Widmen wir uns zuerst den positiven Dingen. Das Erfreulichste in 2013 ist für mich persönlich selbstverständlich die Entwicklung, die booknerds.de durchlaufen hat. Im November 2012 mit Kollege Klaus Reckert gegründet, war die ganze Sache noch ein Sprung ins kalte Wasser, ungewiss, ob sich überhaupt jemand für uns interessiert, entweder als Leser oder als Mitschreiber. Am Anfang mussten wir noch ein wenig die Werbetrommel rühren, damit die Leser auf uns aufmerksam wurden und potenzielle Mitnerds den Weg in die Redaktion fanden. Doch durch eifriges eigeninitiatives Netzwerken und die ein oder andere überraschende Verlinkung seitens Autoren, Künstlern und Verlagen, aber auch durch den Enthusiasmus zahlreicher Buchblogger, fanden monatlich mehr Leser zu uns, sodass wir mittlerweile um die 7000 Besucher (sogenannte “Unique Visitors”) pro Monat vorweisen können, Tendenz steigend. Ebenso haben sich so viele gute Leute beworben, dass aus dem anfänglichen Zwei-Mann-Projekt ein neunköpfiges, buntes und vielseitiges Team geworden ist, mit dem zusammenzuarbeiten wahre Freude bereitet. Obendrein entwickelt booknerds eine Eigendynamik, die ich so nicht erwartet hätte.
Hinsichtlich der Highlights in Literatur, Film und Musik ist es mir unmöglich, mich auf eine bestimmte Anzahl von Titeln zu beschränken, weil da so unverschämt viel Gutes dabei war. Daher dachte ich mir, eine Auflistung mit jeweils kurzer Begründung liest sich am bequemsten. Hierbei sei erwähnt, dass einige der Titel auch aus früheren Jahren stammen, doch für mich persönlich ins Jahr 2013 gehören, weil ich sie in diesem Jahr erst genießen konnte. Den Versuch, die Liste kurz zu halten, habe ich aufgegeben.
Bücher (alphabetisch nach Autor sortiert):
- Steve Blame – Emotionale Vaseline
…weil der ehemalige MTV-Moderator hier mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit und Emotionalität anhand Interviews mit Weltstars sein eigenes Leben reflektiert. - Bernhard Blöchl – Für immer Juli
…weil Blöchl hier einen kurzweiligen “Wann ist ein Mann ein Mann?”-Roman geschrieben hat, der den üblichen Gender-Quatsch gekonnt umschifft. Nix mit “Nußloch, kennze kennze, weeßte weeßte, boah ey, und dann hat die… ey… dann hat… haha… dann hat die!” oder dergleichen, sondern angenehm unhysterisch und hochgradig ironisch. - Jan Brandt – Gegen die Welt
…weil dieses über 900-seitige Dorf-Epos, obwohl eigentlich nicht viel passiert, schlichtweg ergreifend ist. - Douglas Coupland – Spieler eins (Roman in 5 Stunden)
…weil der Autor hier ein tolles prädystopisches Szenario auf engstem Raum zeichnet und dabei beinahe eine wissenschaftstaugliche psychologische fiktive Fallstudie erschaffen hat. - Stefanie DeVelasco – Tigermilch
…weil dieses Buch so hässlich und schön zugleich ist. - Zoran Drvenkar – Du, Du bist zu schnell und Sorry
…weil Drvenkar einerseits experimentell vorgeht (“Du” ist beispielsweise in der zweiten Person geschrieben), jedoch nie prätentiös. Schreibt stets auf den Punkt, ohne ein Gramm fett, teilweise fast schon grob. Bindet den Leser so aber schonungslos in die Geschichte ein. - einzlkind – Gretchen
…weil der pseudonyme Autor einen wunderbaren Erzählstil pflegt, originelle Charaktere erschaffen und diese in ein wundersames Setting verpflanzt hat – und ein paar phantastische Sätze verewigt hat. einzlkind pinkelt den Literatursnobs niveauvoll ins Gesicht und klopft ihnen mit ungewaschenen Händen mitleidig auf die Schulter. - Keigo Higashino – Verdächtige Geliebte
…weil dieser Krimi vor allem auf psychologischer Ebene schlichtweg exzellent ist – und doch so einfach. - Joey Goebel – Ich gegen Osborne
…weil er mit diesem Highschool-“Ein Tag, ein Buch”-Roman diese Literaturform perfektioniert hat. - Friedhelm Kändler – Die Abenteuer der Missis Jö
…weil literarischer Free Jazz kaum schöner geht. - Sonja Kaiblinger – Scary Harry – von allen guten Geistern verlassen
