Wenn ich auf die Frage meiner Herkunft antworte, ich sei aus Hessen, fangen die Leute an zu babbeln und zitieren Badesalz.
Falsch!
Mää Nochdhessen hons anners gelernt. Denn der Frankfurter Dialekt ist vielleicht nett anzuhören (ungefähr so – wie ein Zahnarztbohrer oder das Geräusch, das Fingernägel auf einer Schultafel machen), ist aber nicht repräsentativ für alles Hessische außerhalb Frankfurts (oh ja, da gibt es noch mehr). Umso beglückter war mein kultur- und musikliebendes Herz, als ich eine sehr spezielle Schallplatte in der verbotenen Abteilung meines Plattendealers vorfand: JanHagel, eine Band, die dem “derzeit (1987, Anm. d. Kolumnisten) kulturellen Entwicklungshilfegebiet Nordhessen” etwas Entwicklungshilfe leisten möchten.
Auf dem – durchaus ansprechenden – Cover werden ein paar nordhessische Hillbillies, bewaffnet mit Kontrabass und Mandoline, von einem nordhessischen Mob (Ausdruck der viel gerühmten nordhessischen Galanterie) aus einem typischen nordhessischen Fachwerkstädtchen gejagt – quasi “vervolkt”, so der Titel des Machwerks. Dem pöbelnden Mob ist nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen. Sogar Nick Hornby bemerkte einmal sehr treffend, dass Musiker seit der Erfindung der Laute Arschlöcher seien. Nach dem ersten Hören kommt mir jedoch der Gedanke, dass es auch an der Musik selbst liegen kann, wenn sich ein Mob formiert.
Dabei schafft es die Musik durchaus, nostalgische Gefühle zu wecken – sie erinnert stark an die Band aus dem 1979 entstandenen Film “Der Räuber Hotzenplotz” mit Gerd Fröbe, in dem – um peinliche logische Lücken zu überbrücken – stets eine Kommunen-Hippie-Band hinter dem nächstbesten Baum hervorspringt, um uns durch musikalische Globuli den Anschluss an den dürftigen Plot zu ermöglichen. JanHagel haben jedoch den Vorteil, dass ich sie nicht hinter meinem Kühlschrank vermuten muss, hinter dem sie sich verstecken, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass die Zwackelmann’sche Gruft in mein Gefrierfach verlegt wurde. Stattdessen erinnern sie mich mit Textzeilen wie »Oh nein, oh nein, oh nein, keine will mich frei’n«, dass ich als Nochdhesse ein einsames Wesen bin – ein Exot in kultureller, kulinarischer (Weckewerk) und gesellschaftlicher Hinsicht.
Wobei man ja auch mal erwähnen darf, dass Nordhessen in kultureller Hinsicht eigentlich auch sonst viel zu bieten hat. Wir haben die Documenta! Ja. Und da war doch was mit den Brüdern Grimm… Da war doch was. Ach ja, das Rumpelstilzchen war mal Bürgermeister von Kaufungen, einem kleinen Ort in der Nähe des niedersächsischen Grenzzaunes.
Ansonsten ist der Nordhesse von schlichtem Gemüt. JanHagel singen von des Gatten Fahrt ins Heu (ja Heu jahoiahoi), dessen Holde die Gelegenheit ergreift, um einen feschen Burschen zu empfangen. Ein Problem, welches älter als die Menschheit selbst ist. Wer uns jedoch vorwirft, provinziell zu sein und dass unser Horizont nicht weiter als von Marburg bis nach Kassel reicht, wird durch den Song “Auf ihr Brüder!” Lügen gestraft: »Auf ihr Brüder lasst uns wandern, fröhlich nach Amerika« heißt es dort und zeugt davon, dass auch des Nordhessen Herz beizeiten in der Ferne schlägt und wir uns nicht als Bewohner des gelobten Landes sehen. Den verbürgten Fall eines Nordhessen, dessen Wanderschaft über den Atlantik geglückt ist, gibt es dennoch nicht.
“Soldaten, das sein lustige Brüder” zeigt der Welt, dass nordhessische Soldaten die besten auf der Welt sind. Mit einem lustigen Lied auf den geschürzten Lippen stoßen wir unsere Bajonette ins gegnerische Fleisch (vorzugsweise Ćevapčići und Saltimbocca). Golfkriegssyndrom? Nicht mit uns! Denn des Nordhessen schlimmster Feind ist noch immer seine Ehefrau (»Frau nahm den Rockenstock, schlug ihrem Mann übern Kopf«). Darauf bleibt dem feinen Herrn nur seine Tabakspfeife. Denn, wie Mark Twain schon sagte: »Zuerst schuf der liebe Gott den Mann, dann schuf er die Frau. Danach tat ihm der Mann leid und er gab ihm den Tabak.« Und vielleicht beantwortet Twain damit die von JanHagel gestellte Frage:
»Pfeifchen, wer hat dich erfunden,
wem verdankst du dein Entstehn?
Ist dein Name auch entschwunden,
Sag warum, sag warum ist das geschehn?«
Damit endet die Schallplatte “Vervolkt”, und ebenso dieses Pamphlet.
Herzlichst,
Euer RoboMob
JanHagel ist übrigens der Nochdhessische Ausdruck für “Pöbel” oder “das gemeine Volk” – das Wort Mob dagegen kommt vom lateinischen “mōbile vulgus”, was übersetzt soviel heißt wie “das wankelmütige gemeine Volk”. Hier wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
JanHagel – Vervolkt
1 € dafür bezahlt.
Eigenverlag, 1987