Text vs. Wirklichkeit – Round 1
Dieses Weltraum-Abenteuer in Romanform hinterlässt einen dermaßen gespaltenen Eindruck, dass sich der Marianengraben dagegen wie ein fransiges Schlagloch auf irgendeiner Seitenstraße unserer Republik ausnimmt. Paratexte, quasi die Verkehrsbeschilderung des Lesenden, möchten über diesen Fakt hinwegtäuschen und wirken dabei sträflich deplatziert. Als hätte jemand einen Zebrastreifen über der 11 km tiefen Tiefseerinne aufgepinselt. Der Titel “Galaxy Tunes®” ist Marketing-Bullshit par exzellence. Hinzu kommt der mit den weißen Apple-Ohrstöpseln stilisierte Alien auf dem Cover. Beides ist irreführend. Es geht weder direkt um Apple noch um iTunes. Vermutlich möchte man Kurzschlusskäufe bei Freunden und Feinden dieser Produkte anregen. Im Original jedenfalls trägt das Buch den Titel “Year Zero”, verziert mit einem klassischen Alienkopf, der stark an das Logo der illegalen Musiktauschbörse Napster erinnert. Das ergibt schon wesentlich mehr Sinn, wenn man sich nun fragt, worum es eigentlich geht.
Text vs. Wirklichkeit – Round 2
Der Klappentext auf der Rückseite gibt korrekten Aufschluss über die Geschichte, könnte jedoch fälschlicherweise glauben machen, hier eine nett verpackte, diskursive Abhandlung über Musikpiraterie in den Händen zu halten. Dabei geht es nur um Aliens und Musik. Alle Spezies des Universums sind so unfassbar unmusikalisch, dass sie die Musik der vergleichsweise primitiven Menschen buchstäblich von den zum Stehen benutzten Gliedmaßen haut. Vor dieser Grundidee brennt Rob Reid ein humoristisches Feuerwerk samt Absurditäten, Skurrilitäten und urkomischen Entitäten ab, das man so noch nicht gesehen hat. Allein der Konflikt und dessen Geschichte ist so hanebüchen wie gewitzt: Irgendwann in den 1960er Jahren fingen Aliens die Übertragung einer amerikanischen Sitcom ab. Als sie die Titelmelodie hörten, starben einige umgehend, weil die Großartigkeit der Musik ihre Synapsen kochte. Nachdem die allzu musik-empfindlichen Spezies ausgestorben waren, begann einige Zeit später der Run auf die terrestrische Musik. Alles wurde von den Aliens mitgeschnitten, heruntergeladen, kopiert, gerippt oder sonst wie vervielfältigt und zilliardenfach in die unendlichen Weiten verteilt. Englisch wurde zur Standardsprache des Universums und Anthropologen begannen, die Kultur der Menschen näher zu untersuchen. Dabei stießen sie auf das Urheberrecht, das im ganzen Universum einzigartig ist. Sie erwarten jetzt im Text mitschwingende Argumente für oder gegen das Konzept des geistigen Eigentums? Sie erwarten Dispute über den Tot des Künstlers und Plädoyers über den freien Zugang zu Kulturgütern für alle? Dann verfehlen Sie leider wieder den Text. Zunächst einmal dreht sich in dem Buch alles um die Vernichtung der Menschheit. Die Begründung? Die Aliens sind an das regionale Gesetz gebunden. Das gesamte Universum steht bei den Menschen mit einer gigantischen Summe in der Kreide.
