So mancher, für den gute Unterhaltung erst ab Volker Pispers aufwärts ebensolche ist, wird mit Sicherheit die lesebrillenbestückte Nase rümpfen, sich dabei beinahe die Muskeln zerren und ein verächtliches “Täh!” ausstoßen, wenn er sich mit Veröffentlichungen dieses Genres konfrontiert sieht, die auch mal in die Tommy Jaud- und Tim Boltz-Richtung gehen mögen. Selbst schuld, denn “Der Boss”, Nachfolger des urkomischen Erstwerks “Macho Man”, macht auch ohne Niveaudünkel Spaß, zumal Moritz Netenjakob sein Fach deutlich besser beherrscht als die beiden letztgenannten Schriftsteller.
Der von Alt-68ern erzogene Daniel und die Türkin Aylin, die in “Macho Man” nach einigen Hindernissen endlich zu einem Paar geworden sind, sind mehr als glücklich miteinander. Nun wollen die beiden ihre Absicht Ernst werden lassen und planen eine Hochzeit, und schon vor dieser ergibt es sich, dass Daniel auf einmal hunderte türkische Familienmitglieder zu seinem “Verwandtenkreis” zählt. Seine übertoleranten, atheistischen Eltern und deren befreundete, alternative, künstlerisch veranlagte Eheleute sorgen bei ihren zahlreichen Kollisionen mit der osmanischen Verwandtschaft für so manche bizarre Situationen. Doch inmitten all dieses Kulturenclashs beginnt die chaotisch-turbulente Hochzeitsplanung.
Wohin soll es in den Flitterwochen gehen? Wo soll gefeiert werden? Wer soll alles zur Feier erscheinen? Was erzählt man Onkel A, damit Tante B nicht die beleidigte Leberwurst spielt? Zu allem Überfluss muss Daniel für den angereisten Onkel Abdullah den Moslem mimen, Tante Emine erleidet einen Herzinfarkt, und dann wäre da noch Aylins heimlich schwuler Bruder Cem, dessen Partner auch noch Grieche ist. Obendrein möchte ein alter Freund aus der Werbebranche den armen Daniel wieder ins Boot holen. Schweißtreibende Wochen stehen bevor.
Autor und Sichselbstleser Netenjakob, der im echten Leben mit einer türkischen Frau verheiratet ist, nimmt hier viele oftmals zu wahre (der Verfasser dieser Zeilen weiß anhand eigener zurückliegender Erfahrungen, wovon er redet) Klischees in überspitzter Form auf die Schippe, und selbst wenn die Situationen auch noch so peinlich und fettnapfig erscheinen, endet “Der Boss” niemals in einer Slapstickaneinanderreihung auf Sat.1-Niveau, sondern bleibt eine herzliche, köstlich panische, mit vielen Wendungen und zahlreichen Pointen durchsetzte Story.
Die Art, wie Netenjakob den Roman vorträgt, mag anhand seiner sehr überdrehten, lebendigen Form vielleicht etwas anstrengend sein, letzten Endes hätte man das aber kaum besser akustifizieren können, denn anstrengend ist es auch für die Protagonisten. Doch immer wenn man denkt, jetzt wird es “too much”, bekommt der Autor noch die Kurve und nimmt das Tempo etwas heraus, und das macht den gebürtigen Kölner zu einem der cleversten Vertreter der komödiantischen Literatur – obendrein weiß der werte Mann, wie man Unterhaltung für Herz und Lachmuskeln so verpackt, dass sie angenehm verdaulich ist, aber nie fach. Davon kann man sich eigentlich nur mehr wünschen.
Cover © argon hörbuch
- Autor: Moritz Netenjakob
- Titel: Der Boss
- Verlag: argon hörbuch
- Erschienen: 03/2012
- Sprecher: Moritz Netenjakob
- Spielzeit: 327 Minuten auf 4 CDs
- ISBN: 978-3-8398-1138-2
- Sonstige Informationen:
Fortsetzung von “Macho Man”
Wertung: 11/15 dpt
(Artikel erschien ursprünglich in noisyNeighbours #36 und wurde vom Verfasser für booknerds.de übernommen. Vielen Dank an dieser Stelle für die Gestattung der Artikelübernahme!)