Hannibal – Staffel 1 UNCUT (Serie, 4DVD)

Hannibal Staffel 1 Cover © Studiocanal Moderne Adaptionen von Klassikern stellen immer auch eine Gratwanderung dar, doch dass dies exzellent funktionieren kann, wurde mit den beiden Sherlock Holmes-Serienformaten “Sherlock” (mit Benedict Cumberbatch, an die Originalfälle angelehnt) oder “Elementary” (Mit Jonny Lee Miller und Lucy Liu, in New York spielend und mit eigenständigen Fällen) bravourös bewiesen. Demnach durfte man gespannt sein, wie Bryan Fuller und sein Filmstab die Story um den wohl bekanntesten (fiktiven) Anthropophagen Hannibal Lecter in die Neuzeit, zudem in Serienformat, zu transportieren in der Lage war.

 

In der ersten Staffel, die thematisch vor dem ersten Thomas Harris-Roman “Roter Drache” einzuordnen ist, wird einer der renommiertesten Psychiater des Landes, nämlich Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen), einst Chirurg, vom Behavioral Analysis Unit-Direktor Jack Crawford (Laurence Fishburne) darum gebeten, dem Special Agent Will Graham (Hugh Dancy) bei dessen Ermittlungen gegen Serienmörder zur Seite zu stehen. Denn: Graham besitzt zwar einerseits ein ungeheures Maß an Empathie, welche ihm ermöglicht, Fälle am Tatort zu rekonstruieren, indem er sich in den Täter hineinversetzt – doch ebenso ist er psychisch extrem labil, was ihn immer wieder an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus treibt. Für den Zuschauer ist es natürlich kein Geheimnis mehr, doch weder Graham noch den anderen ist klar, dass sich in der Haut der Person Hannibal Lecter nicht nur der smarte, intelligente Dandy befindet…

Hannibal Staffel 1 Szenenfoto © Studiocanal/Brooke Palmer/NBC)Und nach dem Genuss der dreizehn Folgen dieser ersten Staffel muss man dem gesamten Team – sowohl Cast als auch Crew – durch die Bank überzeugende Arbeit attestieren, denn das Niveau dieser Produktion liegt weit über dem der meisten Serienformate. Ferner hat man sich größte Mühe gegeben, trotz Auge auf Fernsehkompatibilität nahe an der Literaturvorlage zu bleiben, was bei den Spielfilmen mit Anthony Hopkins, in denen es auch zahlreiche inhaltliche Streichungen gab, nicht immer der Fall war – so wird der Fokus sehr ausgewogen sowohl auf Will Graham als auch auf Lecter gerichtet, ohne auch die Nebenfiguren aus dem Blickfeld zu verlieren.

Dass man mit Mads Mikkelsen als Hannibal Lecter eine perfekte Besetzung für den manipulativen Gentleman gefunden hat und Laurence Fishburne einen glaubwürdigen Jack Crawford mimt, ist ob der schauspielerischen Qualitäten abzusehen gewesen, doch die größte Überraschung der gesamten Serie ist ohne Zweifel  die Intensität und Authentizität, mit der Hugh Dancy Will Grahams Figur verkörpert – gerade die Tiefgründigkeit seiner darstellerischen Kunst geht oftmals unter die Haut, und man kann durchaus behaupten, dass sich Dancy hiermit ein Denkmal gesetzt hat. Über alle Zweifel erhaben ist auch Gillian Anderson (den Serienfreaks wohl am ehesten als Dana Scully in “Akte X” bekannt), die als Hannibals Psychiaterin Bedelia du Maurier ins Geschehen tritt. Doch auch die Darsteller aus der “zweiten Reihe”, von Caroline Dhavernas über Hettienne Park und Raúl Esperanza bis hin zu Scott Thompson, Aaron Abrams und Kacey Rohl bieten Qualität vom Feinsten.

