Anthony McCarten – funny girl (Buch)

Anthony McCarten - funny girl Cover © Diogenes

Die zwanzigjährige Azime Gevaş, Tochter kurdischer Eltern, arbeitet im Büro des Möbelgeschäft ihres Vaters und ist nicht sonderlich glücklich mit ihrem Leben. Sie und ihre traditionell-muslimische Familie lebt in Green Lanes, einem einfacheren Viertel Londons, und regelmäßig bekommt sie von ihrer Mutter Sabite Dates arrangiert, die sie allerdings mit Bravour sabotiert. Da wird schon mal eine Erdnussallergie vorgetäuscht oder unmögliches Verhalten an den Tag gelegt, damit der potenzielle Ehemann möglichst schnell das Weite sucht. Doch auch sonst kann sie nicht allzu viel mit den eingefahrenen Traditionen und Bräuchen anfangen – sie fühlt sich permanent ausgebremst bei ihren Versuchen, ihren Weg zu finden. Ab und zu trifft sie sich heimlich mit ihrem besten Freund, dem etwas sonderbaren Deniz, der trotz seines ebenfalls kurdischen Hintergrunds eine deutlich modernere, westlichere Lebensweise an den Tag legt. Chaotisch und eigen ist dieser Kerl ja, aber letztendlich kann Azime immer auf ihn zählen.

Mit ihrem Vater Aristot schaut sie abends ausgiebig Comedy und die beiden amüsieren sich köstlich, während die Mutter nur verständnislos den Kopf über den lachenden Vater und die ebenso kichernde Tochter schüttelt. Was ihre Familie jedoch nicht weiß: In ihr reifen diverse eigene Ideen, die sie auf dem Möbelgeschäft-PC in einem geheimen Ordner namens “Couchgarnituren” archiviert, und wenn es ruhig ist und sie sich unbeobachtet fühlt, schaut sie sich auf YouTube begeistert Videos ihrer Lieblingscomedians an. Es dauert nicht lange, bis der schlaksige, schräge Deniz, der ihr ohnehin regelmäßig Flausen in den Kopf setzt, sie ohne das Wissen ihrer Familie zu einem Kurs für Stand-Up-Comedy mitnimmt. Kursleiterin Kirsten sowie einige andere werdende Comedians (und auch Möchtegern-Comdedians, inklusive Deniz) ermutigen sie, ebenfalls auf die Bühne zu gehen.

Privat kleidet sich Azime sittsam-leger, doch auf der Bühne hat sie sich für das krasse Gegenteil, nämlich eine Performance in einer Burka, entschieden. Sind die Anfänge noch zaghaft und gewöhnungsbedürftig und stellen sie immer wieder vor die Frage, ob sie das wirklich weiter betreiben soll, bastelt Ms. Gevaş Stück für Stück an Programm und Selbstbewusstsein, und es vergeht nicht besonders viel Zeit, bis ihre Auftritte die Runde machen und sie letztendlich in einem Zeitungsartikel als erster weiblicher und  muslimischer und Burka tragender Stand-Up-Comedian gezeigt wird. Freunde und Bekannte der Familie und letztendlich auch die Eltern bekommen Wind von Azimes Treiben und fordern, sie solle sofort damit aufhören – nicht zuletzt, weil es im Islam nicht schicklich ist, ein gewisses Maß an Späßen zu überschreiten – so sagte Umar ibn al-Khattab, zweiter Kalif des Islam (634-644):

»Wer zu viel lacht oder zu viel scherzt, der verliert an Achtung, und wer beharrlich etwas tut, wird genau dafür bekannt werden.«

Ihre Auftritte werden kritisiert, sie werden ebenso gelobt, aber es ist absehbar, dass ihre Performance gerade bei den muslimischen in London lebenden Menschen nicht gut ankommt, und nach einem Angriff auf Deniz’ und Azime, als er sie nach einem Auftritt gerade nach Hause fahren will, dabei allerdings “nur” das Auto zu Schaden kommt, folgen zahlreiche Hass- und Drohbriefe, und auch auf ihrem Facebookprofil melden sich bald Fanatiker zu Wort. Da sehr bald auf YouTube einer ihrer Auftritte zu sehen ist, animiert das den Internetmob zu weiteren Drohungen und Beleidigungen. Wer sind diese anonymen, wütenden Leute, die ihr den Tod wünschen?

