Ali Shaw – Das Mädchen mit den gläsernen Füßen (Buch)

Das Mädchen mit den gläsernen Füßen (Buch) Cover © script5Rein optisch wurde bei der vorliegenden Hardcoverversion von “Das Mädchen mit den gläsernen Füßen” alles richtig gemacht: Der Schnitt glänzt silbern, ebenso das Lesebändchen. Mäandrierendes Geäst und diverse Gewächse, wie sie das stilvolle Cover auf dem Schutzumschlag zieren, leiten auch jedes Kapitel sehr geschmackvoll ein – das mag einen entsprechend hochwertigen Inhalt suggerieren, und da das Debüt des britischen wildgelockten Autors Ali Shaw gemeinhin als Überraschungserfolg galt und auch hierzulande zahlreiche Leser sowie die Literaturpresse und die Buchblogszene zu begeistern wusste, war die Neugier des Rezensenten ob der Qualität von “Das Mädchen mit den gläsernen Füßen” groß.

Auf dem sonderbaren St. Hauda’s Land, einer auf den ersten Blick langweilig erscheinenden Inselgruppe, ist vieles anders als man es erwarten würde, denn die dortigen Bewohner sind äußerst eigenartig, und auch die ein oder anderen mysteriösen Kreaturen faszinieren sowohl diverse Buchcharaktere als auch den im Buch Blätternden –  so finden sich dort beispielsweise Quallen, die im Meer leuchten, wenn sie sterben. Winzige geflügelte Tiere, die wie eine Kreuzung aus Säugetier und Insekt aussehen.  Ein im schneebedeckten Wald lebendes Geschöpf, das mit seinem Blick alles weiß werden lässt.

Der junge Fotograf Midas Crook, Sohn des gleichnamigen, emotionsarmen, mittlerweile toten Vaters,  ist all das schon gewöhnt, da er schon von Geburt an hier lebt. Midas ist ein eher verschlossener Zeitgenosse, dessen Interesse ausschließlich der Fotografie gilt. Eines Tages trifft er mitten im Wald auf Ida McLaird – eine junge Frau, die sich mit dickster Fußbekleidung humpelnd fortbewegt. Idas Körper macht eine seltsame Metamorphose durch, denn sie verwandelt sich von den Füßen aufwärts in Glas. Nun hat sie St. Hauda’s Land wieder aufgesucht, um einerseits zu den Ursprüngen ihres Leidens hervorzudringen, andererseits, um Hilfe zu finden und Heilung gegen das Glas zu finden. Zaghaft tasten sich die trotzige Ida und der verschlossene Midas Stück für Stück zueinander und versuchen gemeinsam zu verhindern, dass Ida bald zu einem gänzlich gläsernen Mädchen wird – und die Möglichkeit einer zarten, aufkeimenden Liebe besteht…

All das Geschilderte lässt eine wunderbare, berührende Phantasie- und Liebesgeschichte erwarten, und Shaws Schreibstil ist auch äußerst gefühlvoll, extrem bildhaft und eigentlich bezaubernd schön – doch seine Stärke entpuppt sich schizophrenerweise auch als eine gravierende Schwäche, denn der Autor verliert sich in viel zu vielen Details. Oftmals besteht die Hälfte des Textes – gelegentlich gar noch mehr – aus sehr sinnlastigen Schilderungen über Licht- und Wetterverhältnisse, Kulisse, Gerüche und Geräusche. Man erfährt den Klang jedes rauschenden Blattes. Von welcher Himmelsrichtung das andere Blatt, welches gerade über den Asphalt zieht, herweht. Ob der Regen aus großen oder kleinen Tropfen besteht und ob sich im Wasser daraus Kreise bilden oder ein vibrierendes Gefüge entsteht. In welchem Winkel Sonne oder Mond auf die Erde hinableuchten. Wie welche Haarsträhne gerade liegt und wonach die Luft in jenem Moment duftet. Ob hier ein Gänseblümchen oder dort ein Grashalm wächst. Ob um die Straßenlaterne gerade eine Gruppe Insekten wirbelt. Welche Form diese oder jene Schneeflocke hat.

Das verleitet stellenweise beinahe zum Überfliegen des Textes, denn trotz des Gewahrseins, dass sich Ali Shaw lesbar bemüht, dem Leser beinahe fotorealistisches Kopfkino zu bieten, wartet man mit zunehmender Zeit immer ungeduldiger auf die eigentlichen Handlungselemente und möchte wissen, wie sich die Geschichte weiter entwickelt. Womit bereits der nächste Kritikpunkt gefunden ist, denn im Grunde ist bereits sehr früh vorherzusehen, wohin sich die Story bewegen wird, da die Weiterentwicklung sehr bald stockt. Denn immer dann, wenn sich fast die entscheidende Szene ereignet, wird wieder eine Wendung herbeigeführt. Dies kann man gerne ein oder gar zwei Mal in einer solchen Geschichte praktizieren, doch Shaw übertreibt es hier maßlos, sodass man von Mal zu Mal genervter ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Charaktere trotz zahlreicher Rückblenden und enorm vieler Emotionsprojektionen dem Leser nie wirklich einen Zugang zu sich gewähren, sodass ein Gefühl der Oberflächlichkeit zurück bleibt und die Figuren auch nicht mit der Story in des Rezipienten Kopf wachsen, und das verleiht “Das Mädchen mit den gläsernen Füßen” in Kombination mit dem riesigen Maß optischer Abschweifungen einen doch sehr konstruierten Anstrich.

Der Autor sollte sich in seinen zukünftigen Werken etwas intensiver auf das Wesentliche konzentrieren und seine literarischen Ergüsse von zu vielen verspielten Ausschmückungen befreien, denn diese sind (wenn auch schöner) Ballast und hemmen den Lesefluss ungemein. Denn was hilft es, wenn das Füllmaterial glitzert, leuchtet, duftet und schöne Geräusche erzeugt, wenn es letztendlich doch nur Füllmaterial ist? Da gilt es, das tonnenweise vorhandene Potenzial effizienter auszuschöpfen.

Cover © script5

 

  • Autor: Ali Shaw
  • Titel: Das Mädchen mit den gläsernen Füßen
  • Originaltitel: The Girl With Glass Feet
  • Übersetzer:
    Sandra Knuffinke
    Jessika Komina
  • Verlag: script5
  • Erschienen: 2012
  • Einband: Gebunden mit Schutzumschlag
  • Seiten: 400
  • ISBN: 978-3-8390-0131-8
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag

Wertung: 8/15 dpt

 

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2 Kommentare
  1. Eigentlich habe ich dieses Buch auf meiner Wunschliste. Aber nach deiner Rezi bin ich mir nicht sicher, ob das was für mich ist, ich mag es nämlich gar nicht, wenn zuviel beschrieben wird und nix passiert.

    LG Michaela

    1. Ich hoffe auch, dass “Der Mann, der den Regen träumt”, welches auch noch zu Rezizwecken hier liegt, etwas konsistenter ist. Ich mag ja solch blumige Ausdrucksweisen wie in “Das Mädchen…”, aber manchmal war’s mir doch too much. Die Geschichte wäre auf 200 statt 400 Seiten bestimmt spannender gewesen, und da wären einige andere (subjektive) Mankos vielleicht auch nicht so ins Gewicht gefallen. Aber wie immer bei Rezis: Mach dir lieber selbst ein Bild. 😉

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