Matt Haig – Ich und die Menschen (Hörbuch, gelesen von Christoph Maria Herbst)


Matt Haig - Ich und die Menschen Hörbuch Cover © der HörverlagAndrew Martin, Professor für Mathematik in Cambridge, spaziert in einer verregneten Nacht nackt an der Autobahn entlang und wird verständlicherweise schon sehr bald aufgegriffen. Der arbeitsame Professor hat die Riemannsche Vermutung gelöst und sieht hierin die Möglichkeit, das destruktive Treiben der Menschheit zu stoppen. Sterblichkeit, Kriege, Krankheiten, all die negativen Dinge sollen fortan der Vergangenheit angehören. Doch ein hyperintelligentes Wesen vom sehr weit entfernten Planteten Vonnadoria wird daraufhin auf die Erde entsandt und ergreift Besitz von Andrew Martins Körper, um genau diesen Fortschritt aufzuhalten – er und alle, die von dieser wissenschaftlichen Revolution wissen, sollen ausgelöscht werden.

Nun befindet sich dieser Vonnadorianer in des Professors Körperhülle und ist alles andere als angetan von seinem neuen Erscheinungsbild. Herrje, was sind Menschen optisch hässliche Wesen. Nasen! Wie abstoßend! Und was sind sie doch in ihrer Art hässlich, in ihren Wertevorstellungen, in ihrer Gesamtheit! Sie sind gewalttätig. Sie sind egoistisch, herrschsüchtig, wollen stets vorwärts, und wenn es sein muss, auch mit ausgefahrenen Ellbögen. Sie sind Lemminge, die sich ihre Ziele nur einbilden und suhlen sich in ihrer Mittelmäßigkeit. Sie sind ignorant. Sie sind der Grund, weswegen die Erde ein schlechter Planet ist.

Doch kann ein Planet, der zwei gar nicht mal so üble Erdlinge und einen wunderbaren Hund vorweisen kann, wirklich so grauenvoll sein? Und kann eine Lebensform, die so grandiose Dinge wie Erdnussbutter und Weißwein herzustellen in der Lage ist, tatsächlich von Grund auf böse und schlecht sein? Der Vonnadorianer weiß nicht, wie ihm geschieht, als er das erste Mal seiner angeblichen Frau Isobel in die Augen blickt, mit dem gemeinsamen vermeintlichen Sohn spricht oder Debussy hört – es ist befremdlich und verstörend für ihn, aber irgendwie auch schön. Schritt für Schritt bemerkt der “Alien-Professor”, dass die Erde und die Menschen, die auf ihr leben, doch gar nicht so übel sind…

Der Autor Matt Haig hat sich, so viel vorweg, mit diesem Roman ein kleines Denkmal gesetzt. Mit einem kritischen Blick “von außen” auf die Menschheit entlarvt er unsere Spezies als das, was sie ist: Ein Wesen, welches solch wundervolle Dinge wie Liebe empfinden und geben kann. Ein Wesen, das Phantastisches erschaffen kann. Doch ebenso ein Wesen, das aus egoistischen Motiven handelt und zuweilen grausame und abstoßende Dinge tut. Ein und das selbe Geschöpf kann so gut, aber auch so abgrundtief schlecht sein?

In “Ich und die Menschen” spannt der Schriftsteller ein wunderbares großes literarisches Zelt, aus dem man überhaupt nicht mehr hinauskriechen möchte. Einer der Stützpfeiler ist die Intelligenz, mit der Haig seine Story zusammenstellt und die einzelnen Handlungsstränge flicht. Diesem Pfeiler gegenüber steht ein weiterer in Form des hochgradig philosophischen Ansatzes, der dem Leser/Hörer immer wieder Türen im Kopf öffnet, von deren Existenz er teilweise nicht mal zu wissen glaubte – oder diese “Ja, genau so!”-Momente hervorruft, die teilweise so tief gehen, dass man einen Kloß im Hals herunterschlucken möchte.

Damit das Zelt nicht kippt, gesellen sich noch weitere massive Pfeiler dazu: Da wäre beispielsweise die Skurrilität, die der ganzen Geschichte innewohnt, ebenso bildet der sehr trockene, gerne auch subtile Humor eine tragende Einheit in diesem geschriebenen Konstrukt. Eine nicht zu unterschätzende Querstrebe sind die gelegentlichen metaphorischen Elemente in dieser Geschichte. Doch “Ich und die Menschen” ist alles andere als einseitig, denn die komödiantische Komponente wird von einer unfassbar unter die Haut gehende Melancholie ausgeglichen, die in ihrer dunklen Schönheit, die durch die geäußerten Gedanken hindurch schimmert, unfassbar ergreifend ist. Besonders bezaubernd ist allerdings, wie sich immer mehr Liebe und Herzenswärme in die Geschichte einschleicht, sodass man sich am Ende zutiefst berührt mit einem heißen Gefühl hinter den Augäpfeln vorfindet – dem Gefühl, welches entsteht, wenn sich auf der Netzhaut ein zarter Film der Tränen der Überwältigung bildet.

Zudem ist dieses (Hör-)Buch eines, das auch noch lange nach der (Audio-)Lektüre nachwirkt. Es beschäftigt. Es bewegt etwas in einem selbst. Es besitzt Nachhaltigkeit. Es stülpt das Innere des Menschen nach außen, lässt ihn nachdenken und gibt auch jenen, die ein hohes Maß an Lebensweisheit in sich tragen, noch neue wertvolle Erkenntnisse mit auf den Weg – und das ist letztendlich das, was Literatur perfekte Literatur werden lässt.

Wie wandlungsfähig der Schauspieler, Synchron- und Hörbuchsprecher Christoph Maria Herbst ist, zeigt er hier erneut. Nein, Herbst ist nicht nur “Stromberg” und nicht nur Comedy. Ja, er kann bei Timur Vermes’ Hitlerpersiflage “Er ist wieder da” wunderbar den wiederauferstandenen Schicklgruber mimen, bei Adam Sternberghs “Spademan” hervorragend in die Rolle des skrupellosen und dennoch irgendwie ulkigen gleichnamigen Killers schlüpfen, in Alan Bennetts “Schweinkram” wunderbar britisch-anzüglich werden, in “CSI: Märchen” (Rezensionen hier und hier) köstlich herumblödeln, doch Herbst ist auch dazu in der Lage, herrlich drollig Kinderbücher wie die “Tafiti“-Reihe vorzulesen. Und eine weitere seiner zahlreichen Facetten offenbart er eben mit vorliegendem Hörbuch, in dem er wunderbar einfühlsam, mit viel Herz und viel Liebe, mit viel Empathie und einer beeindruckenden storyübergreifenden Variabilität seine Arbeit ausübt. Wenn man so möchte, ist – Achtung, Phrasenalarm! – seine Stimme das Sahnehäubchen, das Tüpfchen auf dem “i”, das letzte Steinchen im nun perfekten Mosaik.

Cover © der Hörverlag

Wertung: 15/15 dpt


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