Dass E-Books im Selbstverlag einwandfrei funktionieren können, beweist die Printausgabe von Hugh Howeys postapokalyptischer Erzählreihe “Silo”, die als Kurzgeschichte auf Amazons Publishing-Plattform begann. Mittlerweile ist das kleine Schriftwerk zu der neunteiligen “Silo-Series” angewachsen. Filmrechte wurden verkauft. Verlage klopften an. Man verhandelte um Druckrechte, und auch der Buchmarkt aus Übersee interessierte sich für diese Erzählung aus der Feder des amerikanischen Selfmade-Autors, der einst als Skipper und Audiotechniker seine Gehaltsschecks einlöste. Der Piper-Verlag hat mit “Silo” nun die Teile eins bis fünf in deutscher Übersetzung herausgegeben. Mit dieser ersten Hälfte seiner Serie liefert Howey einen spannenden Zukunfts-Thriller in einem Endzeit-Szenario ab, der neben interessanten literarischen Experimenten in der Hauptsache gute und spannende Unterhaltung bietet, die nur gegen Ende etwas schwächelt.
Die Erdoberfläche ist seit Jahrhunderten vergiftet und nicht mehr bewohnbar. Die Menschen leben in einem großen, unterirdischen Silo und haben vergessen, warum. Niemand weiß, was die Katastrophe in der Vergangenheit ausgelöst hat. Was aber allen Bewohnern täglich bewusst gemacht wird, ist die Tödlichkeit der Außenwelt. Bilder von Außenkameras werden auf große Videowände projiziert und bilden den einzigen Lichtblick auf einen freien Horizont in dem lebensschützenden aber doch recht beengten Silo. Gleichzeitig zeigen die Bilder aber die lebensfeindliche, vergiftete Außenwelt. Totes Land und tote Silo-Bewohner. Diese Wände sind eine Pilgerstätte für die meisten Menschen im Silo, vor allem, wenn eine Reinigung der Kameralinsen ansteht. Starke Winde und Staubverwirbelungen machen das Prozedere nötig, um den Bewohnern einen ungetrübten Blick nach draußen zu ermöglichen.Die Aufgabe der Reinigung kommt jedoch einem Todesurteil gleich. Und so ist der Ausblick gespickt mit den Leichen der zum Tode Verurteilten.
Auch Sheriff Holsten, die Hauptfigur aus dem ersten der fünf Teile, soll nun dieses Schicksal ereilen; drei Jahre zuvor wurde seine Frau Allison zur Reinigung verurteilt, weil sie den verbotenen Wunsch geäußert hat, das Silo verlassen zu wollen. Sie war bei Nachforschungen in der IT-Abteilung des Silos zu dem Entschluss gekommen, dass die Kameras ein falsches Bild der Außenwelt liefern und dass auch die Leichen nicht echt seien. Diese Theorie und der Verlust seiner Frau nagen an Holstons Verstand und treiben ihn schlussendlich dazu, sich bei seinem Kollegen Deputy Marnes zu melden und den Tabu-Wunsch zu äußern. Holston verlässt das Silo in einem Schutzanzug, der ihn gerade lange genug am Leben halten kann, um die gemeinnützige Aufgabe zu erfüllen. Aber wie alle Verurteilten vor ihm, die in den schützenden Wänden des Silos und im Angesicht des Todes noch geschworen haben, die Reinigung nicht durchzuführen, fängt auch Holsten umgehend an, die Linsen zu putzen.
Im zweiten Teil der “Silo-Series” folgt der Leser nun Deputy Marnes und Mayor Marie Jahns, dem Oberhaupt des Silos. Beide waren gute Freunde von Holsten und gehen nun der Aufgabe nach, einen geeigneten Nachfolger für dessen Posten zu suchen. In ihrem zweitägigen Marsch in die unterste der knapp einhundertfünfzig Etagen erhält man Einblick in das Konservendosen-Leben und in die tragische Liebesbeziehung der beiden alternden Beamten. Sie sind auf dem Weg zu Juliette, einer jungen, hochbegabten Mechanikerin, die einst Holston und Marnes bei einer Mordermittlung half. Der Deputy hält die junge Frau für einen geeigneten Nachfolger.
