Ganz London schüttelt anno 1909, zu Beginn des modernen Zeitalters, über den Amerikaner Harry Gordon Selfridge den Kopf, denn der geschäftstüchtige Mann kommt mit einer Idee in die englische Hauptstadt, die wahnwitzig und spektakulär zugleich klingt: Für die besser betuchten und beleseneren Damen möchte er ein Kaufhaus mitten in der Stadt errichten. Ein Kaufhaus, groß, pompös, schillernd und den Frauen alles bietend, was ihr spendierfreudiges Herz begehrt. Mitten im Herzen Englands. Und anstatt die Verkäufer nur Ware vorlegen zu lassen, wie es in Fachgeschäften einstmals völlig selbstverständlich war, möchte Selfridge seinen Kundinnen die Ware offen präsentieren – auf Theken und Auslagen, sodass man die Ware nicht nur offen beäugen, sondern auch in die Hand nehmen und fühlen kann.
Doch nachdem ein Investor, der gerade noch Feuer und Flamme war, skepsisbedingt abspringt, sieht es ganz danach aus, als ginge der Plan des wagemutigen Selfridge gründlich schief. Doch entgegen seinem abtrünnigen Geldgeber geht er selbst auf Risiko, denn Kapitulation zählt nicht zu den Attributen, die einen Harry Gordon Selfridge auszeichnen. Er ist schließlich nicht umsonst mit Mutter, Ehefrau und den gemeinsamen Kindern über den Teich nach England gekommen und hat seinen Plan nicht entworfen, um ihn dann doch zu verwerfen.
Nicht zuletzt sein Charme und sein geschäftlich ausgezeichneter Riecher sorgen dafür, dass das Selfridge’s noch im selben Jahr eröffnet wird. Doch die Kunden kommen nicht von selbst. Die Werbetrommel muss gerührt werden – und der Einfallsreichtum des Amerikaners ist gefragter denn je. Doch mit dezenten Flugzetteln oder dergleichen ist es nicht getan – die Kundschaft muss mit mutigen Werbemaßnahmen gelockt werden. Nicht sehr britisch, aber Aufmerksamkeit erregend: Sehr bald findet sich in Ellen Love ein bekanntes und geschätztes Showgirl, welches Selfridge für seine erste Werbekampagne gewinnen kann. Sie wird fortan zum Werbegesicht des Selfridge’s, und das mit reichlich Erfolg, denn endlich werden Kunden in den Laden gespült. Einfach wird es dennoch nicht, und eine einflussreiche Geldgeberin stellt auch die ein oder andere Bedingung, deren Erfüllung sie von Selfridge schlichtweg erwartet, da sie ihm ansonsten den Geldhahn kurzerhand zudrehen wird. Eine Gratwanderung für den Amerikaner.
Dennoch: das Selfridge’s revolutioniert das Shopping des 20. Jahrhunderts – und zahlreiche andere Vertreter der damaligen Prominenz werden für das Kaufhaus gewonnen, denn der Kundenkreis soll in vielerlei Hinsicht erweitert werden – und die lauernde Konkurrenz wie beispielsweise Woolworth soll ja auch irgendwie in Schach gehalten sein. Zudem gilt es selbstverständlich noch, die vielen Mitarbeiter zu viel Fleiß zu motivieren, sie zu respektieren und ein offenes Ohr für sie zu haben, bei Handlungsbedarf allerdings auch mal hart durchzugreifen.
Auch privat wird es nicht einfach für den umtriebigen, arbeitsamen Familienvater, denn zum einen ist seine Frau Rose oftmals sehr allein, seine Kinder wachsen heran – und die Tatsache, dass Ellen Love nicht gerade mit ihren Reizen geizt, entgeht Selfridge absolut nicht – und schon schrillen die Alarmglocken der Ehe.
