Takte zum Inhalt dieses Romans. Wir erleben einen symbolisch stark aufgeladenen Einstieg, in dem unser inzwischen doch schon recht alt gewordener Protagonist, Commissario Montalbano, morgens auf seiner Veranda eine Möwe sieht, die, offensichtlich tot, ihre letzten Pirouetten gen Erde, sprich Strand, dreht. Scheinbar federleicht, elegant, gar künstlerisch tänzerisch vollziehen sich diese letzten Bewegungen. Für Montalbano ein Idealfall, der Prototyp eines würdigen Todes – melancholische Töne und reflexive Betrachtungen über den nahen Tod, die man in den letzten Bänden der Reihe immer mal wieder lesen konnte. Diese allerdings werden schon bald abgelöst durch die beinahe schon fast sprichwörtliche Lust am Genuss. Genossen werden dabei von Montalbano sizilianisches Essen aber auch signifikant jüngere Frauen. Natürlich taucht auch ein veritabler Kriminalfall auf: Sein enger Mitarbeiter ist während eines nächtlichen Einsatzes spurlos verschwunden und scheint in die Fänge von Schmugglern, hinter denen die Mafia zu stehen scheint, geraten zu sein. Hier gilt es für Montalbano, ein wenig Licht in die inneren und weit verzweigten Strukturen der Mafia zu bringen. Dies geschieht niemals reißerisch, selten unter konkreten Einsatz des Lebens und oft steht die Organisation auch nicht im Zentrum der Fälle – doch wer seine Camilleris gelesen hat, der ahnt, wie tief, wie teilweise subtil, teilweise archaisch brutal die Mafia Besitz vom Alltag auf Sizilien ergriffen hat.
Natürlich hat in diesem Band auch eine Femme Fatale einen scheinwerferlicht-würdigen Auftritt – und zeigt, dass unser Held Montalbano alles andere als ein rein kriminalistisch denkender Kommissar ist. Vielmehr wird er doch hier wie auch kulinarisch den zahlreichen Reizen Siziliens erliegen. Senile Bettflucht – mal andersherum verstanden als Flucht ins Bett. Hier geht es schnurstracks in selbiges. Nun gut, man mag diese Szenen als Hommage an die “Hard-boiled”-Krimiliteratur und der Parallelität von “Sex and Crime” interpretieren – oder einfach als Auslebung seniler Lustgedanken. Goethe, Walser, Roth – beim Thema seniler Sex gehört Camilleri auf alle Fälle und unbedingt in diese Reihe.
Was vom “Tanz der Möwe” allerdings nachhaltig haften bleibt, ist die Erkenntnis, dass wir es auf der einen Seite mit einem solide gestrickten Krimi zu tun haben, der auf durchaus betuliche Weise aber dafür bis zum Ende hin eine ordentliche Portion Suspense erzeugt. Daneben agiert Andrea Camilleri wieder einmal sehr souverän als Botschafter Siziliens, dem der Spagat zwischen der Lebens- und Genusslust, die Süditalien immer noch für viele verheißt, und der allgegenwärtigen Präsenz von Korruption und Mafia gelingt. Es darf nicht verschwiegen werden, dass die Grenze zum Kitsch durchaus hier und da überschritten wird – aber auch das mag ein länderspezifisches Phänomen sein, geht es dem Rezensenten bei zahlreichen italienischen Autoren so. Die immer präsente Bauernschläue, das fast immer perfekte Timing in der Dialogführung und Passagen, die von lässiger Selbstironie zeugen, lassen die allzu süßlichen Stellen allzu schnell vergessen. Und so bleibt die Reihe um Commissario Montalbano auch in ihrer siebzehnten Variation spannend und bietet durchaus neue Perspektiven auf das, was man wohl irgendwann als Kulturgeschichte Siziliens wird extrahieren können. Ein Kochbuch mit Rezepten aus den Romanen gibt es – natürlich – schon. Doch hierin steckt weitaus mehr Potenzial – und wer ein Auge dafür hat, der wird diese Bücher nicht nur als reine Krimi- oder Sehnsuchtsliteratur lesen.
Cover © Lübbe
- Autor: Andrea Camilleri
- Titel:
Der Tanz der Möwe.
Commissario Montalbano erblickt
die Wahrheit am Horizont - Teil/Band der Reihe:
Band 17 der Commissario Montalbano-Reihe
- Originaltitel: La danza del gabbiano
- Übersetzer:
Rita Seuß
Walter Kögler
- Verlag: Lübbe
- Erschienen: 04/2014
- Einband: Hardcover
- Seiten: 272
- ISBN: 978-3-78572-499-6
- Sonstige Informationen:
Produktseite beim Verlag
Wertung: 10/15 dpt
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