…weil Kinderliteratur nicht immer einen pädagogischen Wert besitzen muss und stattdessen coole, skurrile Unterhaltung im Vordergrund steht. - Sam Leith – Die Zufallsmaschine
…weil die Story vor Kreativität nur so übersprudelt und die Protagonisten nicht unbedingt auch die Hauptrolle im Buch spielen. - Nils Mohl – Stadtrandritter
…weil dieses Buch lebt und man als Leser Teil dieses literarischen Organismus’ wird. - Francis Nenik – Ach, bald crashen die Entrechteten furchtlos gemeingefährliche, hoheitliche Institutionen, jagen kriegserfahrene Leutnants mit Nachtsichtgeräten oder parlieren querbeet Russisch, Swahili, Türkisch und Vietnamesisch, während Xanthippe Yamswurzeln züchtet
…weil ich solche Wortspiele – hier Alliterationen – einfach liebe und Nenik sich hier als ein Meister dieser Wortkunst erweist. Und er war sehr inspirierend hinsichtlich der Rezension. - Mikael Niemi – Erschieß die Apfelsine
…weil es sich hier um einen tollen Außenseiterroman mit interessanten Reibungspunkten und viel unterschwelliger Energie handelt. - Lisa O’Donnell – Bienensterben
…weil diese Geschichte zweier ungeliebter Teenager-Schwestern und eines älteren Mannes Widerhaken ins Herz bohrt. - Torsten Schulz – Nilowsky
…weil es durch seine Ungeschöntheit und seine verschrobenen Charaktere fasziniert und die Tragik in der Geschichte nachhaltig wirkt, ohne dass das Buch deprimiert. - Gary Shteyngart – Super Sad True Love Story
…weil dieses dystopisch angehauchte Buch eine Zukunftsvision zeichnet, die beängstigend real werden könnte: Ein soziales Netzwerk, die totale Überwachung und das Privatleben werden endgültig eins. Mittendrin: Die bildhübsche, junge Eunice Park und der äußerst durchschnittliche Lenny Abramov in einer sonderbaren Liebesgeschichte. - Heinz Strunk – Junge rettet Freund aus Teich
…weil es sich hier um das echteste Strunk-Buch handelt, zumal der Autor selbst Protagonist ist. Ergreifend, zuweilen tragisch, gelegentlich aber auch komisch, doch stets charmant. - Oliver Uschmann & Sylvia Witt – Wenn Männer baden gehen
…weil dieses Buch nicht nur eine satirische Kurzgeschichtensammlung mit Sachbucheinschüben ist, die in fiktiven Fallstudien diverse badende Männer mit Themen wie Sex, Prokrastination, Mutter etc. in Verbindung bringen, sondern auch, weil zwischen den Zeilen noch etwas ganz anderes steht…
Hörbücher, Hörspiele (alphabetisch nach Autor sortiert):
- Mitch Albom – Dienstags bei Morrie (gelesen von Felix von Manteuffel)
…weil dieses etwas ältere Werk so viel Liebe und so viel Lebensweisheit, so viel Positivität in sich birgt, dass man am Ende mit einem Kloß im Hals dasitzt und schlichtweg ergriffen ist. - Colin Cotterill – Der fröhliche Frauenhasser (gelesen von Jan Josef Liefers)
…weil die exzentrische Person Siri und die skurrilen, intelligent gestrickten Krimis einfach riesigen Spaß bereiten und weil Jan Josef Liefers der perfekte Sprecher für die Siri-Romane ist. - Andreas Eschbach – Todesengel (gelesen von Matthias Koeberlin)
…weil die Story erschreckend aktuell ist, den Hörer/Leser unmittelbar vor die Frage stellt, bis zu welchem Maß das “gute Böse” gut ist und ihn am Schlafittchen packt und von Koeberlin schlichtweg exzellent vorgetragen wird. - Lena Gorelik – Die Listensammlerin (gelesen von Eva Meckbach)
…weil diese Geschichte einer jungen Mutter, die eine überraschende Gemeinsamkeit mit ihrem verstorbenen Onkel entdeckt, so viel Herzenswärme in sich birgt und trotz ihrer Schwere Schönheit in sich trägt. - Aldous Huxley – Schöne neue Welt (Neuübersetzung, gelesen von Matthias Brandt)
…weil dieser 1932er Dystopieklassiker so unfassbar aktuell ist und beinahe nostradamische Züge aufweist. Der geschriebene Wahnsinn wird zudem von Matthias Brandt unglaublich echt vertont. - Mark Lowery – Das peinlichste Jahr meines Lebens (gelesen von Christian Ulmen)
