Hans Pleschinski – Königsallee (Buch)

Es gibHans Pleschinski - Königsallee © C.H. Beck Verlagt Bücher, die beschäftigen Leser länger – manche länger als einem lieb ist, manche aber auch in willkommener Vehemenz. “Königsallee” des deutschen Autors Hans Pleschinski ist ein solches. Die Skepsis zu Beginn war groß. Braucht es wirklich einen Roman über Thomas Mann? Und dann noch einen, in dem seine Homosexualität offen zur Schau gestellt wird? Ist das nicht wieder einer dieser Romane von Autoren, die in ihrem Leben selbst nichts erlebt haben und sich der Biografie Prominenter bedienen müssen, um überhaupt etwas schreiben zu können? Nun, all diese Fragen kann man diesem Roman stellen. Doch beginnen wir mit der Frage, worum geht es eigentlich?
Es geht im Nukleus dieses Romans um das fiktive Zusammentreffen Thomas Manns mit dem Ingenieur Klaus Heuser, der beruflich eigentlich in Asien zugange ist, zu diesem Zeitpunkt aber, wir schreiben das Jahr 1954, gemeinsam mit seinem Freund Anwar in seiner alten Heimat Düsseldorf weilt. Klaus Heuser, wir erinnern uns, ist jener “liebreizende Jüngling” und “Geliebter von einst”, dem Thomas Mann im August 1927 während eines Urlaubs auf Sylt traf. Was genau zwischen beiden vorgefallen ist, das mag man aus Thomas Manns Tagebüchern entnehmen. Tatsächlich setzte Mann ihm mit seiner Josephs-Tetralogie ein Denkmal.

Thomas Mann seinerseits ist 1954, gemeinsam mit seiner Frau Katja und seinen Kindern Golo und Erika, mit seinem aktuellen Felix-Krull-Roman auf Lesereise und gilt aufgrund seiner Zeit im Exil und seiner politischen Schriften und “Briefe an Deutschland” im Nachkriegsdeutschland als moralischer Hoffnungsträger. Die Strahlkraft und das ihm zugeschriebene Heilsbringer-Potenzial leuchten zwischen allen Zeilen dieses Buches. Man erwartet sich nichts anderes als die Rehabilitation allein durch einen Auftritt Thomas Manns. Doch den hellen Schein verdunkelt nicht nur die peinliche Einquartierung des Kriegsverbrechers August Kesselring im gleichen Hotel, sondern auch die überraschende Entdeckung Erika Manns, dass Klaus Heuser im gleichen Hotel zu Gast ist. Böses, Unheilvolles schwant ihr. Und so reift in ihr der Plan, ein Zusammentreffen ihres geliebten Vaters mit Heuser unter allen Umständen zu vermeiden. Der Schock und die unvermittelte Konfrontation mit des Zauberers Vergangenheit und Homosexualität würden den gesundheitlich angeschlagenen Vater noch mehr zusetzen, so ihre Befürchtung.

Neben diesem literarischen Star-Ensemble haben aber auch Hotelangestellte, Lokalpolitiker, Kultur-Attachés und sonstige eher unwichtige, sich umso wichtiger nehmende Personen ihre wohlgesetzen Auftritte. Es ist schon beeindruckend, mit wie wenigen Sätzen es Hans Pleschinski gelingt, die gedrückte, zwischen Depression und Hoffnung, zwischen “ich war das nicht” und “et hätt noch immer joot jejange” changierende Atmosphäre des rheinischen Nachkriegsdeutschlands in Szene zu setzen. Diese glänzend beobachteten Episoden, ebenso wie die pointierten Gespräche Klaus Heusers mit Erika Mann, Golo Mann und dem einstigen Verbündeten Thomas Manns, Ernst Bertram, eigneten sich idealiter für eine dramaturgische Umsetzung. Ergänzt wird dieser Gesprächsreigen um Thomas Mann von einem morgendlichen Traum des Großmeisters und einem Interview mit Gudrun Kückebein, einer – rothaarigen und zwergenhaften – Rezensentin der Lübecker Nachrichten. Nicht anders als diabolisch ist dieses Interview mit den Suggestiv-Fragen, er, also Thoman Mann, habe Hitler doch so unendlich viel zu verdanken, wer wäre er heute ohne Hitler?, zu bezeichnen.

Spätestens hier kommen auch alle Literaturwissenschaftler und Goethe-Kenner auf ihre Kosten. Es sei diesen vorbehalten, eingehende Analogien zwischen Thomas Manns Roman “Lotte in Weimar” und eben Pleschinskis “Königsallee” zu ziehen. Doch der Aufbau, das Personal und die Stilisierungen Goethes und Manns als staatstragende pflichtbewusste, gleichzeitig von inneren Kämpfen gequälte Großschriftsteller liefern zahlreiche Indizien und bereichern die Lektüre. Nicht zuletzt ist es eben auch diese Teufelsszene, die über Ironie, Satire und auch etwas tiefere Bedeutung verfügt. Der Leser darf gerne davon ausgehen, dass Pleschinski ein versierter Kenner des literarischen Werkes Thomas Manns ist. Daneben, so weiß man, hat er im Vorfeld des Romans auch ein exzessives Quellenstudium betrieben. Dazu gehörte auch die Sichtung des Nachlasses des 1994 verstorbenen Klaus Heuser.

Aus all diesen mühsam zusammengetragenen Fakten arrangiert Pleschinski eine hochatmosphärische erzählerische Fiktion, in der so viel subtiler Humor, manchmal böse oft aber umso treffendere Satire und jede Menge Lebendigkeit steckt. Den Leser erwarten – auch ohne Kenntnis von “Lotte in Weimar” und sonstigen germanistischem Rüstzeug – wortgewaltige, psychologisch kluge und manchmal herrlich verschrobene Dialoge. Und dann – der Leser mag sich im Fortgang des Romans an “Warten auf Godot” erinnert gefühlt haben, ganz am Ende fast schon unverhofft, kommt es doch noch zu einem Zusammentreffen der beiden Hauptprotagonisten. Und mag man fragen, hat es sich gelohnt? Das Warten? Manch ein Rezensent wollte schon gar nicht verraten, ob es wohl in dem Roman zu einem Treffen Thomas Mann mit Klaus Heuser komme. Viel wichtiger aber ist doch für den Leser die Frage, wie genau denn dieses Treffen abläuft – und in guter feuilletonistischer Tradition der Spoilervermeidung sei an dieser Stelle an die Leselust der Leser appelliert. Lest dieses Buch und vertraut auf die große erzählerische Kraft eines Hans Pleschinski, dem die literarische Ausgestaltung dieses Treffens derart genial gelingt, dass man fast schon wieder an die Renaissance des klischeefreien auskomponierten Romanendes glauben mag!

Cover © C. H. Beck

Wertung: 14/15 dpt

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