Azime beschäftigt allerdings neben ihrem Kampf für ihre persönliche Freiheit noch der Tod eines jungen Mädchens aus derselben Wohngegend, aus demselben kulturellen Kreis – sie verdächtigt dessen Vater des Mordes, sieht diesen Mord als einen der üblichen extremen Auswüchse des Islam und versucht, sich bezüglich des Mädchens schlau zu machen, um zu erfahren, weshalb sie sterben musste.

Diese beiden Handlungsstränge überschneiden sich immer wieder, und McCarten gelingt es in seinem nunmehr sechsten Roman virtuos, den Clash der Kulturen mit einer aufregenden Geschichte nachzuzeichnen, ohne die ganze Sache einseitig werden zu lassen. Das Familiendrama gehört hier ebenso dazu wie der versuchte Ausbruch aus uralten Traditionen und Zwängen, und unter dieses brodelnde Gemisch mogelt sich feinsinniger, urbritischer schwarzer Humor, der anfangs sehr in Holzhammermanier daherkommt und so manchen wirklich üblen Kalauer aufweist  – die Comedians üben schließlich -, sich aber Stück für Stück in eine wirklich wunderbar schwarzhumorige, zuweilen subtile, häufig höchst selbstironische Richtung entwickelt und analog dazu die Qualitätsschraube immer weiter angezogen wird.

Der Autor schreibt die Story in einem Stil, der es dem Leser problemlos ermöglicht, seine empathischen Antennen auszufahren und sich in die Gedankenwelt Azimes einzufinden: Wie fühlt sich eine junge, in London geborene Frau in einer modernen westeuropäischen, multikulturellen und weltoffenen Metropole, in welcher ihr im Grunde sämtliche Möglichkeiten offen stehen, die allerdings von ihrer vom Islam geprägten, nach dessen Regeln lebenden Familie davon abgehalten wird, ein Leben zu führen, wie es ihre englischen und nichtislamischen Altersgenossinnen tun? Gibt es nicht wenigstens ein “Dazwischen”?

Auch die Coprotagonisten und Nebencharaktere bekommen sehr starke Profile auf den Leib geschrieben, und obwohl der Kampf, den die Hauptfigur austrägt, hart ist und sie oftmals an die Grenzen der Belastbarkeit bringt – nicht selten ist sie kurz davor, aufzugeben -, strahlt “funny girl” eine Herzlichkeit und Wärme aus, und hier und dort spürt man richtig, wie McCarten der Schalk im Nacken saß – gerade, wie sich die Geschichte auflöst, lässt den Leser diebisch grinsen.

Der Brite, der auch Verfasser zahlreicher Drehbücher und Theaterstücke ist, prügelt nicht einseitig auf den Islam ein, sondern zeigt anhand eines kleinen Dramas auf, wo die Reibungspunkte der verschiedenen Kulturen liegen – die Botschaft, die McCarten sehr offensichtlich nach außen tragen will, ist die der Redefreiheit und der individuellen Entfaltungsmöglichkeit, beides in einem respektvollen Rahmen, sodass die Kulturen einander nicht verletzen – weder physisch noch verbal. Er begeht nie den Fehler, die gesamte Menschengruppe, die dem Islam angehört, über einen Kamm zu scheren und jeden, der Allah anbetet, als extremistischen Spinner darzustellen, sondern zeigt ein beeindruckendes Fingerspitzengefühl und beweist die Fähigkeit, in sehr feinen Nuancen zu differenzieren – und das ist erfrischend in einer Medienwelt, in der – speziell in Kriminalfilmen und -serien – Muslime ständig als die “bösen Terroristen” und “irren Fundamentalisten” dargestellt werden. Klischees haben in der Welt des Autors keinen Platz.

“funny girl” ist ein leichter, aber keineswegs seichter Roman über Kulturunterschiede, liebenswerte, zuweilen schrullige Menschen,  und eine starke junge Frau, zu der man sehr schnell Sympathien entwickelt – und zwar, ohne dass es pathetisch wird. Wenn man so will, ist dieser Roman Dramedy mit Herz, der nach einer (wenn, dann bitte guten!) Verfilmung schreit.

Cover © Diogenes Verlag

Wertung: 12/15 dpt

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3 Kommentare
  1. Ein fantastisches Buch, ich habe es verschlungen.

    Aber, lieber Rezensent: da sind wir wohl mal wieder in die alte Falle getappt:

    “und das ist erfrischend in einer Medienwelt, in der […] Islamisten ständig als die „bösen Terroristen“ und „irren Fundamentalisten“ dargestellt werden.”

    Nun ja, das sind sie ja auch. Zweifellos sogar. Bei MUSLIMEN sieht die Sache allerdings schon ganz anders aus!

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