Dass das ein oder andere Strunk-Buch hier und dort deutliche autobiographische Züge besaß, war nie abzustreiten, doch der nunmehr fünfte Roman ist noch mehr Heinz Strunk als jeder einzelne der vorangegangenen. In “Junge rettet Freund aus Teich” erleben wir nämlich die Kindheit des Mathias Halfpape – des Menschen hinter dem Pseudonym Heinz Strunk.
Im ersten Teil, der ab 1966 spielt, ist Mathias gerade einmal sechs Jahre alt und ist kurz vor der Einschulung. Unbeschwert und kindlich-naiv entdeckt er die Welt, lebt mit seiner Mutter, Opa und Oma in der Siedlung und nimmt langsam aber sicher auch die seltsamen Seiten des Lebens wahr, beispielsweise die nervigen Nachbarn. Entsprechend aufgeregt und mit infantilen Zügen erzählt Strunk diese Jahre nach, sodass man als Leser tatsächlich das Gefühl hat, ein kleiner Junge stünde hier und erzähle von seinen Erlebnissen, durchzogen mit der Logik eines Kindes. Schon früh erkennt der Bub, wie wichtig Herzlichkeit, Wärme und Liebe für einen Menschen sind.
Vier Jahre später, Mathias erreicht das zweistellige Alter, die unbeschwerten Grundschulzeiten sind vorbei – das Gymnasium wird zur wahren Herausforderung und bringt den Jungen nicht selten an den Rand der Verzweiflung. So langsam entwickeln sich parallel auch die Charakterzüge des Noch-Knirpses, und wie schon in den ganz frühen Jahren ist er nach wie vor ein analytischer Beobachter, der Stück für Stück vom Leben lernt und die Eigenarten anderer immer besser einszuchätzen weiß, wenngleich er nicht immer nachvollziehen kann, was in ihnen vorgeht. Muss man eigentlich auch nicht wirklich, aber bei einigen Menschen muss er dem Fatalismus ins Auge sehen und akzeptieren, dass sie so sind, wie sie sind – so auch seine Mutter, der es gar nicht zu gefallen scheint, dass ihr Sohnemann in den Sommerferien so viel Spaß hat: Denn bei Oma Emmi auf dem Land ist alles so ganz anders, zum Beispiel, wie die Kinder aufwachsen. Doch er fragt sich durchaus, was eigentlich mit Mutter los ist.
Der scheinen die Pflichten als Mama und als Tochter ihrer alternden Mutter allmählich über den Kopf zu steigen, und sie beschließt, mit ihrem mittlerweile vierzehnjärigen Sohn in ein Hochhaus zu ziehen – Opa ist mittlerweile im Heim, was für Mathias eine Schande ist, und Oma wird komplett sich selbst überlassen, was ihn noch mehr beschäftigt. Letztendlich beschleicht ihn immer mehr das Gefühl, dass er seiner Mutter eigentlich nur eine Last ist. Dennoch fühlt er sich für sie verantwortlich – eine Lage, mit der er hoffnungslos überfordert ist, da sie zunehmend seltsamer wird. Und dann wäre da noch die Sexualität oder dieses Elend namens Schule. Oderoderoder. Undundund.
In all den Jahren entwickeln sich im Leben des gebeutelten Außenseiters immer wieder Freundschaften, er gewinnt an Lebenserfahrungen, und später, im pubertären Alter, baut er hier und dort auch so manchen Mist. Sein Weg wird zunehmend von Enttäuschungen gepflastert, zahlreiche Personen in seinem Umfeld wandeln sich zum Negativen, und nicht nur das zwingt ihn unabwendbar, schneller erwachsen zu werden und zu reifen, als es der natürliche Lauf der Dinge vorgesehen hat.
Strunk färbt die drei Lebensphasen jeweils mit einer dem jeweiligen Alter entsprechenden Erzählweise und nutzt auch unterschiedliches Vokabular, wobei Political Correctness gerade im Teenageralter eine eher untergeordnete Rolle spielte. Da war der verhasste Vollidiot eben der “Spasti” und ging “mongomäßig” ab – man erinnere sich an dieser Stelle, bevor der Aufschrei aus dem Seeleninneren zu erumpieren droht, doch einfach einmal an die eigene Schulzeit und pflichte nickend bei, dass jede Ära so ihre ganz eigenen Sprachgewohnheiten hatte. Und das lässt Strunk ungeschönt Revue passieren. Doch auch die ganz jungen Grundschuljahre werden sprachlich geschickt gestaltet, speziell, was die grammatikalischen Unwuchten betrifft. So treffen wir immer wieder auf solch drollige Fehler wie “der Einzigste” oder Wahrscheinlichkeitsformen, die irgendwann, wenn sie mal groß sind, ein Konjunktiv werden wollen.
Hinzu gesellt sich viel Lokalkolorit in Form von Dialekt und für die Gegend typischen Begriffen, und laute Sprache wird auch LAUT GESCHRIEBEN. Insgesamt entsteht ein Schreibstil, bei dem es nicht auf literarischen Anspruch ankommt, sondern auf Individualität, echtes Leben, Unverfälschtheit und Aufrichtigkeit. Erzählung statt Erfindung.
“Junge rettet Freund aus Teich” ist, wie es fast schon typisch für die Werke dieses Schriftstellers ist, eine virtuose Mixtur aus Unterhaltung, Flapsigkeit und sehr melancholischen und traurigen Momenten, und als Leser fühlt man sich in diesem Wechselbad der Emotionen pudelwohl. Man schüttelt den Kopf über den kleinen Halfpape, lacht und leidet mit ihm, und in diesem Buch fühlt man sich dem Protagonisten so nahe wie noch nie, weil sämtliche Gefühlsregungen, Gedankengänge und Beobachtungen derart intensiv verwortlicht wurden, dass man beinahe schon das Gefühl hat, man schlüpfe in Mathias’ Rolle und durchlebe für ihn alles noch einmal am eigenen Leib. Außerdem führt das schick aufgemachte Druckwerk eine strunk’sche Konstante fort: Es ist schon wieder so ganz anders als die Vorgänger und dennoch typisch Strunk.
Viele Faktoren also, die die neueste Veröffentlichung des Autoren zu einer sehr wichtigen und lebensbereichernden solchen werden lassen.
Cover © rowohlt
- Autor: Heinz Strunk
- Titel: Junge rettet Freund aus Teich
- Verlag: rowohlt
- Erschienen: 03/2013
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
- Seiten: 288
- ISBN: 978-3-498-06426-6
Wertung: 12/15 dpt