Da der televisionäre Ösophagus momentan ob der Überpräsenz medialer unverdaulicher und gammliger Billig- und Niedrigniveauunterhaltung anhand des Dauervomierens beinahe unter säurebedingten Verätzungen leiden muss, kann man froh sein, dass es wenigstens einer nach Mundabwischen und kräftigem Gurgeln mit dem nötigen Biss und hundsgemeiner, aber umso ehrlicherer Ironie zu verarbeiten weiß: Oliver Kalkofe hat zur Zeit wieder alle Hände voll zu tun – gerade die treuen und immer mehr werdenden Facebook-Fans werden momentan praktisch täglich, gerne auch mehrmals, Zeuge dessen, wie sich der Niedersachse herrlich temperamentvoll, begrüßenswert bitterböse und gerne auch unter der Gürtellinie über all den ausgestrahlten Sondermüll auslässt, sich episch echauffiert und kräftig austeilt.
Wie es aussieht, benötigt der Satiriker als Ausgleich zu all dem die Gehirnzellen zum kollektiven Suizid animierenden “Bildungsfernsehen” gelegentlich dann doch mal ein gutes Buch in seinen Händen. Und weil der gute Mann sich ohne Aufnahmegerät in seiner Umgebung offenbar nackt fühlt, hat man dies für den Hörverlag auch dieses Mal wieder ausgenutzt und ihn vor das Tonstudiomikrofon gekettet, damit er Teil drei und vier der von Nikolaus Stingl hervorragend übersetzten “Memoiren des Sherlock Holmes” in gesprochener Form auf Konserve bannt. Und damit tut man sowohl seinen als auch Doyles Anhängern einen riesigen Gefallen, denn erneut zaubert die Vorlesekunst Kalkofes dem Zuhörer ein amüsiertes Lächeln ins Gesicht.
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie der Mann konzentriert und wild gestikulierend in Dr. Watsons Rolle schlüpft und durch ihn hindurch auch in die Rollen Holmes’ und all der weiteren Haupt- und Nebenfiguren – die Art und Weise, wie Kalkofe beispielsweise Holmes’ Deduktionen akustisch wiedergibt, hat sich bereits früh zu einem Markenzeichen und Qualitätsmerkmal entwickelt. Doch auch den anderen Charakteren verleiht er durch Feingefühl und Kreativität ihr ganz eigenes Profil, und selbst wenn er die ein oder andere Figur beinahe schon überzeichnet darstellt, wird das Seriositätsterrain nie verlassen. Mittlerweile ist es wohl nicht mehr allzu gewagt, zu behaupten, dass die Kombination Oliver Kalkofe plus Arthur Conan Doyle wohl eine der einerseits originellsten, andererseits der passendsten ist, die im Krimiklassiker-Genre vorzufinden sind.
In “Der Angestellte des Börsenmaklers” finden wir Dr. Watson nicht mehr als Mitbewohner des Detektivs, sondern als Frischvermählter mit eigener Bleibe vor – doch mit Gemahlin und den eigenen vier Wänden hat er kein langes Vergnügen: Er wird von Holmes einmal mehr zur Hilfe gerufen, denn der schon lange ein Arbeitslosendasein fristende Mr. Pycroft wundert sich enormst darüber, gleich zwei Stellenangebote zu erhalten. Was Pycroft neben der Sinnbefreitheit eines Auftrags allerdings besonders irritiert, ist, dass sich die jeweils potentiellen Vorgesetzten extrem ähnlich sehen. Es ist nicht verwunderlich, dass Sherlock Holmes anhand seiner exzellenten Beobachtungsgabe und seines hervorragenden Gedächtnisses in Verbindung mit seiner unvergleichlichen Kombinatorik wieder ein jeden verblüfft – selbst Watson, der es eigentlich schon gewöhnt sein sollte.
Bei “Die ‘Gloria Scott'” sitzt das Duo gemütlich vor dem Kamin, als Holmes seinem Partner einen Brief zeigt, der ihn darauf bringt, von seinem ersten Fall zu erzählen. Holmes war früher eher Einzelgänger, dennoch entwickelte sich zu Studienfreund Victor Trevor eine gute Freundschaft. Irgendwann lud Victor ihn dann ins Haus seines Vaters, dem Friedensrichter Trevor, ein. Der Friedensrichter war ob der beeindruckenden Deduktionen des Freundes seines Sohns völlig aus dem Häuschen und zeigte sich begeistert, aber auch beunruhigt. Doch als ein Herr namens Hudson aufschlug, nahm die Begeisterung ab und musste extremer Nervosität weichen – offenbar wusste auch Hudson von einem Geheimnis Trevor Seniors, welches Holmes bereits erahnte. Doch um seinem Freund weitere unangenehme Situationen zu ersparen, trat der noch junge Ermittler wieder den Heimweg an. Nur zwei Monate später meldet sich Victor wieder bei seinem Freund, um ihm von eingangs genanntem Brief zu berichten, der zu ebenjenem tödlichen Schlaganfall führte. Als sich bei den Nachforschungen in einer Schatulle ein Brief findet, wendet sich alles und vieles wird klar…
Für Quereinsteiger, die sich erst neuerdings mit Arthur Conan Doyles Werken beschäftigen, eignet sich gerade dieser Doppeldecker gar nicht mal so schlecht, denn während der Börsenmakler-Fall ein beinahe typischer, klassischer Holmes-Fall ist, bekommt man durch die Friedensrichter-Story einen kleinen Einblick in die Anfangsjahre des scharfen Beobachters gewährt. Wenn man dann als hörbuchaffiner Zeitgenosse auch noch Wert auf eine gute Vortragsweise legt, sollte eigentlich kaum ein Weg daran vorbei führen, diese beiden Geschichtchen in seinen Einkaufskorb fallen zu lassen.
Cover © der Hörverlag
- Autor: Arthur Conan Doyle
- Titel: Die Memoiren des Sherlock Holmes
CD1: Der Angestellte des Börsenmaklers
CD2: Die ‘Gloria Scott’
- Teil/Band der Reihe: Folge 8
- Originaltitel: “The Stockbroker’s Clerk”/”The Gloria Scott”
- Übersetzer: Nikolaus Stingl
- Label: der Hörverlag
- Erschienen: 16.09.2013
- Sprecher: Oliver Kalkofe
- Spielzeit: 103 Minuten auf 2 CDs
- ISBN: 978-3-8445-1131-4
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt