Ernst Peter Fischer ist ein hochproduktiver wie streitbarer Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftspublizist. In seinem Blog Wissenschaftsfeuilleton gibt er regelmäßig philosophisch-kritische Einblicke in die Naturwissenschaften und ihr Treiben. Eine elaborierte Fassung seines Ansatzes, der die Ereignisse im Wissenschaftsbetrieb mit denen in der Kunst und Philosophie vergleicht, findet sich unter anderem in seinem Buch “Die aufschimmernde Nachtseite: Kreativität und Offenbarung in den Naturwissenschaften”. Für Fischers biographisches Werk über den bekannten aber wenig populären Physiker Max Planck erklärt das Zweierlei. Zum einen liegt darin die Faszination des Autors für die psychische Verfasstheit Plancks begründet, weil darin, so der Ansatz, schon die physikalischen Erkenntnisse brodeln wie bei da Vinci die “Mona Lisa” oder bei Beethoven die “Neunte”. Zum anderen entspricht die vielschichtige, kaleidoskopartig aufgebaute Schilderung von Plancks Werk und Leben in gewisser Weise dessen Physik, beziehungsweise einem kulturellen Pendant, dem Zerfallen der Welt, was Fischer zum formgebenden Moment der Biographie werden lässt.
Dabei liefert das Buch sowohl eine Einführung mit niedriger Einstiegsstufe in quantenphysikalische Grundgedanken und deren Unterschieden zur klassischen Physik. Gleichzeitig gibt Fischer kurze Schilderungen und Detailaufnahmen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Zusammenhänge in Verbindung zu Max Plancks tragischem aber erfolgreichen Leben. Der Physiker lebte von 1858 bis 1947, in einer Zeit also, die wissenschaftlich wie historisch tragisch, widersprüchlich und ereignisreich war. Von der Erfindung der Eisenbahn, des Automobils, über die Einführung des Telefons und Radios bis hin zur ersten Atombombe im Juni 1945 reicht die Palette von (physikalischen) Pionierarbeiten in diesen achtundneunzig Jahren. Dazwischen liegen zwei Weltkriege und eine Gesellschaft im Sumpfland politischen Extremsituationen. Die Biographie beginnt mit dem musikalisch wie mathematisch hochbegabten Abiturienten Planck, der sich in der akademischen Welt nach einem Betätigungsfeld umsehen will. Von der Physik wird ihm abgeraten, weil man der Meinung ist, dass diese Wissenschaft in einigen Jahren so komplettiert und abgeschlossen sei wie die Anatomie.
Neben Einstein wird auch Planck diesen Satz mit einer revolutionären Theorie widerlegen, die die gesamte Physik aus den Angeln hebt. Anders als der kulturell wesentlich populärere Einstein, der quasi einen Theorieumsturz forciert, zeichnet Fischer mit Planck einen Professor für theoretische Physik, der im Widerstreit mit seinen Erkenntnissen liegt. Denn das Plancksche Wirkungsquantum ist sowohl eine wissenschaftliche Revolution als auch ein Dorn im Auge seines Entdeckers, eine unelegante Lösung, die sich nicht in das Gebäude der klassischen Physik fügt.
„Man ist geneigt, sich an dieser Stelle die Anekdote in Erinnerung zu rufen, die von Adolf Schönberg handelt und in welcher der Komponist gefragt wird, ob ihm seine Musik eigentlich gefalle. „Nein“, soll Schönberg geantwortet haben, „aber einer musste sie komponieren“, denn Kunst komme von Müssen. Wenn man Planck gefragt hätte, ob ihm seine Quantenphysik eigentlich gefalle, wäre seine Antwort ähnlich ausgefallen.“
Mit solchen und ähnlichen psychologischen Spekulationen, die Fischer mal mehr mal gar nicht mit Auszügen aus Plancks persönlichen und wissenschaftlichen Notizen belegt, ergibt sich eine eigentlich lesenswerte Mischung aus Lebensgeschichte und Sachbuch. Der Preis für diese abwechslungsreiche und interessante Biographie ist jedoch das Zerfallen des Buches in unverbundene Detailschilderungen sowie Vor- und Rückgriffe, was aber irgendwie auch quantisch ist und damit voll im Thema liegt.
Cover © Pantheon Books
- Autor: Ernst Peter Fischer
- Titel: Der Physiker. Max Planck und das Zerfallen der Welt
- Verlag: Pantheon
- Erschienen: 06/2010
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 352
- ISBN: 978-3-570-55116-5
- Sonstige Informationen:
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 10/15 dpt