Marion Poschmann – Die Sonnenposition (Buch)


Marion Poschmann - Die Sonnenposition (Buch) Cover © Suhrkamp VerlagAltfried Janich, rundlich und rothaarig, arbeitet in einem alten und geschichtsträchtigen Schloss in der ostdeutschen Provinz. Janich ist Psychiater, das langsam der verstreichenden Zeit anheimfallende Schloss eine Psychiatrie. Der Mann, den man aufgrund seiner Leibesfülle häufig fälschlicherweise für mit beneidenswerter Gemütsruhe ausgestattet hält, bemüht sich sehr um seine Patienten. Bemüht sich, ihnen gegenüber die “Sonnenposition” einzunehmen, ein steter Quell von Halt und Trost zu sein, ein gleißender Fels an ihrem Firmament. Sein Fundament allerdings beginnt gefährlich in Schieflage zu geraten, als sein Freund Odilo bei einem Unfall viel zu früh aus dem Leben scheidet. Mit diesem Verlust erwachen in Altfried Janich auch viele frühere Verluste, regen sich Kindheit und Familiengeschichte in ihm. So viel sei grob zu Marion Poschmanns Roman “Die Sonnenposition” gesagt, der neben fünf anderen Romanen auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht und gerade eben mit dem Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet wurde.

Poschmann, geboren 1969 in Essen, ist eine der ruhigeren, fast schüchternen Anwärterinnen auf die Auszeichnung des deutschen Literaturbetriebs. Ähnlich auch ihr Roman, den eine eigentümliche Zerbrechlichkeit und Poesie auszeichnet, eine Zartheit, die auch ohne das Wissen darum Marion Poschmanns Herkunft aus dem Lyrischen erahnen lässt. Altfried Janich, der mit seinem Freund Odilo leidenschaftlich – jedenfalls, was in seiner Behäbigkeit als leidenschaftlich gilt – auf die Jagd nach Erlkönigen (Protoytpen von Autos) geht, ist mitnichten eine Identifikationsfigur. Er nächtigt in der Klinik, in der er arbeitet und nach dem Tod seines Freundes verschwimmt die Grenze zwischen ihm, der auch ohne weißen Kittel die Autorität eines Arztes zu vermitteln versucht, und seinen Patienten immer mehr. Er liegt wach in seinem Bett, taut sich tiefgefrorene Reibekuchen auf der Heizung auf, isst sie halbroh mit Apfelmus, hat keine Frau, keine Kinder. Janich ist, gewissermaßen wie die Autos, die er mit seiner Kamera einzufangen sucht, der Prototyp einer vergessenen Generation, Symbol einer Nachkommenschaft, die mit dem Krieg im Rücken aufwächst.

Altfried Janichs Großeltern starben noch im Krieg, sein Vater und seine Tante, damals noch Kinder, schlugen sich allein in eine nächstgrößere Stadt, erhielten dort Essensmarken, wurden geimpft gegen Typhus und notdürftig untergebracht in einer Heilanstalt. Marion Poschmann erzählt mit ungeheurem Einfühlungsvermögen von diesen Erfahrungen, die nicht nur die Eltern, sondern natürlich auch die Kinder auf ihrem Lebensweg maßgeblich beeinflusst haben. Den einen Krieg hinter sich steht ihnen der kalte noch bevor, der mächtigen eiserne Vorhang und 1989 der Zusammenbruch einer Wirklichkeit, die man für unanfechtbar gehalten hat. Poschmann beschäftigt sich eindringlich mit der Frage, wie Geschichte durch Generationen Biographien bestimmt und Erfahrungen mit Jahrzehnten Verspätung ihre Macht ausüben, besonders exemplarisch in den einzelnen Fallbeispielen, die Janichs eigene Biographie unterbrechen. In diesen, auf den Moment des psychischen Ausscherens heruntergebrochenen Lebensbildern, entfaltet sich der Tonfall des Romans ganz besonders, ist er pointiert und genau. Wie die barocken Blütenmuster auf dem Buchcover rankt sich Marion Poschmanns hochpoetische Sprache um zahlreiche Momentaufnahmen der Gegenwart und Vergangenheit, ist dabei manchmal so fein ziseliert, dass sie sich zu verfransen droht.

Einige Passagen zerfallen scherbengleich zwar in wunderschöne Worte, sind aber aufgrund eben dieser Fragmentierung nicht mehr imstande, Kitt zu sein zwischen den Situationen. Der Textfluss wird unterbrochen, es siegt die reine und sprachliche Ästhetik. Wer sich als Liebhaber von Sprache auch damit arrangieren kann, dass die Handlung gelegentlich hinter schönen Worten zurücksteht, wird davon nicht im Mindesten gestört sein. Andere mögen Marion Poschmann womöglich den Vorwurf machen, sich ein wenig in der Sprache zu verlieren, die sie ohne Zweifel bravourös beherrscht. Altfried Janich und die Seinen bleiben wie die Patienten eigentümlich fern, wie durch Milchglas betrachtet. Seine Schwester Mila hatte eine Affäre mit Odilo,von der Janich lange nichts erfährt; sie schneidert Kleidung aus modischen Relikten der Vergangenheit. Ihre Beziehung zueinander ist unklar und verwaschen.

Auf Poschmanns relativ handlungsarmen Roman muss man sich einlassen können, man muss sie genießen, die zahlreichen Reminiszenzen an die Sonne und das Licht, gebrochenes und gleißend helles, künstliches und klares, an die Schatten, die manchmal die eigene Biographie in Beschlag nehmen. Bei Marion Poschmann gibt es Farben wie “Traumschwarz” und “Wolframgrau”, bei ihr gibt es gleichermaßen Lyrik in Prosa. Eine, bedenkt man die etwas erschwerte Zugänglichkeit, brandheiße Anwärterin auf den Deutschen Buchpreis.

Cover © Suhrkamp Verlag

Wertung: 12/15 dpt


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