Justin Cronin – Die Zwölf (Buch)

Justin Cronin - Die Zwölf (Buch)Rückblende: Bei “Der Übergang” wurde der Leser Zeuge eines fürchterlich schief gelaufenen Experiments, in welchem zwölf Schwerkriminellen ein Virus verabreicht wurde. Diese Menschen verwandelten sich in sogenannte Virals, vampirähnliche Geschöpfe, welche so gar nichts mit den “Dracula”- und “Twilight”-Klischees gemein hatten. Sie wurden zu hässlichen Bestien mit unbeschreiblichen Kräften und rasierklingenscharfen, nadelspitzen Zähnen, die ihre Opfer, wenn sie sie nicht etwa infizierten, kaum zärtlich in den Hals gebissen, sondern sie brutalst zerfetzt hatten. Überlebende gab es bis auf wenige Menschen kaum. Selbst diese waren in Gefahr und waren gezwungen, ihrerseits Maßnahmen zu ergreifen, um nicht auch noch ihr Leben zu lassen.

Gut drei Jahre Wartezeit mussten die Leser, die vom ersten Teil der Trilogie begeistert waren, in Kauf nehmen, bis endlich der zweite Teil “Die Zwölf” erschien. Eine lange Zeit bei zusammenhängenden Büchern, denn häufig hat man die meisten Figuren nach einer solchen Zeitspanne bereits wieder ein wenig verdrängt. Doch der Leser kann sich halbwegs glücklich schätzen, dass am Anfang des Buches noch einmal ein kleiner Rückblick auf das Geschehene sowie eine kurze Wiederbeleuchtung der überlebenden Charaktere stattfindet – in fast biblisch-religiöser Form jedoch – etwas, was im weiteren Verlauf des Buches noch häufiger negativ auffallen wird.

Anschließend wird erst einmal der Rückspulknopf gedrückt, denn nun geht die Reise zurück zu den Anfängen der Plage, wo vier verschiedene Handlungsstränge aufgegriffen werden. Der Anstaltsinsasse Lawrence Grey wacht eines Morgens in einem Hotel auf und stellt fest, dass er plötzlich deutlich jünger, gesünder und wohlproportionierter als vorher ist und irgend etwas mit ihm nicht so recht zu stimmen scheint – später trifft er in einem Geschäft auf Lila Kyle, eine schwangere, verwirrte und desorientierte Frau, deren Mann spurlos verschwunden ist und die zuvor einmal mit einem der Protagonisten des ersten Bandes, nämlich Brad Wolgast verheiratet war. Irrtümlicherweise hält Lila Grey für einen Mitarbeiter des Marktes und lässt ihn das Kinderzimmer in ihrer Wohnung streichen. Er spielt das Spiel mit, und es dauert nicht lange, und die beiden finden eine sonderbare Verbindung zueinander.

Der autistische Schulbusführer Danny hingegen möchte seine Gewohnheiten nicht aufgeben und fährt einmal mehr seine Standardrunde, als er an einer Haltestation die achtzehnjährige April Donadio und ihren kleinen Stiefbruder Tim mitnimmt. Als sie außerhalb Denvers ankommen, stoßen sie auf ein Rettungsgelände, das jedoch tausende von Leichen offenbart.

Horace Guilder, einst zu Diensten der US-Regierung aktiv, muss derweil zuschauen, wie der Staat langsam zerfällt und versucht, irgendwie noch ein Fünkchen Macht zu erlangen – beispielsweise über Grey und Lila Kyle. Kittridge, der vierte der Protagonisten des rund dreihundertseitigen Beginns ist Scharfschütze und trifft irgendwann auf Danny und seine Fahrgäste, nachdem er einige Virals zur Strecke gebracht hatte. Dort finden sie einen Sattelanhänger mit noch mehr Überlebenden. Lose Fäden werden immer weiter ausgelegt und finden erst sehr spät zu halbwegs logischen Verbindungen wieder zusammen.

Dann jedoch wird ein Zeitsprung von etwa einem dreiviertel Jahrhundert vorgenommen, als eine Gruppe von Campern sich vor den Virals in Sicherheit wähnt, da diese Viecher das Tageslicht letztendlich meiden – zumal wohl für Schutz durch sogenannte Hardboxes, einer Art stählerne Schutzbunker, gesorgt ist. Doch mit einer Sonnenfinsternis hat wohl niemand gerechnet, und die Virals waren ohnehin raffiniert genug, sich zusammenzurotten und einmal mehr das Leben der meisten sich dort befindenden Menschen auszulöschen. Die Eklipse kommt ihnen da lediglich nur noch etwas entgegen…