Text vs. Wirklichkeit – Round 3
Was auf der Vorderseite als Roman bezeichnet wird und die Geschichte des jungen New Yorker Anwalts Nick Carter in diesem universellen Urheberrechtsstreit erzählt, ist so flippig, schrill und bunt aufgezogen, dass es sich eher wie eine Animationsanleitung für einen Pixar-Film liest. Dieses Buch ist mit kreativen Ideen und Gesellschaftssatire zugestopft, bei denen Rob Reid häufig den warmen, sympathischen Witz eines Douglas Adams oder Terry Pratchetts bemüht, ohne wirklich Atmosphäre zu schaffen. Gleichzeitig erinnern die Figuren wie Nicks außerirdische Sidekicks Frampton und Carly oder der Schurke Paulie, der aussieht wie ein Papagei oder sein Gehilfe Özzy, der aussieht wie ein Staubsauger und aus dem gefährlichen Element Metallicam besteht … oder dieses … oder jenes wie Steilvorlagen für Disneyfiguren. Man kann die Gags beim Lesen schon auf der Leinwand sehen. Prinzipiell nicht schlecht, aber wenn man jetzt auf die Idee kommt, hier eine liebevolle Insiderparodie für Musikliebhaber à la Tenacious D in den Händen zu halten, fällt ebenfalls tief. Zwar gibt es dieses Metallicam, das die Welt zerstören kann, es gibt auch die Townshend-Linie, die die Welt wie ein Wellenbrecher vor einem Anflug hysterischer Alienfans beschützt und Nick Carter heißt nicht umsonst so (Also, wer das jetzt sofort weiß –, Respekt!) … et cetera … et cetera, aber zu sagen, in diesem Buch hätten sich musikalisches Nerdwissen und Herzensblut vereint, wäre in etwa so, als würde man die Batman-Filme für Dokus über Fledermäuse ausgeben.
Text vs. Wirklichkeit – Round 4
Und wovon handelt nun diese pixareske Absurditätenshow ohne Diskurseinlage, deren Geschichte aber alles in allem dennoch clever, gewitzt und interessant bleibt? Es ist bei den ganzen falschen Schildern recht schwierig, zum wirklichen Text vorzudringen. Der zielstrebige Leser folgt Nick Carter durch sein skurriles Abenteuer, das mit den menschenähnlichen Aliens Carly und Frampton beginnt, die in seinem Büro auftauchen. Eigentlich sind die beiden richtige Superstars, Performancekünstler und Reality-TV-Brühmtheiten (eine weitere Entleihung terrestrischen Erfindungsgeistes) aber jetzt müssen sie zusammen mit Nick die Welt retten. Ohne allzu große Hindernisse und mit unglaublich unterhaltsamen Umständlichkeiten begibt sich das Team an die Arbeit. Während die Alien-Kollegen ihre Berühmtheit spielen lassen, um die Welt zu retten, hilft Nick mit seinem juristisch geschulten Sprachinstinkt und, wenn man seinen Gedankengängen folgen mag, entlarvt das amerikanische Rechtssystem nebenbei als anarchischen Spielplatz der Anwälte, die selbst noch ihre eigenen Klienten ausbeuten. Der kritische Einschlag bleibt aber gänzlich auf der Reflektionsebene des Helden, ohne inhaltliche Relevanz zu erhalten.
Text vs. Wirklichkeit – Round 5
Abschließend aber ohne Endurteil könnte man sich nochmals der Rückseite des Buches zuwenden. Dort wird Publishers Weekly zitiert, die das Werk als moderne “Per Anhalter durch die Galaxis”-Version verstanden haben möchte. Das funktioniert aber nicht. Reid erreicht an keiner Stelle seiner Geschichte diese wunderbare Verbindung von Skurrilität und erzählerischer Geschlossenheit, die Douglas Adams aufbaut. Einfach nur abgefahren und schrill reicht nicht, um wirklich gut zu erzählen. Alles was man hauptsächlich über Reids Buch sagen möchte, besteht aus einer Aneinanderreihung witziger Details und Anekdoten. Darin ist “Year Zero” sicherlich ein wirklich nettes Buffet mit Disneygeschmack.Trotzdem bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Hier wirkt nichts wie aus einem Guss, sondern fragmentiert und ohne wirklich gutes, allumfassendes Konzept dahinter. Die Verkehrsschilder tun ihr Übriges, eine Straße vorzutäuschen, wo keine ist.
Cover © Heyne
- Autor: Rob Reid
- Titel: Galaxy Tunes®
- Originaltitel: Year Zero
- Übersetzer: Bernhard Kempen
- Verlag: Heyne
- Erschienen: 09/2013
- Einband: Taschenbuch, Broschur
- Seiten: 480
- ISBN: 978-3-453-52991-5
- Sonstige Informationen:
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 8/15 dpt