Und wieder ist ein Jahr zu Ende – ein Jahr, in dem mal wieder einiges passiert ist. Persönlich eines der aufregendsten Jahre mit bowie-esken Identitätswechseln beruflicher Natur. Bowie ist ein gutes Stichwort, was die Highlights des zurückliegenden Jahres betrifft, doch bevor die Altmeister hier ihren ihnen gebührenden Platz bekommen, in diesem, meinem ersten Jahresrückblick aller Zeiten, versuche ich noch verzweifelt, eine Form und Struktur zu finden, die sowohl einem Rückblick als auch meiner Abneigung gegen Listen gerecht wird. Warum eigentlich habe ich eine Abneigung gegen Listen? Weil sie mich zwängen, mal endgültige, fassbare und (an-)greifbare Aussagen zu tätigen? Für einen Germanisten keine allzu leichte Aufgabe, zumal Listen meist den Habitus der Unangreifbarkeit innewohnt. Der Flusslauf der Mosel, an deren Rheinmündung ich aufwuchs, hat wohl tatsächlich Einfluss genommen auf meine Art des Denkens und Urteilens, die sich wohl am ehesten mit dem Stichwort “mäandrierend” umschreiben lässt. Daher ist wohl jede Liste, die ich aufstelle, zum Zeitpunkt ihres Fixierens schon veraltet.
Aufreger gab es in diesem Jahr für jeden, der halbwegs offenen Auges durch die politischen, gesellschaftlichen und journalistischen Landschaften dieses Landes geht, zuhauf. Es wäre müßig, sie hier und jetzt aufzuzählen oder sie in Hitlisten zu bündeln. Daher versuche ich sie mal auf den betrüblichen Nenner “Alternativlosigkeit im Denken und Handeln” zu kürzen. Aus diesem zumeist aus Faulheit selbstverschuldeten Eingang des Menschen in die Unmündigkeit des vermeintlich Alternativlosen entsteht diese ganze Hysterie, die aus jedem Pups ein Mega-Gesellschaftsthema macht. Aus einem wohlgesetzten Widerspruch wird gleich ein Eklat, aus Diskussionsrunden ein zerstrittenes Bündnis und aus Kritik gleich ein Affront. Hinterfragen, Formulieren eigener Gedanken und Sichtweisen gelten in den meisten gesellschaftlichen und politischen Diskursen als Zumutung – und das ist, ja zumindest, “schade”.
Gründe zur Freude gab es dennoch – wollen wir mal nicht alles schwarzmalen! Es gab Wahlen – immerhin – und es gab auch Menschen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Dass Demokratie das “Recht auf Ablöse” beinhaltet, das muss aber wohl erst wieder erlernt werden. Vielleicht muss aber auch der vermeintliche Spitzenjournalismus lernen, Debatten und politische Programme sowie Äußerungen einzuordnen, d.h. verstehen und vermitteln zu können. Das scheint eine schwere Aufgabe sein – leider. Aber ich wollte doch von den netten und gelungenen Dingen schreiben. Also, Contenance und zurück zum Thema:
David Bowie hat sich 2013 mit einem großen Album – “The Next Day” – zurückgemeldet und damit auch gezeigt, wie man eine subtile aber umso effektivere Social-Media-Kampagne fährt. Außerdem ist dieses Album ein Meisterwerk in Sachen Selbstzitat – und dem kreativen Umgang mit selbigem. Völlig überraschend waren für mich auch die Alben von Deep Purple “What Now?” mit entspannt-progressiven Passagen und Black Sabbaths kreative Hommage an sich selbst. Um das Altherren-Kabinett abzuschließen: Das Konzert der kanadischen Band Rush machte deutlich, wie man als Rockmusiker in Würde altert und relaxt und mit riesiger Spielfreude sowie Humor wirklich große Rockmusik live darbietet. Neil Peart, Geddy Lee und Alex Lifeson sind Götter – auch wenn dies dem neuen Papst bestimmt nicht gefällt. Immerhin aber scheint Franziskus jemand zu sein, der nicht einfach so vor sich hinpapst, sondern die Möglichkeiten des Amtes zumindest mal antestet, während der Deutsche in seinem Refugium bei den sieben Jungfrauen seinen Lebensabend fristet – es sei ihm gegönnt. Ich aber bin wieder von meinem Weg abgekommen – also weiter mit den kulturellen Highlights. Meine Affinität zu Konzeptalben ist gefürchtet – und fand in Stings Album “The Last Ship” und Steven Wilsons monumentalem “The Raven That Refused To Sing” zwei Meisterwerke, die noch lange jedes Anhören mit immer wieder neuen Aspekten und Nuancen belohnen. So, nun soll mal jemand sagen, ein promovierender Germanist sei nicht fähig, einfach mal eine geschmäcklerische Behauptung rauszuhauen!
