Eins vorweg: Freunde der literarischen Selbstsuche sollten sich dieses eigenwillig betitelte Buch auf jeden Fall antun, denn es ist aufregend und spannend, berührend und so lebensnah, mitzuerleben, was der jungen Celestine, von allen nur Stine genannt, während dieses Parcourslaufs durch das Leben in der hanseatischen Unterklasse widerfährt.
Ihre Mutter, ein Ex-Au-Pair-Mädchen aus Frankreich, hat sich nach Stines Geburt wieder in ihr Heimatland verdrückt. Der extrem bauernschlaue Vater Reiner ist den Mentholzigaretten verfallen und liebt seine Imbissbude, in der auch sein “Stint”, so Töchterchens Spitzname des Spitznamens, aushilft. Die schlecht gekleidete, bauchtanzende Stiefmutter Ramona kennt hohes Niveau nur vom Alkoholpegel. Und Trixi, ihre extrem vaginalgesteuerte und spleenige Tante, ist einfach nur zum Kopfschütteln, aber sonst schwer in Ordnung.
Dennoch bringen gerade die drei die deutlich vernünftigere Stine nicht selten an ihre Grenzen. Ihr wird bewusst: Sie kann nicht permanent auf der Stelle treten. Es muss vorwärts gehen. Sie wagt dieses Vorhaben Schritt für Schritt, und auf ihrer ganz eigenen biographischen Odyssee macht sie zahlreiche Erfahrungen. Sie lernt den ein oder anderen männlichen Gegenpart kennen, versucht unabhängig zu werden, sich ein paar Euros selbstständig zu verdienen. Hierbei stößt sie auf einige interessante Menschen, seltsame Zeitgenossen, kauzige Personen – sie alle liefern Steinchen für Steinchen Teile eines Lebensmosaiks, welches später einmal interessant und farbenfroh sein soll.
Die Autorin, die bereits den Bestseller “Soul Kitchen” verfasst hat, benutzt für diese Erzählung eine reale, gesellschaftsnahe Sprache ohne Schlenker und Blüten, sie zieht den Leser beinahe schon in die Geschichte hinein, und der Lesespaß, den man hat, ist ein ganz besonderer, denn auf der einen Seite gibt es eine ganze Menge skurriler Gestalten und ulkiger Momente, auf der anderen Seite lassen einen hingegen so einige emotionale Wellen und tragische Szenen ganz schön schlucken, so dass man Stines wechselhaftes Innenleben und Umfeld hautnah miterleben kann. Man fühlt sich sofort verbündet mit diesem individuell geprägten Mädchen, während man bei so manch anderem Roman häufig eine Distanz zwischen sich selbst und dem Protagonisten spürt. Sollte “Das Schwein unter den Fischen” große Erfolge einheimsen, bleibt zu hoffen, dass sich Jasmin Ramadan ihren tollen, weil echten Schreibstil bewahrt.
Cover © Tropen/Klett-Cotta
- Autor: Jasmin Ramadan
- Titel: Das Schwein unter den Fischen
- Verlag: Klett-Cotta/Tropen
- Erschienen: 2012
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 272
- ISBN: 978-3-608-50120-9
(Dieser Artikel wurde vom Verfasser überarbeitet und von ihm für booknerds.de übernommen. Er erschien ursprünglich in noisyNeighbours #36 – vielen Dank an dieser Stelle für die Gestattung der Artikelübernahme!)