Dominique Manotti – Ausbruch (Buch)

Dominique Manotti - AusbruchEs fällt schwer, bei der Besprechung eines Romans von Dominique Manotti nicht ständig in Superlativen zu schwelgen. Andererseits spricht  auch nichts dagegen. “Ausbruch” ist wieder so ein Buch, das den Atem stocken lässt. Nicht, weil es auf nervenzerfetzende Spannung ausgelegt ist, mit Bluttaten hausieren geht oder stilistisch eine Volte nach der anderen schlägt. Nein, “Ausbruch” kommt mit jener sprachlichen Präzision und Knappheit daher, die Manotti so unnachahmlich beherrscht, verbindet eine packende Geschichte mit treffenden satirischen Spitzen – unter anders gelagerten Voraussetzungen stellenweise fast ein Schelmenroman – bewegt sich analytisch und hellsichtig durch die Historie, ohne dass es je aufgesetzt wirkt  oder mit moralinsauren Erkenntnissen aufwartet. Dominique Manotti überlässt ihren Lesern das Denken, während ihre Figuren zwischen emotionalen Höhenflügen und Abstürzen, glücklichen Erfolgen und bitteren Erkenntnissen hin und hergeworfen werden, mitunter wenig mehr als Marionetten in ganz unterschiedlichen Kasperletheatern. Und der Tod ist nie weit entfernt.

Der Kleinkriminelle Filippo Zuliani lernt im Knast den Rotbrigadisten Carlo kennen, ist fasziniert von seinen Geschichten und hilft ihm, einen Ausbruch zu planen, bei dem er sich, halb zog es ihn, halb sank er nieder, an Carlos Seite im tiefen Müll wieder findet. Die Flucht – mit namenlosen Helfern, zumindest für Filippo – verläuft so reibungslos, dass man eigentlich stutzig werden müsste. Doch so weit kommt und denkt Filippo gar nicht, er wird von Carlo sang- und klanglos stehen gelassen. Nach einer Odyssee durch die italienischen Berge, an deren Ende er erfährt, dass Carlo während eines missglückten Banküberfalles erschossen worden ist, findet er sich in Paris vor der Tür Lisa Biaggis wieder, der ehemaligen Geliebten Carlos. Die mit dem verwirrten Jungzwanziger nichts anfangen kann.  Sie wimmelt den apolitischen Filippo ab, Cristina, eine Freundin Lisas gewährt ihm Unterschlupf.  Ein trostloser Job als Nachtwächter beflügelt Filippos Phantasie und er schreibt in ereignislosen Nächten einen Roman, in dem er seine Beziehung zu Carlo verklärt, eine menage a trois beschwört und sich selbst in den Bankraub hinein verwickelt. Ein halbes Jahr Knastgemeinschaft und etwas Zeitungslektüre werden zur kleinen literarischen Sensation, Filippo selbst zum angefeindeten Bestsellerautor. Geldmaschine für einen Verlag, der mit der Vermischung von Realität und Fiktion hausieren geht, bis die Sau, die durch’s Dorf gejagt wird, in Flammen steht. Filippo wird zum Spielball einer Politik, von der er keine Ahnung hat. Mag er sich persönlich auch wandeln, selbstsicherer werden, seinen Träumen endlich Raum geben – völlig egal, sein Schicksal als Opfer einer hinterhältigen Politik ist längst besiegelt.

Ein Zeuge taucht auf, der Filippo in der Nähe der überfallenen Bank gesehen haben will, die italienische Justiz besteht auf einer Auslieferung des angeblichen Bankräubers. Lisa wird stutzig und gegen den Widerstand der Gruppe ‚politischer‘ Exil-Italiener beginnt sie zu recherchieren. Und stößt auf die Machenschaften der P2 (‘Propaganda Due’) jener mächtigen Loge, die bis zur offiziellen Auflösung 1982 eine enge Verbindung zum italienischen Staatsapparat sowie rechtsextremistischen Terroristen besaß. Silvio Berlusconi dürfte eines der prominentesten Mitglieder der P2 gewesen sein.  Die P2 war neben dem italienischen Geheimdienst und der paramilitärischen ‚Gladio‘ hauptverantwortlich für die “Strategie der Spannung”, jener Methode, Terroranschläge, Morde und ähnliches – durchaus mit Hilfe rechtsgerichteter Kräfte – zu inszenieren, die man den Roten Brigaden in die Schuhe schob, damit die Staatsmacht radikal gegen den Feind von links vorgehen sowie die Kommunistische Partei diskreditieren konnte, während an den anderen Rändern die wahren Staatsgeschäfte liefen.
Carlo und Filippo soll die Strategie der Spannung zum Verhängnis werden, in  einer Zeit, in der die ‚Roten Brigaden‘ eigentlich vor ihrer Auflösung stehen. Lisa ermittelt Hintergründe und Zusammenhänge des Banküberfalls, nur, um sich am Ende resigniert eingestehen zu müssen, dass die Wahrheit niemand interessiert. Zynischer Schluss: Außer man gestaltet sie zu einem Roman um.

Dominque Manottis “Ausbruch” spielt zwar Ende der 80er des vorigen Jahrhunderts, ist aber von bestechender Aktualität. Erzählt er doch von einer Verschleierungspolitik, welche die Medien nach Bedarf instrumentalisiert, während die außerparlamentarische Opposition, diesmal im Exil,  sich mit persönlichen Befindlichkeiten aufreibt oder argwöhnisch nach Verrätern in den eigenen Reihen sucht, anstatt effektiv gegen Korruption und andere Verbrechen bis hin zum Mord vorzugehen.

Gleichzeitig treibt Manotti finstere Scherze mit einem profitorientierten Literaturbetrieb, der seine (unbedarften) Bestseller-Autoren gnadenlos verheizt, wenn es der Auflagensteigerung dient. Es ist Dominique Manottis Kunstfertigkeit anzurechnen, dass “Ausbruch” nie plattitüdenhaft oder überladen wirkt, sondern auf ganz eigene, unprätentiöse Weise spannend, komisch und lehrreich bis zum bitteren Ende bleibt. Ein brillanter Roman, der Superlative rechtfertigt.

 Cover © Ariadne/Argument

Wertung: 13/15 dpt

 

 

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