Da die Form der Veröffentlichung ein wenig eigenwillig ist und Vol. 1 alle sechs Folgen der ersten Staffel, allerdings auch vier der 28-folgigen zweiten Staffel beinhaltet, deren restliche 24 Episoden noch mal für Vol. 2 und Vol. 3 in je zwölf Folgen aufgeteilt wurde, wäre es ein wenig unsinnig, diese beiden Volumes separat zu besprechen.
Der Zuschauer begleitet das heterogene Team bei seinen weiteren, komplizierten Fällen, bei denen die finanziellen Interessen der noch chaotischen und mittellosen Kanzlei berücksichtigt werden müssen, sodass bei ihnen oftmals die hoffnungslosesten und gesellschaftlich,
ethisch und moralisch schwierigsten und grenzwertigsten Rechtsangelegenheiten landen und auch geklärt werden müssen – stets im Wissen, dass im Falle eines negativen Urteils gegen die Klienten der Kanzlei auch Unmengen von Geld verloren gehen könnten, was Donnell & Partner in die roten Zahlen treiben würde.
Diese stetige Gratwanderung, dieses stetige Suchen nach der einen rechtlichen Möglichkeit oder einem guten Deal, kratzt beachtlich am Nervenkostüm. Robert Donnell (Dylan McDermott), Kopf der Kanzlei, muss hierbei mit einer Doppelbelastung leben, denn er muss sich nicht nur an den unlösbar scheinenden justitiellen Problemen die Zähne ausbeißen und abwägen, inwieweit eine Verteidigung überhaupt vertretbar ist, sondern auch seine Partner im Griff haben – und die machen es ihm mit ihren gelegentlichen Alleingängen nicht einfach. Da Donnell trotz seines resoluten Auftretens sehr menschlich und emotional ist, treibt ihn das immer wieder an die Grenzen seiner Kräfte. Hinzu kommt, dass sein Herz hin und hergerissen ist zwischen Kollegin Lindsay Dole (Kelli Williams) und der Staatsanwältin Helen Gamble (Lara Flynn Boyle) – all dieses Chaos um ihn herum und in seinem Kopf – wie lang wird er es verarbeiten und ordnen können?
Anwalt Eugene Young (Steve Harris), ein Bär von einem Mann, scheint sich häufig in seinen Vorhaben zu übernehmen, doch letztendlich weiß auch er durch Menschlichkeit und Herz in den meisten Momenten den richtigen Ton zu treffen – allerdings ist auch er ein emotionaler, um nicht zu sagen, sehr impulsiver Zeitgenosse, der sein Unverständnis durchaus auch mal in physischer Form zeigt. Und ähnlich wie die hochsensible Ellenor Frutt (Camryn Manheim) ist auch er auf der Suche nach jemandem, der sein Leben wenigstens auf privater Ebene etwas ins Gleichgewicht bringt.
Lindsay hingegen fühlt sich oftmals zu sehr als Adlatin und möchte aus verständlichen Gründen nicht weiter das Küken sein. Ihre bestimmte und dennoch empathisch gesteuerte Art navigiert sie im Grunde stets in Richtung der sinnvollsten und kanzleidienlichsten Entscheidung, doch das Problem hierbei ist, dass sie sich immer weniger an Anweisungen, noch weniger allerdings an Absprachen hält. Ihre Alleingänge häufen sich, und das sorgt berechtigterweise für viel Zwist.
Eine ähnliche Zurückgestelltheit fühlt auch James “Jimmy” Berluti (Michael Badalucco), der zuletzt zur Kanzlei hinzugestoßen ist. Dieser herzensgute Kerl will auch nicht weiter in der zweiten Reihe agieren und seinerseits endlich echte, große Fälle bearbeiten – doch immer wieder wird er vom Team, allen voran von Donnell, der ihm noch nicht das entscheidende Maß an anwaltlicher Finesse zutraut, zurückgepfiffen. Das deprimiert und verärgert Berluti – und so muss der sich etwas einfallen lassen, damit auch ihm endlich der Respekt gezeigt wird, den er seiner Meinung nach verdient. Einerseits wagt er beeindruckende mutige Schritte, andererseits reitet er sich dadurch in die ein oder andere, sehr beschämende Situation…
Auch im weiteren Verlauf ist die Serie komplex gestrickt. Da gibt es Fälle, die innerhalb einer Zweidrittelepisode gelöst werden, während parallel ein weiterer Fall läuft, der sich gerne auch mal über zwei Episoden zieht, ein weiterer erstreckt sich gar über vier oder fünf Folgen. “Practice – Die Anwälte” besitzt seine ganz eigene Dynamik, seinen ganz eigenen Rhythmus, und man weiß nie, wann welcher Rechtsstreit geklärt ist. Und genau das ist die geheime Gewürzmischung, die diese Serie ausmacht. Vielmehr ist sie ein in Portionen gehacktes langes Justiz-Epos, das sich fernab von Anwalts-Procedurals bewegt.