…weil dieses “Wer ist hier eigentlich der Gestörte?”-Drama eines jungen, verknallten Außenseiterschülers in England zum Schreien komisch ist und von Christian Ulmen wunderbar emotional gelesen wird. Göttlich: Die Momente des Entsetzens. - Sophie McKenzie – Seit du tot bist (gelesen von Britta Steffenhagen)
…weil dieser Psychothriller, auch wenn es floskelhaft erscheinen mag, unter die Haut geht, und die Kälte, mit der Steffenhagen hier liest, passt wunderbar. - Dieter Nuhr – Das Geheimnis des perfekten Tages (Autorenlesung)
…weil Nuhrs Mischung aus Alltag, Gesellschaftskritik und Nonsens auch nach vielen Jahren noch frisch unterhält. - Eva Müller – Gott hat hohe Nebenkosten (gelesen von Sofia Brandt)
…weil es angenehm sachlich und fundiert die Macht der Kirche – selbst dort, wo sie finanziell nichts mehr auszurichten hat – anprangert. - Jamie Thomson – Dark Lord 2 – Immer auf die Kleinen (gelesen von Jens Wawrczeck)
…weil auch der zweite Teil der “Dark Lord”-Reihe anders ist als andere Kinder- und Jugendbücher und durch Schrägheit und Coolness zu punkten weiß. Und mit Wawrczeck hat man einen einfach kultigen Sprecher vors Mikro gezerrt.
Livemitschnitte (alphabetisch nach Künstler sortiert):
- Paul Bokowski – Hauptsache nichts mit Menschen
…weil kaum jemand so genial Absurditäten aus Alltäglichem zieht. - Horst Evers – Hinterher hat man’s meist vorher gewusst
…weil seine Alltagserzählungen stets so voller cleverer Gedankengänge, toller, unerwarteter Pointen und sympathischer Heimeligkeit sind. - Jochen Malmsheimer – Ermpftschnuggn Trødå oder: Hinterm Staunen kauert die Frappanz
…weil die Wortgewalt, mit der der Kabarettist seine Gedankengänge von sich gibt, einmal mehr genial ist – und dabei das Thema Politik weitgehend außen vor gelassen wird, was im Kabarett mittlerweile ja leider sehr selten ist.
Filme und Serien (alphabetisch nach Titel sortiert):
- Albert Nobbs
…weil dieser Film auf ganz eigene Art berührt und Janet McTeer und Glenn Close zumindest in meinem Kopf schauspielerisch ein Denkmal gesetzt haben. - Alphas, Staffel 1
…weil hier, ähnlich wie bei den meisten anderen Syfy-Serien auch, immer ein wenig Ironie mitspielt und die Macher originelle und liebenswerte Charaktere erschaffen haben. Superhelden und Antihelden im 2-in-1-Kombipack. - Eureka, Staffel 5
…weil auch diese Syfy-Serie – auf individuelle Art, wie die anderen aus selbigem Haus – lustig, schrullig, dramatisch, lieb, spannend und endbescheuert zugleich ist. - Fairly Legal, Staffel 1
…weil hier gezeigt wird, dass es in rechtlichen Streitfällen nicht immer nur Gewinner und Verlierer geben muss, sondern auch ein Mittelweg angestrebt werden kann. Außerdem ist die Serie eine toll besetzt: Sarah Shahi, Baron Vaughn, Michael Trucco und Virginia Williams. - Hannibal, Staffel 1
…weil diese Serie fast perfekt sämtliche künstlerischen Ebenen miteinander verschmelzen lässt und psychologisch schlichtweg genial konstruiert ist. - Dr. House, Staffel 8
…weil die Serie am Ende doch noch mal die Kurve gekriegt hat, aus jeder Figur das Beste herausgeholt wurde und die Serie zu einem würdigen Ende gekommen ist. - Iron Man 3
…weil diese Mischung aus Komödie und Superheldenepos einfach tolles Popcornkino ist. - Justified, Staffel 3
…weil diese Mischung aus modernem Western, Clankriegen und persönlichen Dramen hier absolut perfekt und authentisch in ein Serienformat gebracht wurde. - Love Stories – Erste Lieben, zweite Chancen
…weil dieser Film so sehr voller Liebe steckt, ganz ohne Kitsch, ganz ohne Schmalz, ganz ohne rosa Glitzerstaub. - Mademoiselle Populaire
…weil dieser auf 50er getrimmte Film um eine Sekretärin, die sehr bald bei Maschinenschreibwettbewerben antritt, so herzzereißend schön und liebevoll inszeniert ist und bis hin zur Kulisse alles stimmt. - Der Nächste, bitte!