Was die Serie jedoch so besonders macht, ist der immens hohe künstlerische Anspruch, der in jeder Faser der Produktion steckt. Dies beginnt auf visueller Ebene bei den zu hundert Prozent realistisch wirkenden, zahlreich eingesetzten CGI-Effekten, wird mit den grandiosen Zeitrafferaufnahmen bei den Szenenübergängen sowie den grahamschen mit der Realität verschmelzenden Fiktions-/Rekonstruktions-/Halluzinations-Visionen und “multiplen Realitäten” weitergeführt und erstreckt sich bis zu den massiv beeindruckenden Spielen mit Farben und Perspektiven, die die Szenarien häufig in ein unheimliches Licht rücken.

Hannibal Staffel 1 Szenenfoto © Studiocanal/Brooke Palmer/NBC)Wie kaum bei einer anderen Serie sorgt die musikalische und generell akustische Untermalung in Verbindung mit den Bildern bei “Hannibal” für eine extrem vereinnahmende atmosphärishe Dichte – Multiinstumentalist Brian Reitzell hat sich mit seiner kompositorischen Leistung mehrfach übertroffen. Die klassische Musik stellt eine wichtige Komponente dar und passt hervorragend zur Eleganz, die “Hannibal” innewohnt. Doch glaubt man, dass der Vollblutmusiker und -künstler hierfür überwiegend am PC saß, irrt gewaltig, denn – ein Blick in das Featurette “A Symphony for the Slaughter” schafft Klarheit – für die schaurigen, zuweilen disharmonischen und atonalen Sounds, die stellenweise fürwahr das Knochenmark erfrieren lassen, verwendete er unzählige Realinstrumente, teilweise uralt, teilweise exotisch, und hierbei bedurfte es an vielen Stellen nicht einmal digitaler Nachbearbeitung.

Sämtliche künstlerische Ebenen verschmelzen in “Hannibal” regelrecht ineinander, wodurch eine Entität der Eindrücke entsteht, die sich buchstäblich über den Beobachter stülpt, die ihn körperlich mitfühlen lässt, beinahe synästhetische Effekte herbeiführt und ihn regelrecht einverleibt – um ihn nach der letzten Sekunde der letzten Episode verwirrt und benommen zu Boden zu speien. Selbst lange nach Sehgenuss ist man als Zuschauer damit beschäftigt, die nachhaltig wirkenden, teils zerebral schwindelerregenden Impressionen zu verarbeiten und wieder zu sich selbst zu finden, denn stellenweise fühlt man sich während des Schauens wie ein zweiter Will Graham: Es wird dermaßen virtuos Verwirrung gestiftet, was nun Traum, Vision, Halluzination oder Wirklichkeit ist, dass man selbst von dem beklemmenden Gefühl der Ungewissheit beschlichen wird. “Hannibal” dringt regelrecht in das Innere des Zuschauers, ähnlich wie Dr. Lecter in Will Grahams Kopf.

Spannend ist auch, wie virtuos mit Gegensätzen gearbeitet wird, so beispielsweise Graham als psychisch und optisch unaufgeräumte Person, einsam mit seinen Hunden in einer verwohnten Hütte lebend und soziale Kontakte weitgehend scheuend, und im krassen Gegensatz dazu Lecter als eitler Perfektionist in einem sterilen, durchgestylten Anwesen, in welchem er regelmäßig zu seinen Dinnerpartys lädt.

Obwohl so manche Taten brutalst und blutigst vonstatten gingen, birgt beispielsweise das Arrangement der Opfer eine morbide Ästhetik in sich, die schizophrenerweise beinahe als schön zu bezeichnen ist – fast jeder frische Tatort erweist sich als ein liebevoll gestaltetes Kunstwerk, das gleichzeitig das Gefühl des Schockiertseins und der Bewunderung auslöst – und dieser innere Zwiespalt zeigt sich auch in der Haltung gegenüber Hannibal Lecter, von dem man weiß, wozu er in der Lage ist – und sein Wesen in Gesellschaft anderer paradoxerweise dennoch als sympathisch empfindet.

