Im Jahr 1907 findet der Hobbyforscher Josef Siedler im Höhlensystem Hölloch bei Schwyz einen Felsen, der ein merkwürdig summendes, ja brummendes Geräusch von sich gibt, wenn man sein Ohr daran hält – und ein Stück jenes Felsens nimmt er in seinen Besitz. In geschriebener Form rund einhundert Seiten lang, wird in etwa auch eine hundertjährige Zeitspanne in “Brummstein” abgehandelt, und so wandert der mysteriöse Stein diese zehn Dekaden lang durch zahlreiche Hände quer durch Deutschland und somit durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Zweite Weltkrieg, die DDR und letztendlich die westdeutsche Nachkriegszeit.
Im Verlauf der Erzählung gerät der Brummstein in die Hände des anarchistischem Neffen Siedlers, bis er irgendwann bei einem jüdischen Mädchen landet, um später in den Besitz einer Avantgardekünstlerin zu gelangen. Adolphsen erzählt auf sehr eloquente, gerne auch ironische oder lakonische, zuweilen wissenschaftliche, ergo vielfältige, gerne auch kafkaeske, seebergsche oder borges’sche, aber stets nachvollziehbare Weise, die man beinahe als schizophren bezeichnen kann, denn der Stein ist gleichermaßen “Protagonist” wie Nebensache:
Einerseits stellen sich diejenigen, die diesen Stein irgendwann erhalten, natürlich die Frage, was es mit diesem Ding auf sich hat – und während diese Personen rätseln oder den Brummstein bestaunen und die Dokumentationen der jeweiligen Vorbesitzer ebenfalls in Empfang nehmen, bekommt der Leser/Hörer einen Einblick in das Leben der gerade den Stein besitzenden Menschen. So sind im Grunde die Menschen der Mittelpunkt des Geschehens, dann jedoch wieder der Stein selbst, denn sobald der Stein weiterwandert, findet ein radikaler Switch statt – die Personen, die den Stein aus der Hand geben, verschwinden komplett aus dem literarischen Kino und die Nachbesitzer rücken ins Bukd.
Adolphsen weiß diese Revuepassage eines Jahrhunderts gekonnt und stilistisch stets den derzeitigen Situationen und Menschen angepasst wie aus einem Guss zu präsentieren und gibt der Literatur wieder ein Stück ihrer Bedeutung zurück: Kunst, die etwas zu erzählen hat. Dem dänischen Schriftsteller gelingt dies in sehr kompakter Form, ohne ein Gramm geschriebenes Fett, ohne Füllmaterial, sondern vollgepackt mit Ausdruck und Eindrücken.
Sprecher Samy Andersen weiß Adolphsens Schreibstil stimmlich ganz passabel zu adaptieren, doch hier und dort hätte man sich dann doch ein wenig gewünscht, dass er die ein oder andere Situation oder Geschehnisabfolge etwas lebendiger vorläse, denn hier und dort macht sich durchaus mal etwas Nachrichten- oder Dokumentarfilm-Flair breit. Doch über diese kleine Schwäche kann ob der inhaltlichen Dichte problemlos hinweg gehört werden, denn vom seelenlosen Leseroboter ist Samy Andersen Lichtjahre entfernt.
Letztendlich ist “Brummstein” ein äußerst originelles Stück Schrift, das kurzweilig genug vorgetragen wird, um auch in Hörbuchform ein Genuss zu sein – angesichts der Spielzeit allerdings eher ein kleiner Snack für zwischendurch. Ein literarischer Energierigel sozusagen.
Cover © Egmont Hörverlag
- Autor: Peter Adolphsen
- Titel: Brummstein
- Originaltitel: Brummstein
- Übersetzer: Hans Grössel
- Label: Egmont Hörverlag
- Erschienen: 12.03.2014
- Sprecher: Samy Andersen
- Spielzeit: 1 Stunde, 54 Minuten
- ISBN: 978-8-71133-238-2
- Sonstige Informationen:
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