einzlkind – Gretchen (Buch)


Gretchen (Buch) von einzlkindAuf der Rückseite des Buchumschlags prangt kurz und bündig: »Sie haben Harold geliebt? Dann werden Sie Gretchen hassen.« – was man so nicht unbedingt befolgen muss, doch der zweite Roman des pseudonymen Autors ist fürwahr komplett anders als dessen Vorgänger. Zweigleisig beginnend, wohnt der Leser auf Gleis eins dem Lebensabend der fünfundsiebzigjährigen Wienerin und Wahlengländerin Gretchen Morgenthau bei, die ihres Zuhauses, dem Theater, verlustig geworden ist. Sie, die mit “Frau Intendantin” angesprochen werden möchte, ist Unholdin mit Stil und wird nach einer kleinen alkoholinduzierten Unachtsamkeit, den Respekt vor ihrem fortgeschrittenen Alter missachtend, verurteilt. Doch die Frau Intendantin, die doch nur eine Polizistin bedroht und einen Streifenwagen zu Schrott verarbeitet hat, möchte der drohenden Gefängnisstrafe entgehen.

Gleis zwei, anderer Ort, gleiche Zeit: Auf einer nahe Island gelegenen Insel namens Gwynfaer schlägt sich Kyell mehr oder minder erfolgreich durchs Leben und lässt seine Vergangenheit zu Beginn der Erzählung bis zum Jetzt Revue passieren. Gwynfaer erscheint in vielerlei Hinsicht jungfräulich, Kriminalität ist mehr oder minder ein Fremdwort, die Natur in ihrer Gesamtheit ist in voller, nie verwelken wollender Blüte, und auch die Technik besitzt dort einen Stellenwert, der etwa in Fußleistenhöhe angesiedelt ist. Ein Quell der Freude für den Freund der Idylle, die Hölle für die mürrische, designermarkenbesessene Städterin Gretchen Morgenthau, denn die muss auf dieser Insel mit ihrem persönlichen Assistenten, der sich später als Kyell herausstellt, ein Theaterstück inszenieren. Doch besser Zwangsexil in Freiheit als mit Wasser und Brot hinter Gittern, denn das wäre nun wahrhaftig unter ihrer Würde – noch weniger als die ihr bevorstehende Aufgabe.

Auch in ihrem neuen Umfeld ist Gretchen, Frau von Welt, zu ihrem Missfallen von begriffsstutzigen Menschen umgeben, und sie lässt ihre Mitmenschen stets im Wissen, wie sehr sie sie verachtet. Dennoch: Das Theaterstück muss bald stehen, und nebenbei muss eine Revolution angezettelt werden, und so muss sie die Inselbewohner für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren, was sich als extrem nervenaufreibend und kräftezehrend erweist. Überall dilettantische Insel-Amateurschauspieler! Und dann dieser drogenabhängige Veterinär, dieser furchtbar redselige, stets zu Scherzen aufgelegte Bürgermeister und solch bitter peinliche Gestalten wie die Bäckerin Tuva. Zu allem Überfluss ist ihr Papageientaucher, für den sie sorgen muss, auch noch allergisch gegen Heringe… doch auch die Umstände auf diesem Eiland sind ihr zuwider, denn ständig zeigt sich die Natur in all ihrer Geruchsvielfalt und mit all ihrem Schmutz, der sie für Lebzeiten kontaminieren wird. Doch was bleibt ihr anderes übrig als sich einen Ruck zu geben, ihre Aufgabe durchzuziehen und so den Daumenschrauben der Justiz zu entkommen?

Zu Beginn wird man von der eigenwilligen Schreibweise verstört und überrascht zugleich sein, denn speziell die Gretchen fokussierenden Situationen werden in einem zumeist sehr geschwollenen Sprachstil dargeboten, der mit vielerlei schmückenden Füllwörtern, gelegentlich abenteuerlichen Fremdwörtern, sprachlichen Mäandern und der repetitiven Ausführung ihrer momentanen Kleidung oder ihrer demnächst beabsichtigten Garderobe (inklusive Material und Angabe der Designermarken) garniert ist – immer wieder aufgebrochen von teils derben Termini.

Einerseits kann man diese Geschichte, in welcher zwei Erzählstränge zu einem zusammen laufen, als eine stilvolle, literarisch anspruchsvolle, wunderschön-hässliche Erzählung interpretieren, die letztendlich gehaltvoll ist und trotz ihrer Eigenwilligkeit absolut Sinn ergibt, andererseits führt der Autor mit dieser Art des Schreibens sämtliche pseudoeloquenten Literaten und inflationär blumige Füllsel in ihre Zeilen stopfende Nullgehaltschreiber gnadenlos vor, karikiert sie, persifliert ihre Werke und pinkelt ihnen schwungvoll, filigran und geschickt in der Instrumentenführung ins arrogant dreinschauende Antlitz. Er pervertiert das Elitistische. Stilisiert und vergoldet das Primitive. Lässt Welten miteinander kollidieren. Überzieht die Gehirnwindungen mit einer dem Sandkornpapier ähnlichen, grobkörnigen Substanz, die für zerebrale Reibung sorgt.

einzlkind lädt den Leser zur ultimativen Seelebaumelnlassung in die literarische Hängematte ein, deren Material allerdings unangenehm an der Haut kratzt. Er lässt ihn Platz nehmen in einem buchstabenen Schwiegermuttersessel, der gar nicht mal so unkommod ist. Der Straßenkehrer wird zum Germanistikprofessor, während Goethe einem Job in der Bahnhofstoilette nachgeht. einzlkind wird einen Marcel Reich-Ranicki noch älter aussehen lassen, als er schon ist, denn der wird in seinem von ungeschriebenen, literarischen Gesetzen verklärten, von äußerster Strenge und Festgefahrenheit geprägten, egogesteuerten Verrisswahn nicht zu realisieren in der Lage sein, dass er im Katz- und Maus-Spiel nicht die Rolle verkörpert, die er zu verkörpern glaubt. einzlkind wird die Literatursnobs dieser Welt in die Gretchenfalle tappen lassen. “Gretchen” ist hoher Anspruch, Anarchie und Trash zugleich, die Gegensätze stoßen sich mit einer solchen Wucht voneinander ab, dass sie den Erdball umkreisen und auf der anderen Halbkugel mit einer ebensolchen Wucht wieder aufeinanderkrachen.

Der euphorisierte Freudentanz des Rezensenten gerät jedoch gelegentlich ein wenig asynchron zur Musik, was eher der Musik respektive mancher erschreckend falsch geschriebener Begriffe (“Genetiv” statt “Genitiv”, “Rendevouz” statt “Rendezvous”) zuzuschreiben ist. Gerade, wenn man verbal doch enorm hoch trabt, sollte man doch verstärkt darauf achten, dass man sich dabei nicht zu sehr vergaloppiert. Der Fehlerteufel sorgt mit seinem spitzen Dreizack jedoch nicht für genügend “pain in the ass”, als dass man dieses Manko als wirklich gravierend einstufen darf. Der Reiter und sein Gaul haben demnach einige wenige Latten gerissen, erfreuen sich trotz dieser vermeidbaren Fauxpas aber dennoch eines Ranges ganz weit oben.

Cover © Edition Tiamat

 

 

Wertung: 12/15 dpt


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