Hannibal Staffel 1 Szenenfoto © Studiocanal/Brooke Palmer/NBC)Diese Ästhetik und Zerrissenheit wird in den Speisen, die Lecter sich, der High Society, seinen Kollegen und anderen ihm wichtig erscheinenden Personen kredenzt, fortgeführt – die Food-Designerin Janice Poon und der Koch-Weltstar José Andrés (der sich im Featurette “A Taste For Killing” wie ein kleines Kind freut) haben hier mit einer imposanten Kreativität Mahlzeiten auf den Teller gezaubert, dass man nur noch fasziniert staunen kann. Dass für die Organe nur menschenähnliche Tierorgane verwendet wurden und zubereitete “Organe”  essbare Attrappen sind (beispielsweise wurden die “Menschenzungen”, die Lecter als “Ziegenzungen” präsentiert, aus Grieß hergestellt), ist dem Zuschauer hierbei zwar bewusst, doch trotzdem erschrickt man anhand der Tatsache, dass im Serienkontext eigentlich Menschenfleisch serviert wird, einem dennoch das Wasser im Munde zusammenläuft.

Ohnehin ist den Serienmachern – ganz gleich, ob beabsichtigt oder nicht – etwas gelungen, das gleichermaßen beunruhigt und beeindruckt: Sie drehen des Zuschauers Gehirn auf links, stülpen sein Innerstes nach außen und konfrontieren ihn zuweilen mit Selbstkonflikten.  Desweiteren ist “Hannibal” nicht nur ein Monolith des Grauens, sondern weist eine sparsam und wohl dosierte Portion subtilen Humors auf, welcher oftmals dunkler als schwarz ist und die Morbidität des Gesamten elegant unterstreicht.

Traurig stimmt, dass die Serie sowohl in den USA als auch hierzulande deutlich  hinter den Erwartungen hinsichtlich der Zuschauerzahlen zurückbleibt, doch möglicherweise liegt das Problem neben den Vorurteilen gegenüber “Neuauflagen” vor allem in der Natur der Serie, da diese nicht etwa je Episode einen speziellen Fall zu bieten hat (was auch gar nicht möglich wäre), sondern episodenübergreifend mehrere durchgehende, ineinander verworrene rote Fäden aufweist – und somit alles andere als Fast Food ist.

Cover und Szenenbilder © Studiocanal

  • Titel: Hannibal
  • Originaltitel: Hannibal
  • Staffel: 1
  • Episoden: 13 á ca. 41 Minuten
  • Produktionsland und -jahr: USA, 2013
  • Genre:
    Psychothriller, Horror, Krimi, Drama
  • Erschienen: 20.12.2013
  • Label: STUDIOCANAL
  • Spielzeit:
    538 Minuten auf 4 DVDs
    559
    Minuten auf 3 Blu-Rays
  • Darsteller:
    Mads Mikkelsen
    Hugh Dancy
    Caroline Dhavernas
    Hettienne Park
    Laurence Fishburne
    Kacey Rohl
    Scott Thompson
    Aaron Abrams
    Lara Jean Chorostecki
    Gina Torres
    Ellen Greene
    Raúl Esparza
    Gillian Anderson
  • Romanvorlage: Thomas Harris – Roter Drache
  • Regie: Bryan Fuller
  • Produktion: Carol Dunn Trussell
  • Musik: Brian Reitzell
  • Extras:
    Audiokommentar von Bryan Fuller, Hugh Dancy
    und David Slade (Episode 1 und 13)
    Gag Reel
    Geschnittene Szene aus “Savoureux” (dt.: “Minnesota)
    Featurette “Hannibal Reborn”
    Featurette “A Taste for Killing”
    Featurette “The FX of Murder”
    Featurette “A Symphony for the Slaughter”
    Featurette “Forensics 101”
    Featurette “Eat The Rude”
    Trailer
    Teaser
    Kinotrailer “Manhunter”
    Pilotfolge “The Returned”
  • Technische Details (DVD)
    Bild: 1,78:1 (anamorph)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Englisch (5.1 DD)
    Untertitel:
    Deutsch
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Bild: 1,78:1, 1080/24p Full HD
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Englisch (5.1 DTS-HD MA)
    Untertitel:
    Deutsch
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite zur Serie @ STUDIOCANAL

Wertung: 13/15 dpt

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