Das Setting ist im Gegensatz zu zahlreichen Anwaltsserien – auch zu solchen aus den Neunzigern – angenehm echt, angenehm “dreckig” im Sinne von Nicht-Hochglanz, angenehm mitten aus dem Leben gegriffen. Und was bereits für Vol. 1 galt, kann man auch hier ohne weiteres so stehen lassen: “Practice – Die Anwälte” war seiner Zeit meilenweit voraus und wusste durch seine Vielseitigkeit hinsichtlich Gerechtigkeitsempfinden Fragen im Zuschauer aufzuwerfen. Der Zuschauer wird dazu bewegt, bestimmte Dinge zu hinterfragen, ein subjektives Falsch oder Richtig mit einem objektiven Falsch oder Richtig abzuwägen, und diese Kopfarbeit, gepaart mit unglaublich viel Menschlichkeit, lässt diese Serie zu einem wirklich beeindruckenden Gesamtwerk avancieren. Und es ist beileibe nicht so, dass man stets auf einer Seite steht – in vielen Fällen kann man beide Seiten nachvollziehen.
Die Dialoge sind äußerst zackig arrangiert, und in den Situationen, in denen man sich einander überwirft, entsteht selbst in dem vor dem Fernseher sitzenden Anwesenden eine eigenwillige Spannung – die Kraft, mit der die Eindrücke wirken, reißt mit, man hält die Luft an, man spitzt die Ohren, schärft all seine Sinne und wartet mit den Anwälten auf den Fehler der Gegenseite. Inmitten der oftmals berührenden Szenen findet sich hier und dort eine wohldosierte Prise Humor, sodass die Gesamtstimmung immer eine gewisse Ausgewogenheit in sich birgt und neben Downer-Themen eben auch mal ein wenig Grinsen angesagt ist. Nicht in dem Maße wie in Ally McBeal oder vor allem Boston Legal, aber eben hier und dort sensibel eingesetzt präsent.
Auch in den vorliegenden zwei Dutzend Folgen sieht man so manche Gastdarsteller (unter anderem auch einen Teil des “Ally McBeal”-Teams) und solche, die man einige Jahre später in zahlreichen anderen Serien kennengelernt hat – diese aufzuzählen wäre müßig, aber als Seriennarr darf man sich immer wieder, fast in jeder Episode denken: “Oh, den/die kennen wir doch…” – und das ist, gerade wenn man “Practice – Die Anwälte” damals verpasst hat, auch ein wenig amüsant. Letztendlich zeigt sich damit jedoch ganz deutlich, wie viele exzellente und auch langjährig begehrte Darsteller in US-Serien unterwegs sind. Da können sich beispielsweise die deutschen Darsteller/innen in puncto Qualität und Wandelbarkeit einige Scheiben abschneiden.
Diese über fünfzehn jahre alte Serie besitzt auch heute noch eine erstaunliche Aktualität und zeigt auf, dass sich in vielerlei Hinsicht im Denken der Menschen noch nichts verändert hat, was Prüderie, Doppelmoral, Egoismus und Rassismus betrifft – wobei dies nur vier der unzähligen wunden Punkte der Gesellschaft sind, von welchen zahlreiche in “The Practice” gewissermaßen Kernthemen darstellen.
Es ist zu hoffen, dass nach diesen ersten beiden , in drei Volumes gepackten Staffeln noch Nachschub folgt, denn diese Serie ist es definitiv wert, neu aufgelegt zu werden – doch sollte dies je der Fall sein, wäre es eine Wohltat, wenn man ab der dritten Staffel keine Stückelei mehr betriebe, sondern wirklich komplette Staffeln auf den Markt bringt – optimalerweise auch die vorletzte, siebte, denn die fand im deutschen TV nie statt.
Doch dies ist Zukunftsmusik, die obendrein aus Noten subjektiver Wunschvorstellungen komponiert ist – spüren wir wieder den Boden der Tatsachen unter den Füßen, so finden wir uns erst einmal mit der Veröffentlichung der bisher erschienenen, insgesamt drei Zwölf-Folgen-Pakete ab. Die alle drei wärmstens zu empfehlen sind.
Cover & Szenenfotos © STUDIOCANAL
- Titel: Practice – Die Anwälte
(im TV auch: Einspruch! Kanzlei Donnell & Partner) - Originaltitel: The Practice
- Staffel:
Vol. 2: Folge 5-16 von Staffel 2
Vol. 3: Folge 17-28 von Staffel 2 - Produktionsland und -jahr: USA, 1997-98
- Genre:
Anwaltsserie, Drama, Comedy
- Erschienen:
Vol. 2: 27.02.2014
Vol. 3: 27.03.2014 - Label: STUDIOCANAL
- Spielzeit:
Vol. 2: 512 Minuten auf 3 DVDs
Vol. 3: 507 Minuten auf 3 DVDs - Darsteller:
Dylan McDermott
Lara Flynn Boyle
Steve Harris
Michael Badalucco
Lisa Gay Hamilton
Camryn Manheim
Kelli Williams
Linda Hunt
und viele, viele mehr
- Idee: David E. Kelley
- Extras:
Vol. 2: Wendecover
Vol. 3: Wendecover - Technische Details (DVD)
Bild: 1,33:1 (4:3 Vollbild)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (Stereo DD) - FSK:
Vol. 2: 12
Vol. 3: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite Vol. 2
Produktseite Vol. 3
Wertung: 12/15 dpt