Juliette (oder Jules) ist die Hauptfigur der Teile drei bis fünf und ist eine beliebte und begnadete Mechanikerin. Auch wenn sie die große Familie ihrer Arbeitskollegen verlassen muss, entschließt Jules sich letzten Endes dazu, den Posten des Sheriffs anzunehmen und in die oberen, snobistischen Stockwerke des Silos zu ziehen. Als sie dort ankommt, entwickelt sich jedoch alles anders. Sie muss sich ohne jeden Verbündeten alleine gegen den undurchsichtigen IT-Chef Bernard und seine schier übermächtige Abteilung behaupten. Je länger sich Jules „die Mechanik“ der oberen Stockwerke beguckt, desto dystopischer erscheint ihr Lebensraum. Sie beginnt Nachforschungen in den Akten und Aufzeichnungen von Holston und Allison anzustellen und zieht ebenfalls die Realität des Silos und der Kameras in Zweifel. Sie wird zur Reinigung verurteilt, kurz nachdem sie Lukas aus der IT-Abteilung kennen gelernt hat, der Abend für Abend vor den Videowänden sitzt und versucht, mithilfe der trüben Pixel eine Sternenkarte anzufertigen. Am Ende ihrer Geschichte ist ein Teilstück Wahrheit durch das Silo geschwappt. Das Leben aller Silo-Bewohner stand auf dem Spiel, als die Mechanik gegen die IT-Abteilung Krieg führte.
Howey hat mit diesen fünf Teilen eine wahre „Romeo und Julia“-Maschine erschaffen. Die dreimalige Ausführung einer aufopferungsvollen Liebesbeziehung in einer dystopischen Endzeitstimmung zwischen “Fallout 3” und “1984” ist jedoch keinesfalls ein billiger Griff zu den Keksförmchen, um die Serie am Laufen zu halten. In der “Silo-Series” geht es genau um das: Um die problematische, mechanische Wiederholung menschlicher Verhaltensweisen; die Prämisse könnte in etwa “History repeats itself” lauten. Der Autor spielt in seinem Motivkasten dabei zu gleichen Teilen mit der Idee eines ewig aufgeführten Bühnenstücks und der unausweichlichen, kalkulierten Wirkung eines Stromlaufplans. Hier den Vorwurf schlechter Selbstverlags-Schreibe zu bringen, wäre ignorant gegenüber einem wirklich experimentellen Zusammenspiel von Form und Stoff, das ein Verlagslektorat im Bereich der Unterhaltung wahrscheinlich nicht überlebt hätte.
Noch deutlicher wird der groß angelegte Entwurf zu den Themen Wiederholung, Erinnerung und Verhalten, wenn man in die Teile sechs bis acht der “Silo-Series” schaut. Sie sind das Prequel, in dem man erfährt, warum die Meschen im Silo leben. Soviel darf hier schon verraten werden: Es geht um ein Tabula rasa der Menschheitsgeschichte, um ein kollektives Vergessen. Aber trotz des interessanten Konzepts weist “Silo” einige Schwächen auf, die ein gutes Lektorat vielleicht ausgemerzt hätte. Die Figuren müssen sich zwar an großen Aufgaben bewähren, erfahren aber kaum Entwicklung und bekommen maßgeschneiderte Probleme vorgesetzt. Vor allem im fünften Teil werden die Hindernisse unsinnig und die Geschichte bekommt nervige Längen. Für Freunde groß angelegter Erzählwelten sei zudem angemerkt, dass Howey in der Hauptsache seinen Thriller erzählt, Probleme liefert und löst, ohne jedoch detailreich die Welt einer postapokalyptischen Silo-Gesellschaft zu entwerfen.
Cover © Piper Verlag
- Autor: Hugh Howey
- Titel: Silo
- Originaltitel: Wool Omnibus (Book 1-5)
- Übersetzer: Johanna Nickel und Gaby Wurster
- Verlag: Piper
- Erschienen: 03/2013
- Einband: gebunden mit Schutzumschlag
- Seiten: 544
- ISBN: 978-3-492-05585-7
- Sonstige Informationen:
Bezugsmöglichkeit aller Formate
“Silo 1” als kostenloser Download bei Piper
Wertung: 10/15 dpt
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