Mit “JPod”, dem elften seiner insgesamt vierzehn Romane, entführt der in Deutschland auf einem NATO-Stützpunkt geborene, in Vancouver aufgewachsene Kanadier endlich auch die Leser des deutschsprachigen Raumes in eine Bürowabe einer riesigen Spieledesignfirma. Eine dieser Waben, “Pods” genannt, wurde aufgrund eines Fehlers mit sechs jungen Geeks besetzt, deren Nachnamen allesamt mit dem Buchstaben J beginnen. Ständig werden von oben Änderungen delegiert, die Protagonist Ethan Jarlewski und seine KollegInnen Bree, Kaitlin, John, Mark und Cowboy bitteschön zu realisieren haben. Das treibt die sechs an den Rand ihres Verstandes, was zur Folge hat, dass sie – mit massiver Angenervtheit, die zu Kurzschlüssen in der biologischen Hauptplatine führen – so langsam eine Scheißegal-Einstellung entwickeln. Etwas Sabotage bei der Spieleentwicklung darf da natürlich nicht fehlen.
Abseits dieses Höllenjobs plagt sich Ethan zudem mit menschlichen Katastrophen herum: Ein gescheiterter, dauerfremdkopulierender Schauspieler als Vater, der verzweifelt auf der Suche nach einer Rolle – wenigstens einer Sprechrolle – ist und sich von einer Peinlichkeit in die nächste reitet. Eine ähnlich promiske Mutter, die Cannabis anbaut und einen Rocker “aus Versehen” tötet. Ein Vorgesetzter, der nach China entführt wird . Und dann taucht auch noch der Autor selbst in der Story auf. Optisch arbeitet der seit zwei Dekaden Romane verfassende Zeilenzauberer wie gewohnt eigenwillig.
Ähnlich wie in “Generation A” nutzt Coupland in diesem eigenwilligen, mit zackigen Dialogen und großartigen Gedankenspielen gespickten Roman internettypische Elemente wie etwa Spammails, Requester und dergleichen. Nach dem Lesen des über fünfhundertseitigen Schmökers, ja eigentlich schon währenddessen, kratzt man sich erst mal am Kopf, doch Stück für Stück fallen die Papiergroschen und man kommt so langsam hinter das, was der sich heuer in den Fünfzigern befindende Schriftsteller mit diesem Werk sagen möchte.
Interessant ist auch dieses Mal wieder das wechselhafte Tempo dieses vielschichtigen Buches, dessen Ereignisse mitkriegen zu wollen, ein wenig ist, wie das Schauen der DVD-Box einer Lieblingsserie: Man hat noch so viel anderen Kram zu tun, aber man möchte unbedingt wissen, was als nächstes passiert. Zack, hat man wieder vierzig Seiten weiter gelesen. Sicherlich kann man der Abgefahrenheit von “JPod” kritisch gegenüberstehen, doch Couplands schreiberisches und kreatives Agieren ist nie selbstzweckhaft oder selbstgefällig, sondern hat stets einen Hintergedanken, den es zu entschlüsseln gilt.
Natürlich spielt der Nordamerikaner hierbei auch mit der Geduld und dem Verstand des den Wälzer blätternden Buchstaben-Pac-Mans und man muss durchaus eine Ader für progressive, unkonventionelle Schreibkunst haben. Bringt man diese mit, erntet man tütenweise geistiges Saatgut, das seine Triebe tief in die neuronale Masse hinein bohrt. Die Taktfrequenz des menschlichen Hauptprozessors wird praktisch auf natürliche Weise erhöht.
Cover © Klett-Cotta/Tropen
- Autor: Douglas Coupland
- Titel: JPod
- Originaltitel: JPod
- Übersetzer: Clara Drechsler, Harald Hellmann
- Verlag: Klett-Cotta/Tropen
- Erschienen: 2011
- Einband: Gebunden, ohne Schutzumschlag
- Seiten: 520
- ISBN: 978-3-608-50103-2
Wertung: 12/15 dpt
(Dieser Artikel wurde vom Autor überarbeitet und erschien im Original in noisyNeighbours #35. Vielen Dank an dieser Stelle für die Gestattung der Artikelübernahme.)