Nachdem die Verfilmung des gleichnamigen Buchs beim Verfasser dieser Zeilen für große Begeisterung sorgte und vielerorts bemerkt wurde, dass es sich um eine der besten modernen Literaturverfilmungen handelt, war die Neugier groß, wie nahe sich der Film an vorliegendem Roman orientiertt. Im Grunde könnte man es auf einen einzigen, widersprüchlichen Satz reduzieren: Buch und Film erzählen dieselbe Story und doch eine völlig unterschiedliche. Oder: So nah der Film am Buch ist, so weit weg ist er auch – denn ganz gleich, in welcher Reihenfolge man “Silver Linings” sieht/liest oder liest/sieht, erlebt man Déjà-vus am laufenden Band und dennoch alles auf irgendeine Weise neu. Der Leser beziehungsweise Zuschauer entwickelt sich zu einer multipel wahrnemenden Persönlichkeit.
Das mag eventuell am groben Rahmen liegen, den die Geschichten umgeben – in beiderlei Versionen wird der Footbalfan und Wolkenliebhaber Pat, der Job, Ehefrau Nikki und Haus verloren hat, aus der psychiatrischen Klinik entlassen und zieht wieder bei seinen Eltern ein, wobei sein Vater, ein beinharter Eagles-Anhänger, eine wahrlich harte Nuss ist – nun muss der sehr sportliche Mittdreißiger erst mal wieder in sein Leben zurückfinden und seine Nikki zurückerobern, und unerwartet kommt Tiffany, die Schwägerin seines besten Kumpels Ronny, in sein Leben, die ihrerseits ebenfalls heftige psychische Probleme hat, da ihr Mann ums Leben kam, sie durchgedreht ist und mit sämtlichen Männern an ihrer Arbeitsstelle geschlafen hat, wodurch auch sie ihrer Stelle verlustig wurde. Pat weiß allerdings nicht, was Tiffany von ihm möchte, und da er doch noch verheiratet ist, wäre er Nikki gegenüber ja untreu, wenn sich zwischen Tiffany und ihm etwas anbahnen würde. Sie allerdings will lediglich die Vermittlerin zwischen ihm und Nikki in Briefform darstellen, und um Nikki zu sehen, soll Pat nun mit Tiffany einen Tanz-Contest bestreiten…
Die gravierenden Unterschiede zwischen Papier und Zelluloid beginnen bereits bei der Namensgebung, dem Wohnort und der Zeit, in welcher er sich in der Psychiatrie befand, denn während im Film der in Pennsylvania lebende Pat Salitano nach acht Monaten entlassen wird, sind es beim im Buch in New Jersey lebenden Pat Peoples ganze vier Jahre. Im Film droht Pat wegen eines ganz anderen Songs durchzudrehen als im Buch. Pat und Tiffanys Teilnahme beim Tanzwettbewerb geht gedruckt und audiovisuell völlig unterschiedlich aus. Im Buch ist es Pat, der versucht, eine emotionale Bindung zu seinem Vater aufzubauen. Im Film ist es umgekehrt. Im Film funktioniert die Ehe von Pats Eltern, im Buch ist sie am Ende. Im Buch erinnert sich Pat absolut nicht an die Vergangenheit mit Nikki – im Film erinnert er sich an alles. Während im Film Tiffany deutlich jünger ist, ist sie im Buch klar älter. Im Buch wiederum ist Pat ein Muskelpaket, das penibel auf einen perfekt gestählten Körper achtet, während er im Film einfach nur ein normaler, durchtrainierter Mann ist. Dann sehen sich Pat und sein bester Freund Danny im Film regelmäßig, im Buch wiederum fast überhaupt nich. Und, und, und.
Letztendlich hat man “Silver Linings” für den Film fast komplett umgekrempelt, wodurch er ganz anders wirkt. Denn während die Verfilmung sehr hektisch und voller Wortschwälle ist, hier und da mehr Humor verarbeitet wurde und auch mal Pat-Pausen existieren, erleben wir ein sehr auf die Person Pat Peoples konzentriertes Buch, welches einen spürbar ernsteren Ton anschlägt und deutlich emotionaler und auch intensiver, wortgewaltiger und konzentrierter ist – und in welchem die sparsam dosierte Komik viel subtiler eingesetzt wird.
Gerade die visuelle Kraft, die in der temporeichen Romanvorlage steckt, ist es, die den wahrlich guten Film noch um ein ganzes Stück übertrumpft, und auch bei diversen Schlüsselszenen hat Matthew Quick auf den Pathos verzichtet, der im Film hier und dort dann doch mal hindurchschimmerte. Der US-Autor, der mittlerweile drei weitere Bücher geschrieben hat, beweist sich mit “Silver Linings” als ein exzellenter Geschichtenerzähler, der offenbar über eine hohe empathische Ader verfügt, denn er vermag die einzelnen Charaktere äußerst präzise zu konturieren, sie mit zahlreichen Farbnuancen auszumalen und ihnen eine für den Leser extrem transparente Gefühlswelt auf den Leib zu schreiben. Und oftmals besitzen all die metaphorischen Wolken, die beispielsweise in Pats Kopf aufziehen, nicht nur die zwei Töne weiß und fast schwarz , sondern die verschiedensten Graustufen, die dazwischen liegen.
Das Debüt des 1978 geborenen Schriftstellers birgt eine Lebendigkeit in sich, die trotz der tragischen Note, welche stets mitschwingt, für Wind zwischen den Buchseiten sorgt, der das Umblättern regelrecht beschleunigt, und letztendlich besitzt das Buch ein beachtliches Schippchen mehr Substanz als dessen Verfilmung.
Cover © Kindler Verlag/Rowohlt
- Autor: Matthew Quick
- Titel: Silver Linings
- Originaltitel: The Silver Linings Playbook
- Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
- Verlag: Kindler (rowohlt)
- Erschienen: 21.03.2013
- Einband: Gebunden mit Schutzumschlag
- Seiten: 352
- ISBN: 978-3-463-40081-5
- Sonstige Informationen:
Buchinfo mit Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 13/15 dpt
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