Ganz klar: Ein wilder Mix aus Drama, Intrigen, Hoffnung und Rückschlägen rollt bereits früh an und zieht den Zuschauer sofort in seinen Bann. Zuerst fällt auf, mit welcher Hingabe das Team den Anfang des vorangegangenen Jahrhunderts authentisch wiederzugeben versucht. Die liebevoll gestaltete Kleidung, die stilvollen Hüte, all die Häuser, Straßen und Einrichtungen, die damaligen Automobile – alles ist absolut glaubwürdig in Szene gesetzt, sodass man als Zuschauer direkt das Gefühl hat, ein Jahrhundert zurückkatapultiert worden zu sein – da ist es beinahe enttäuschend, dass man gerade beim Innenleben der Gebäude digital ganz schön gemogelt hat. Dies allerdings so raffiniert, dass alles zu hundert Prozent echt erscheint. Und die Verwunderung sofort wieder vergessen macht.
Die Hinweise auf “Downton Abbey”, die allerorts gegeben werden, mögen vielleicht in der allgemeinen Atmosphäre der Serie sowie derselben Epoche liegen, zumal mit Amanda Abbington ein unverkennbares Gesicht in “Mr Selfridge” auftaucht, aber man täte vorliegender Produktion Unrecht, sie deswegen in dieselbe Schublade zu stopfen, zumal durch solche Etikettierungen oftmals vorschnell Voreingenommenheit aufkommen kann. Doch hierfür ist “Mr Selfdrige” schon alleine aufgrund der Thematik eine Serie, die völlig für sich allein steht.
Im Fokus der Serie steht eindeutig das Leben des echten Mr Selfridge und die Entwicklung seines Kaufhauses – inwiefern in dieser auf dem Buch “Shopping, Seduction and Mr Selfridge” von Lindy Woodhead basierenden Biographie Dinge hinzugedichtet wurden, kann mangels Wissen über diesen Mann, der einen großen Teil zum Einkaufengehen, wie wir es heute kennen, beigetragen hat, nicht sagen, doch man bekommt stets das Gefühl vermittelt, dass es sich genau so ereignet haben könnte.
Mit Jeremy Piven (vor allem bekannt aus “Entourage”) hätte man wohl kaum einen besseren Protagonisten für die Serie wählen können, denn er spielt seine Rolle (die Rolle seines Lebens?) glaubwürdigst. Als Zuschauer ist man stets hin- und hergerissen zwischen Sympathie und Antipathie. Einerseits denkt man: »Mensch, was für ein netter, smarter Kerl, mit dem lässt sich bestimmt nächtelang bei gutem Scotch philosophieren und an verrückten Ideen arbeiten!« und andererseits würde man diesem aufgeblasenen Charakterschwein am liebsten mal mittels Faustschlag in die dauergrinsende Visage den Kopf waschen. Es ist offensichtlich, dass die Rolle genau darauf angelegt wurde, und Piven ist die perfekte Verkörperung derselben.
Ränkespiele und Beziehungen zwischen Mitarbeiter/innen stehen allerdings ebenso auf der Tagesordnung wie die persönlichen Geschichten einzelner Charaktere, und diese Multitexturalität tut der Serie außerordentlich gut. So hat der Personalchef ebenso sein Päckchen zu tragen wie die einst in einem sehr spießigen Geschäft tätige, von ihrem dortigen Chef herausgeworfene junge Kollegin im Verkauf, welche mit ihrem Bruder zusammenwohnt, der nichts auf die Reihe bekommt. Doch Selfridge verhilft ihr zu einem Job, und auch ihr Bruder hätte eine gute Chance für ihn zu arbeiten. All diese familiären und amourösen Verstrickungen sorgen für lebendige Episoden, die stets mit einem Mini-Cliffhanger enden.
Passend zum Pomp und Glamour werden auch hinsichtlich Musik schwere Geschütze aufgefahren, und so bombastet und rummst es klassisch und prunkvoll aus den Boxen – es mag manchmal zu dick aufgetragen erscheinen, aber gerade im Hinblick auf die Filmfigur des Kaufhausgründers wäre es kaum passend gewesen, die Musik einen Gang behäbiger zu komponieren.
Ein weiteres Thema jenseits des Kaufhauses ist das Frauenwahlrecht – gerade in London kämpften Suffragetten, denen die Frauen vieler Länder zu verdanken haben, heute zur Wahlurne gehen zu dürfen, für das Frauenwahlrecht – und während nahezu alle männlichen Vertreter der menschlichen Spezies erzürnt und verächtlich reagierten, war es Selfridge höchstpersönlich, der sich für diese Frauen einsetzte und ihnen ermöglichte, das damalige England einen bedeutenden Schritt in Richtung Moderne und Gleichberechtigung zu bewegen- die rigiden Geschlechterrollen wurden aufgeweicht.
Auch trug Harry Gordon Selfridge maßgeblich dazu bei, dass die Prüderie ein kleines Stückweit zurückgegangen war – und hierbei ist Grinsen vorprogrammiert, wenn die doch braven, anständigen Frauen hinter vorgehaltener Hand über diese eine Frau dort vorn tuscheln, deren »Kleid ja nur bis zu den Knöcheln reicht!«.
Insgesamt ist “Mr Selfridge” als eine außerordentliche Serie zu bezeichnen, die ihren ganz eigenen Charme besitzt, die Neugier stets am Leben hält und den Zuschauer gekonnt an den Bildschirm fesselt. Man fiebert mit, wie sich das Selfridge’s entwickelt, man wünscht den Mitarbeitern die Anerkennung, die sie verdienen, doch man wünscht so manchem ebenso, dass er endlich mal ausgebremst wird oder zumindest ein Stück weit für sein Verhalten bestraft wird. Doch gleichermaßen ist diese doch sehr britische Serie unglaublich hinreißend und zuweilen schlichtweg zuckersüß, besonders hinsichtlich der Gepflogenheiten und des Auftretens der Menschen damals – die Gentlemen mit ihren schicken Hüten und Zylindern, die Damen in ihren aufwändigen Kleidern – das Verhalten zu- und miteinander, das Kavalier- und das Dame-Sein.
Angenehm ist auch, dass hier viele Charaktere ihre eigene Geschichte zu erzählen haben und das Ganze nicht nur auf die typischen dreieinhalb Protagonisten reduziert wird. Immer wieder wechselt das Szenario, immer wieder bekommt man einen Einblick in die Welt der anderen – und besonders hoch anzumerken ist hierbei, dass selbst die Nebendarsteller und Statisten ein schauspielerisch derart hohes Niveau an den Tag legen, dass es ein Genuss ist.
Und dieses Wort kann man auf die komplette Staffel dieser neuen Serie übertragen, denn das ist sie: ein Genuss.
Cover & Szenenfoto © Universal Pictures Home Entertainment
- Titel: Mr Selfridge
- Originaltitel: Mr Selfridge
- Staffel: 1
- Episoden: 10
- Produktionsland und -jahr: GB, 2013
- Genre:
Drama, Biographie, Serie - Erschienen: 04.09.2014
- Label: Universal Pictures Home Entertainment
- Spielzeit:
464 Minuten auf 3 DVDs - Darsteller:
Jeremy Piven
Frances O’Connor
Zoe Tapper
Tom Goodman-Hill
Amanda Abbington
Samuel West
Nick Moran
Oliver Jackson-Cohen
Will Payne
Polly Walker
uvm. - Regie: Andrew Davies
- Extras:
Selfridges: Damals und Heute
Making Of - Technische Details (DVD)
Video: 1,78:1 Widescreen
Sprachen/Ton: D, GB (Dolby Surround 2.0)
Untertitel: D, GB - FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Produktseite beim Filmlabel
Wertung: 13/15 dpt