In seinem neuesten Film begibt sich der spanische Kultregisseur und -drehbuchautor Pedro Almodóvar mit einigen seiner Stammschauspieler in die Lüfte. Nachdem die Passagiere und die Besatzung des Fluges 2549 der Peninsula Airline in Madrid mit Zielort Mexico City startet, scheint alles noch völlig in Ordnung zu sein – der Start verläuft ohne Komplikationen. Doch durch einen dank Nachlässigkeit verursachten Defekt am Flugzeug ergeben sich Probleme, durch die eine risikofreie Landung nicht garantiert werden kann. Die Maschine muss nun noch eine ganze Weile in der Luft gehalten werden, und so sind Crew und Fluggäste gezwungen, noch ein wenig über den Wolken zu verweilen.
Jetzt ist einerseits das Können der beiden Piloten Alex (Antonio de la Torre) und Benito Morón (Hugo Silva), andererseits die Hilfe des Chefstewards und der Flugbegleiter/innen gefragt. Während die “Holzklasse” mit nicht ganz rauschmittelfreien Mitteln ruhig gestellt wird, um Panik zu verhindern, kümmern sich besonders Joserra (Javier Cámara), Fajas (Carlos Areces) und Ulloa (Raúl Arévalo) um die Business Class, in denen das frischgebackene, von Miguel Ángel Silvestre und Laya Martí dargestellte junge Ehepaar, der sonderbare Auftragskiller Señor Infante (José María Yazpik), der etwas abgehalfterte Frauenheld Ricardo (Guillermo “Willy” Toledo), der betrügerische Señor Mas (José Luis Torrijo), die stark hormongesteuerte Hellseherin Bruna (Lola Dueñas) sowie die Domina und Callgirlring-Chefin Norma (Cecilia Roth) in ihren bequemen Sitzen um ihr Leben bangen müssen.
In dieser extremen Situation bröckelt bei den Fluggästen, denen die Flugbegleiter ebenso ein paar bewusstseinserweiternde Cocktails unterjubeln, Stück für Stück die Fassade, und so mancher nutzt dies als Gelegenheit, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Während Señor Mas sich wieder mit seiner Tochter versöhnen möchte, die ihm aufgrund seiner skrupellosigkeit den Rücken gekehrt hat, möchte Ricardo seine Exfreundin, die für ihn noch starke Gefühle empfindet, aber Angst hat, dass sie genau so endet wie seine anderen verflossenen Frauen, um Verzeihung bitten. Bruna hingegen, bereits in den Dreißigern, ist noch Jungfrau und möchte noch während des Fluges endlich einen potenten Deflorator finden – und so offenbart praktisch jeder sein kleines großes Geheimnis.
Suggerieren der Trailer und die sehr saftige Farbgebung noch einen schrägen, schrillen, lauten, hektischen und bizarren Film, so entpuppt sich “Fliegende Liebende” als eine überraschend ruhige und dialogreiche Produktion, deren Humor nur selten plakativ ist, sondern oftmals sehr subtil um die Ecke lauert. Auch besitzt der Film eine melodramatische und tragische Note, sodass man hier nicht, wie überall angepriesen, von einer reinen Komödie sprechen kann, sondern eher von einer Tragikomödie. Sicherlich gibt es zahlreiche komödiantische Pegelausschläge nach oben, wobei besonders die Homo- und Bisexualität der Besatzung liebevoll und überzeichnet, aber nie billig klischeeisierend auf die Schippe genommen wird und auch diverse Schlüpfrigkeiten – wie für Almodóvar typisch, stets künstlerisch hochwertig verpackt – nicht zu kurz kommen.
Hierbei bricht Almodóvar einmal mehr Tabus in seinem ganz eigenen Stil, und zwar auf eine widersprüchliche Art und Weise. Wie ein filigraner Schlag mit der Keule. Wie ein graziler Bauchplatscher. Intelligent-plump. Grob-fein. Faustschlag mit Pirouette. Bei seiner ausgedehnten Filmographie überrascht es natürlich kaum, dass sich – nicht zuletzt auch aufgrund des Einsatzes zahlreicher Stammschauspieler – einige Elemente wiederholen und das ein oder andere aus dem eigenen Fundus nochmalige Verwendung in modifizierter Form genießt, doch das ist etwas, das man einem hart arbeitenden Medienprofi, der bereits seit über drei Jahrzehnten Qualitätsware bietet, nicht negativ ankreiden kann.
“Fliegende Liebende” ist eine sehr ausgewogene Mischung aus schillernden Farben und leisen Tönen sowie lauten Emotionen in ruhigem Gewand und entfaltet seinen Reiz erst im Laufe des Films. Man muss sich als Zuschauer, gerade wenn man mit dem Schaffen des Regisseurs noch nicht allzu vertraut ist, auch ein Stück weit auf dessen Filme einlassen können, denn seine Werke haben allesamt eines gemeinsam: Sie sind extrem gewöhnungsbedürftig und klicken nicht gleich zu Beginn in eine vorgefräste Stützraste. Film als gehobene Kunst, ohne die Kunst allzu sehr in den Vordergrund zu schieben.
Cover & Fotos © Tobis
- Titel: Fliegende Liebende
- Originaltitel: Los Amantes Pasajeros
- Produktionsland und -jahr: Spanien, 2013
- Genre:
(Tragi)Komödie - Erschienen: 7. November 2013
- Label: Tobis
- Spielzeit:
86 Minuten auf DVD
90 Minuten auf Blu-Ray - Darsteller:
Antonio de la Torre
Hugo Silva
Miguel Ángel Silvestre
Laya Martí
Javier Cámara
Carlos Areces
Raúl Arévale
José María Yazpik
Guillermo “Willy” Toledo
José Luis Torrijo
Lola Dueñas
Cecilia Roth
Blanca Suárez
Antonio Banderas*
Penelope Cruz*
Paz Vega*
Carmen Machi*
Susi Sánchez*
Pepa Charro*
Nasser Saleh*
(*Gastrollen) - Regie: Pedro Almodóvar
- Drehbuch: Pedro Almodóvar
- Produktion:
Agustin Almodóvar
Esther Garcia - Musik: Alberto Iglesias
- Schnitt: José Salcedo
- Kamera: José Luis Alcaine A. E. C.
- Extras:
Making of (Deutsch, Spanisch)
Digitale Effekte
Bildergalerie
Deutscher Trailer, Deutscher Teaser
Originaltrailer, Originalteaser
Das Almodóvar-Alphabet
- Technische Details (DVD)
Video: 1,85:1 anamorph Widescreen
Sprachen/Ton: Deutsch, Spanisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch, Spanisch für Hörgeschädigte
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,85:1 anamorph Widescreen Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch, Spanisch (DTS-HD MA 5.1)
Untertitel: Deutsch, Spanisch für Hörgeschädigte - FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite zum Film inklusive
Trailer, Bestellmöglichkeit und Infos
Wertung: 12/15 dpt