…weil diese Komödie einfach wunderbar schräg ist und mit Dany Boon und Diane Kruger die perfekten Hauptdarsteller vor der Kamera standen. - Parenthood, Staffel 1
…weil ich kaum eine schönere, liebevollere, vielschichtigere Großfamilienserie gesehen habe. Grandiose Schauspieler, unzählige Minidramen und eine Menge zum Lachen. - The Place Beyond The Pines
…weil dieser Streifen mit unfassbar charakterstarken Schauspielern dreieinhalb packende, ergreifende, ineinander verwobene Geschichten erzählt und einen im tiefsten Inneren berührt. - Raising Hope, Staffel 1
…weil kaum eine Serie so wunderbar Nonsens, Peinlichkeit und tonnenweise Herzlichkeit und Liebe miteinander vereint. - Royal Pains, Staffel 3
…weil die Serie einfach schöne Dramedy ist und von Staffel zu Staffel beachtliche qualitative Sprünge macht. - Silver Linings
…weil der Film, wenngleich er mit dem (ebenfalls tollen Buch von Matthew Quick) mit zunehmender Dauer immer weniger mit der Romanvorlage zu tun hat, einfach eine grandiose Geschichte erzählt und der gelegentlich komödiantische Anteil, der im Buch etwas fehlt, hier erfrischend wirkt. Trotz der Gabelung eine tolle Literaturverfilmung. - Warehouse 13, Staffel 3
…weil die sich von Staffel zu Staffel verbessernde Serie Mystery-Elemente, Comedy und ein wenig Drama so wunderbar schrullig miteinander vereint. - Ziemlich beste Freunde
…weil der auf einer wahren Begebenheit basierende Film eine solche Positivität versprüht, dass einem sowohl vor Lachen als auch vor tiefer Rührung die Tränen kommen. Einfach grandios, wie hier ein Pfleger seinem Patienten den Lebensmut – wenn auch zuweilen extrem unkonventionell – wieder zurückgibt.
Musik (analphabetisch sortiert):
- Da gefielen mir besonders die aktuellen Alben von Haken, TesseracT, David Bowie, blackmail, Shai Hulud, Darwin Deez, Alice in Chains, Suicidal Tendencies, Dropkick Murphys, sowie die neuen Singles von Major Parkinson.
(Sämtliche Links führen zu meinen Rezensionen bei Musikreviews.de, falls vorhanden) - Enttäuscht haben mich die neuen Scheiben von Carcass, Protest The Hero sowie Audrey Horne. Generell bin ich 2013 etwas musikmüde geworden und habe haupstächlich älteres Material gehört, wenn ich denn mal Lust darauf hatte.
Das Negative lieber in Kurzform. Politisch und privat (abgesehen von meiner wunderbaren Familie) war 2013 ein Jahr, das man in die Tonne treten kann, und im medialen Bereich hat mich vor allem der qualitative Absturz des deutschen Fernsehens am meisten entsetzt, da ich nicht glauben wollte, dass es noch schlimmer kommen könnte. Auch erschien mir 2013 kunstübergreifend, ganz egal, ob Film, Literatur oder Musik, so gleichgeschaltet wie noch nie – selten habe ich so viele Titel genervt “überblättert”. Doch neben solcherlei Ärgernissen gab es auch Trauriges zu vermelden: Wolfgang Herrndorfs Tod (Nachruf) hat mich noch einige Zeit trotz des Wissens, dass er nicht mehr lange auf sich warten ließ, ziemlich beschäftigt.
Meine Hoffnungen für 2014 sind, dass sämtliche mir wichtige Menschen gesund bleiben, ebenso die zahlreichen Künstler/Autoren/Musiker da draußen – ist ja kaum zu glauben, wer uns 2013 alles weggestorben ist. Auch wünsche ich mir mehr Mut seitens der Verlage, der Labels und der Fernsehsender und weniger Angsthasenfußball, Trittbrettfahrerei und Absatzorientiertheit. Massenkompatibilität, Einschaltquoten und Verkaufscharts kann doch nicht den Gipfel der künstlerischen Evolition darstellen. Und natürlich wünsche ich mir, dass das Interesse der Leser an booknerds.de auch weiterhin steigt und wir uns irgendwann vielleicht sogar einen guten Namen im Medienkritikdschungel erarbeiten können. Und der größte Wunsch ist, endlich diesem Dorfmief zu entkommen – bezahlbare 4-ZKB-Wohnung gesucht! 😉
Fotos: privat