“Unternehmer” – vager, unprätentiöser und eigentlich auch unspannender könnte ein Romantitel gar nicht lauten. Dennoch hat sich Matthias Nawrat genau diesen Titel ausgesucht – oder vom Verlag aussuchen lassen (müssen) und liefert einen kleinen Einblick in das Leben einer Klein- beziehungsweise Kleinstunternehmerfamilie, der eine ganzes Universum an Fragen und Themen entwirft. Um es gleich mal vorweg zu nehmen. “Unternehmer” ist ein literarisches Wunderwerk, das gerade durch seine Verschwiegenheit, durch seine erzählerischen Lücken und die Luft, der der Autor dem Leser zum Atmen und Denken lässt, punktet und es ist dabei auch noch hoch-inspirierend.
Über Träger literarischer Preise mag man nun sagen, was immer man will. Doch dass Matthias Nawrat für die Lektüre aus der Exposition seines Romans Jury und Publikum des Ingeborg-Bachmann-Preises in seinen Bann zog, verwundert kaum. Sofort ist der Leser mitten im Alltagsleben einer vierköpfigen Familie, deren Zukunft von einer kleinen Kreissparkasse und der Idee des Vaters, mit dem Auffinden von verwertbaren Materialien wie Eisen, Wolfram oder Tantal das ganz große Geld zu machen, abhängt. Mit zur Familie und damit auch zum Unternehmen gehört die dreizehnjährige Lipa, mehrfache “Mitarbeiterin des Monats” und der “einarmige Berti”, der kleine Bruder Lipas. Die Zukunft ist in dieser Familie allerdings keine abstrakte Größe, sondern das genaue Bild eines neuen Heims – nicht irgendwo, sondern in Neuseeland. Dieses Ziel, so der Vater, erreiche man höchstens als selbständiger Unternehmer und mit einer genialen Idee wie der seinigen.
Tatsächlich stehen die Weichen auf Erfolg, schließlich lassen sich in der damals strukturschwachen Schwarzwaldregion zahlreiche Industrieruinen “ausschlachten”. Doch schon sehr bald scheint die Grenze des Unternehmenswachstums erreicht. Die Suche wird für alle Familienmitglieder kraftraubender und ist immer mehr mit Enttäuschungen behaftet. Da nützen auch die anfangs sicherlich motivierenden Auszeichnungen zum “Mitarbeiter des Monats” oder “Agent für Spezialaufgaben” nicht mehr weiter. Als dann auch noch der Sparkassenmitarbeiter, der natürlich alles über die Familienverhältnisse weiß, wie das im dörflichen Umfeld so üblich war, seine Macht ausspielen möchte und andeutet, dass er zukünftige Kredite eher an ein anderes Unternehmen vergeben werde, droht der Traum zu platzen. Es ist aber nicht nur der Traum des trauten Eigenheims auf Neuseeland, sondern auch die Illusion des Vaters, der sich als Selbstständiger, Unternehmer und Herr seines Tuns betrachtet, die hier auf dem Prüfstand steht. Floskelartig repetiert Lipa die prägnanten und teilweise entlarvenden Definitionen, was denn ein Unternehmen sei und was einen Unternehmer auszeichne. Nawrat gelingt es hier mit der fast schon verzweifelten Naivität der 13-jährigen Lipa, die zentralen Glaubenssätze unserer kapitalistischen Grundordnung, die früher einmal eine freiheitlich-demokratische war, auf den kleinstmöglichen Kosmos des Kernfamilienunternehmens zu übertragen. Doch keine Angst, “Unternehmer“ ist kein politisch-agitativer Roman – er entlarvt und will einfach nur mal fragen.
Was ist das Wesen der Arbeit? Und in welcher gesellschaftlichen oder sozialen Konstellation lässt sich wahr Selbstständigkeit realisieren? Bedeutet eine Arbeitsstelle zwangsläufig eine weitestgehende Identifikation des Ich mit der Arbeit? Ist es nicht eher das Wesen der Arbeit, für die zweite Person in sich selbst zu arbeiten, die eigentlich gar keine Lust auf das Arbeiten hat, die Erlöse aus selbiger aber dringend benötigt, um sich ein sorgenfreies Leben in Neuseeland zu erkaufen? An dieser gesellschaftlich und persönlich-individuell zentralen Frage lässt der junge Erzähler Matthias Nawrat das zahlenmäßig überschaubare Personal seines Romans knabbern. Die Frage nach der Selbstbestimmtheit des “Ich” dekliniert Nawrat aber nicht allein anhand des Unternehmertums durch, sondern bietet mit der Behinderung des Sohnes und der pubertierenden Lipa weitere Handlungsstränge, die diesem Themenkomplex weitere spannende Facetten hinzufügen.
So universell diese Fragen sein mögen, sosehr gelingt es Nawrat diese Geschichte durch seinen speziellen Sprachduktus regional zu verankern.
Wer sich beim Lesen teilweise an die Romane Arnold Stadlers erinnert fühlt, ist womöglich mit dieser Einschätzung nicht ganz alleine. Doch Nawrat versucht keinesfalls, hier einem etablierten Schriftsteller nachzueifern. Die Sprachmelodie und die assoziative Konstruktion der Sätze korrelieren mit dem Milieu und dem Setting dieses Romans und verströmen eine unmittelbare Authentizität, die dieses Buch nicht nur zu einem Meisterwerk des Fragen-Aufwerfens sondern auch zu einem waschechten – und doch untypischen – Pageturner machen.
Cover © rowohlt Verlag
- Autor: Matthias Nawrat
- Titel: Unternehmer
- Verlag: rowohlt
- Erschienen: 03/2014
- Einband: gebunden
- Seiten: 144
- ISBN: 978-3-498-04612-5)
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Wertung: 13/15 dpt