Literarisch war es ein spannendes und ich meine sehr gutes Jahr. Michael Köhlmeiers Roman “Die Abenteuer des Joel Spazierer” gehört da ebenso zu den Highlights wie “Der Kalte” von Robert Schindel und “Quasikristalle” von Eva Menasse. Der Zufall will es, dass sie alle Österreicher sind. Und noch etwas vereint diese Romane: Sie schaffen den Spagat aus luftig-lockerer erzählerischer Verve bei gleichzeitiger enorm hoher Gedankendichte. Und deshalb gehören diese Autoren und diese Autorin zur Spitze des zurückliegenden Buchjahres. Das aufregendste literarische Debüt ist meiner Meinung nach Jonas Lüschers mit seiner Novelle “Frühling der Barbaren” gelungen; ein spannendes Spiel mit der Form dieser beinahe altbackenen Gattung und spielerischen Anleihen an Thomas-Bernhard’scher Stilistik. Und dennoch schafft Lüscher in diesem dichten Erzählgerüst nicht nur, einen hochoriginellen eigenen Ton zu finden, sondern auch gleichzeitig ein engagiertes und kluges Schlaglicht auf die Wirtschaftskrise und ihre Protagonisten zu werfen. Großartig – und übrigens auch ein österreichisches Talent! Leicht enttäuscht war und bin ich von Uwe Timms Roman “Vogelweide”. Waren es überzogene Erwartungen meinerseits, die die Handlung und die gewohnt subtile Psychologie des Romans nicht so richtig zünden lassen? Mal schauen, was die Zeit aus diesem Werk machen wird – auch Terezia Moras Roman “Das Ungeheuer” ist hoch-ambitioniert und mit dem prestigeträchtigen Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Doch vermögen mich weder Konstruktion noch Beziehungskonstellation vollends zu überzeugen. Immerhin werfen beide Werke Fragezeichen auf – und das ist doch schon mal was.
Fragezeichen sind die besten Antworten, die Essays geben können. Und als Essay-Junkie habe ich mich sehr über das vergangene Jahr gefreut, erschienen doch eine ganze Reihe kluger und stilistisch-herausragender Essay-Bände. Adolf Muschgs und György Konráds Betrachtungen über Europa gehören eigentlich in die Leselisten eines jeden politischInteressierten. Auch Ulrike Draesners luzide wie inspirierende Ausführungen zu Kleist, Joyce oder Benn gehören zu den gedankenreichsten Veröffentlichungen des abgelaufenen Jahres. Meine persönliche Wiederentdeckung des Jahres ist das Werk Albert Camus. Jenseits seiner Gedanken über das Absurde sind es seine Überlegungen über das “Mittelmeerische” und seine Deutung des Alten Griechenlands als Kultur des “Maßes” im Gegensatz zum derzeit weltumspannenden Imperialismus-Model, dessen Ziel letztlich Gigantismus ist, die dem Werk eine spannende und inspirierende Aktualität geben.
Als zeitweiliger Journalist für die Branchenpresse freue ich mich über vielen und substanziellen Aktionen in kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen, die aufzeigen, dass Thalia, amazon und Co. durchaus beizukommen ist. Purer Gigantismus und rein merkantil geprägte Bücherstapelei bei gleichzeitiger Inkompetenz des Personals kommen so langsam aber sicher an ihr Ende. Zumindest die Expansion ist gestoppt und das Bewusstsein bei einigen Buchkäufern geweckt – es wäre schön, wenn die Intelligenzvermutung, die für kulturell Interessierte langläufig gilt, noch mehr Konsequenz im überlegten Einkauf kultureller Güter nach sich zöge. Persönliche Betreuung und eine kompetent zusammengestelltes Sortiment wirken auf immer mehr Menschen einladender – und das ist auch gut so. Es kann durchaus erfrischend sein, sich mal eine echte buchhändlerische Empfehlung anzuhören, als auswendig gelernte Statements von BuchverkäuferInnen, die die Bücher an den Mann bringen wollen, deren Verlage das meiste Geld haben springen lassen.
Bevor dieser geschmäcklerische Jahresrückblick auch noch allzu sehr moralisierend oder gar polarisierend wird, beschließe ich diese Rückschau und wünsche allen Leserinnen und Lesern ein glückliches, erbauliches, gedankenreiches und freudvolles 2014 😉
Cover © Columbia Records, Hanser Verlag, Suhrkamp Verlag