Moritz Rinke – Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel (Buch)


Moritz Rinke - Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel (Buch)Moritz Rinkes Romandebüt über den Mittdreißiger Paul Wendland-Kück und dessen Familiengeschichte ist eine Erzählung voller lesenswerter, literarischer Motive. Dennoch macht das knapp fünfhundert Seiten starke Buch an manchen Stellen den Eindruck einer nachkriegsgebutterten Nagelfeile der Eitelkeiten. Es ist reibungslos unkritisch und verschwenderisch, weil der Autor sich zeigt, wo es nicht angebracht ist.

Paul ist in der norddeutschen Künstlerkolonie Worpswede in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Nach diversen Tätigkeiten hat sich der ewig verunsicherte aber leichtfertige Protagonist des Romans dazu entschlossen, eine Galerie in Berlin zu eröffnen. Der Laden läuft nicht gut, und die Werke des Klienten, ein arbeitswütiger, erblindeter Künstler, stapeln sich. Freundin Christina ist zudem vor Kurzem nach Barcelona gezogen, um dort über springende Gene zu promovieren. Und Pauls Mutter, Johanna Kück, eine klischeetreue 68er-Anhängerin, macht ihm das Leben von Lanzarote aus schwer, beispielsweise durch die postalische Zusendung von Salaten. Dann erhält Paul die Nachricht von seiner Mutter, dass ihr und Pauls Erbe in Gefahr sei.

Das Familienanwesen der Kücks hat Grundbruch erlitten; es droht in zwei Teile zu zerfallen und ins Moor abzusinken. Dabei stehen nicht nur die finanziellen Hoffnungen der beiden Familienmitglieder auf dem Spiel, sondern auch das bronzene, tonnenschwere Kunstvermächtnis des verstorbenen Großvaters, welches den Prozess jedoch zu beschleunigen scheint. Das Anwesen der Kücks wurde nämlich auf unsicherem Grund, dem Teufelsmoor, errichtet. Gemeint ist jener Landstrich um Worpswede, der seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts viele Künstler unterschiedlicher Kunstformen und Strömungen angezogen hat. Paul muss sein Galerie-Projekt ruhen lassen und wird von seiner Mutter in die Provinz entsandt, um Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Am Ort seiner Kindheit angekommen, geben Pauls Erinnerungen Einblick in das Familienleben. Zudem erzählt der Autor auch unabhängig von seinem Protagonisten Episoden aus der Familienchronik. So lernt der Leser beispielsweise den Großvater näher kennen, Bildhauer Kück, der unzählige Bronzestatuen von Napoleon über Nietzsche bis Max Schmeling und Ringo Starr anfertigte und “Rodin des Nordens” genannt wurde. Auch die Geschichte von Pauls Eltern wird rückblickend erzählt und um den Ex-Freund der Mutter, Ohlrogge erweitert, dessen Perspektive eine gelungene Abwechslung zur Kück-Sicht der Dinge bietet.

Als Paul nun zusammen mit seinem sprachbehinderten Vetter, genannt “Nullkück”, teilweise in Eigenarbeit, teilweise mithilfe einer Baufirma beginnt, den Grund des Hauses zu stabilisieren, geben Moor, Menschen und Statuen Geheimnisse frei, die Pauls Geschichte und die seiner Familie tragikomisch in Frage stellen.

Rinke möchte in seinem Roman dabei zwei Aspekte besonders betont wissen und steht seiner im Schnitt gut lesbaren Geschichte damit im Weg. Das ist zum einen der Humor und zum anderen eine vor Aufdringlichkeit strotzende Allegorie und Symbolik, welche die Themenbereiche Genetik, Geschichte und Kunst vernetzt wissen will. Um dieses Wissen der Vernetzung zeigen zu können, webt der Autor manchmal Szenen und umständliche Beschreibungen ein, die sich nicht so recht in die Erzählung einfügen wollen. Diese Textüberstände schieben sich wie Stöcke in die Speichen der Geschichte. Für den Leser wird damit die eigentlich sympathische Absurdität der Erzählung zur Bedrohung des Lesevergnügens. Der Humor kommt stets nachträglich, und dann ist es zu viel, sodass sich an vielen Stellen eine zwanghaft joviale Autorenstimme eitel vor die Charaktere drängelt.

Cover © Verlag Kiepenheuer & Witsch

  • Autor: Moritz Rinke
  • Titel: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: 08/2011
  • Einband: gebunden
  • Seiten: 496
  • ISBN: 978-3-46204-342-6

Wertung: 7/15 dpt


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