Nach einem weiteren Vorwärtssprung von etwa zwei Dekaden knüpft die Story dann endlich an eine Handvoll Jahre nach dem Ende von “Der Übergang” an, der Zeitverlauf wird wieder linear, und die vom ersten Teil bekannten Charaktere kommen ins Spiel: Die mittlerweile halbwegs unbekannt in einem Waisenhaus eines Militärstützpunktes arbeitende Amy – das Mädchen, das nicht altert und als Einzige den Virals trotzen kann. Ebenso erscheinen Alicia Donadio, Ignacio, Peter Jaxon oder etwa Michael alias Akku wieder auf der Bildfläche. Alicia und Peter gehen wie so oft auf Erkundungsreise, um herauszufinden, was da draußen jenseits des eigenen Quartiers liegen mag, doch sie stoßen recht bald auf Dinge, die alles verändern werden. Amy wird nach einiger Zeit mit einer unfassbar starken Gegnerin konfrontiert, sodass ihre eigenen Kräfte mehr und mehr zu schwinden drohen…

Justin Cronin hatte mit dem Erstwerk noch einen sehr spannenden Roman verfasst, welcher unterm Strich noch mehr als brauchbare Spannungsbögen zu bieten hatte und auch von Anfang bis Ende durchdacht erschien. Zwar hätte man die epische Länge von über eintausend Seiten durchaus auf rund dreihundert Seiten weniger herunterdampfen können, ohne dass wirklich etwas verloren gegangen wäre, doch so hat man sich immerhin an einer sehr plastischen, detailreichen Erzählungsweise laben können – man konnte schlimmstenfalls von ein paar Längen innerhalb einer brillanten Story sprechen.

Man könnte beim Betrachten des Buches vermuten, der Autor hätte sich die Kritik bezüglich der Längen für “Die Zwölf” zu Herzen genommen, denn mit “nur” achthundertzweiunddreißig Seiten bekommen wir hier entschieden weniger Lesestoff in die Hände gelegt. Doch statt einer strafferen Erzählung erwartet den Leser noch mehr inhaltsleeres Gequassel, unnötiges Mäandern bis hin zur kleinsten Kleinigkeit und im Gegenzug noch weniger Substanz, sodass man nicht selten mit dem Gedanken kokettiert, manche Absätze nur noch zu überfliegen – irgendwann ist es gar so weit, dass man der Resignation nahe ist und das Buch nur noch auf den “irgendwann später”-Stapel legen möchte. Es erfordert demnach eine Menge Disziplin, wirklich durchzuhalten – denn fast erscheint es so, als sei das Buch doppelt so dick wie es tatsächlich ist. Es ist kaum nachvollziehbar, wieso man eine Story derart in die Länge ziehen muss. Fast könnte man behaupten, hier sei eine Dilogie künstlich zu einer Trilogie aufgebläht worden.

Zermürbt wird der Durchhaltegedanke allerdings auch durch andere (Un-)Dinge. Beispielsweise werden in “Die Zwölf” einige der Klischees, die Cronin in “Der Übergang” noch virtuos und originell zu umschiffen wusste, aufgegriffen, und zwar auf eine derart uninspirierte und auf Verfilmung ausgerichtete Art, dass all das, was sich der Autor mit der Trilogieeröffnung aufgebaut hat, wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Außerdem bestehen so einige Logiklöcher, und es ereignen sich manche Wendungen, bei denen man schlichtweg hofft, dass im dritten, im Original “The City Of Mirrors” betitelten Abschlussdrittel die Löcher gestopft, die Wendungen erklärt und bestimmte Rätsel aufgelöst werden. Ein weiteres Problem – das ist aber wohl eher in der nordamerikanischen Kultur verankert – ist das Ins-Spiel-Bringen von Gott auf verschiedenen Ebenen, das gerade den weniger Gläubigen ein Dorn im Auge sein wird.

Fazit: Positive Ungeduld (Spannung) weicht ihrer negativen Schwester (Genervtheit), Epik wird zu prätentiöser Wortmalerei, Sonderbares und Einzigartiges wird zu Trivialem – zwar bewegt sich die croninsche Schreiberei noch immer klar im international oberen Qualitätsdrittel, doch anhand des übersättigten Marktes und der Existenz zahlreicher besserer Horror-/Fantasy-Autoren im literarisch unendlichen Kosmos ist die Schwelle zum Mittelmaß klar in Sichtweite. Bleibt zu hoffen, dass der Schriftsteller aus New England sie mit dem finalen Part nicht endgültig überschreitet.

Cover © Goldmann Verlag

  • Autor: Justin Cronin
  • Titel: Die Zwölf
  • Originaltitel: The Twelve
  • Übersetzer: Rainer Schmidt
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 01/2012
  • Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
  • Seiten: 832
  • ISBN: 978-3-442-31179-8 (HC)
  • Sonstige Informationen:
    Zweiter Teil der “The Passage”-Trilogie

Wertung: 8/15 dpt

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