Christoph Fromm ist einer der profiliertesten deutschen Drehbuchautoren. Gleich sein erstes Drehbuch für Dominik Graf, mit dem er (wie mit seinem eigenen Bruder Friedemann) mehrfach zusammenarbeitete, war im wahrsten Wortsinn ein “Treffer”. Eigentlich fürs Fernsehen entstanden, schaffte es der Film (völlig zu Recht) ins Kino, präsentierte eine unverkrampfte, lakonische Geschichte voll bitterer Komik, Dramatik und dezenter Action. Hervorragend besetzt mit dem noch jungen Trio Maximilian Wigger, Tayfun Bademsoy und Dietmar Bär in den Hauptrollen und der wunderbaren Barbara Rudnik in einer tragenden Nebenrolle. Wer das Werk nicht kennt, unbedingt anschauen, gibt es seit 2009 auf DVD.
Danach kamen weitere Arbeiten für Dominik Graf, am bekanntesten dürfte die Adaption des Uwe Erichsen-Thrillers “Die Katze” sein sowie ein paar der besten Bücher für den frühen “Fahnder” und die “Tatort”-Reihe.
2007 wurde Fromm der Deutsche Drehbuchpreis für “Sierra” verliehen, zwei Jahre später erhielt er gemeinsam mit Bruder Friedemann für die “Die Wölfe” den Emmy Award und den Adolph Grimme-Preis. Seine letzte Fernseh-(Co)-Arbeit war die Polit-Serie “Die Stadt und die Macht”, die Anfang des Jahres ausgestrahlt wurde.
Daneben schrieb und schreibt Christoph Fromm Romane, der bekannteste dürfte, der von Joseph Vilsmaier verfilmte, “Stalingrad” sein. 2006 gründete er mit Tina Lizius den Primero-Verlag, in dem auch sein aktuelles E-Book “Amoklauf im Paradies” erschienen ist.
“Eine Groteske von Christoph Fromm” steht unterm Titel, was man während der Recherche umgehend bestätigt sieht, finden sich doch etliche Rezensionen auf Websites, die sich in erster Linie dezidiert mit dem Angelsport beschäftigen.
Das dürfte Erwin, der nachnamenlosen Hauptfigur des Romans, gut gefallen. Erwacht auf einem Urlaub in Mittelschweden doch Erwins Leidenschaft fürs Fliegenfischen. Was Ehefrau Karin und Tochter Nadja überhaupt nicht gefällt. Denn in Erwins Fall trifft der alte Kalauer zu, dass es sich bei Leidenschaft um eine Manie handelt, die Leiden schafft.
Was erst ein leises Knistern im Ehegebälk ist, wird zur ausgewachsenen Krise, als Erwin seine Arbeitsstelle verliert, lediglich einen knapp dotierten Hilfsjob in einem Angelladen annimmt und an der perfekten Wurftechnik feilt. Damit nicht genug, lässt er sich zum geprüften Angel-Instruktor ausbilden, in der Hoffnung, eine Angelschule mit reichlich Zulauf eröffnen zu können.
Ein Fehlschluss, denn mit seiner pedantischen und bürokratischen Art vergrault Erwin jeden möglichen Schüler, sein erster Angelausflug endet in einem Desaster. Nicht nur der. Karin und Nadja haben ihn verlassen und Erwin lebt allein in seiner Welt, die aus den Begriffen Fliegen und Fischen besteht.
Da kommt ein Angebot aus Schweden gerade recht. Bengt, der Erwin in die Kunst des Fliegenfischens einführte, möchte mit ihm zusammen Kurse geben. Erwin muss nicht lange überlegen, er nimmt Bengts Angebot an, und ehe er es sich versieht, befindet er sich in Schwedens üppiger Baum- und Seenlandschaft. Nicht allein. Denn Tochter Nadja, auf Drogenentzug, wird missionarisch von Erwin zu einer Wald- und Wiesenkur im schwedischen Hinterland mitgenommen. So beginnt ein Trip, der Erwin an die Grenzen seines limitierten Lebens führt. Denn Bengt entpuppt sich als schürzenjagender Hallodri ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein; der erste und einzige Kurs besteht aus einem deutschen Kunstseminar, mit der Leiterin Sylke “Faschista” Faber (kleine “Der Fahnder”-Hommage?), die als Veganerin Angeln ohne Haken präferiert und sich in ihrer Versessenheit auf einen Kunstgedanken, der sich Kreativität aus Leidens-, oder positiver konnotiert, Grenzerfahrung verspricht, gar nicht weit von Erwins lädierter Geisteshaltung befindet. Fast zwangsläufig okkupiert sie Erwin, für den seine Zeit im schwedischen Exil zu einem Marsch durch ein tiefes Tal der Tränen wird.
Christoph Fromm zeichnet Erwin als Biedermann, der seinen inneren Brandstifter ständig befeuert, aber nie zündeln lässt. Sein ganzes Leben wird in Stücke gerissen, Frau und Job weg, Tochter drogengefährdet, die eigene Sexualität, dank des verführerischen Kunststudenten Florian, in höchster Verwirrung, ausgenutzt und spöttisch belächelt von Freunden, Fremden und Bekannten.
Trotzdem versucht er die Contenance zu bewahren, was natürlich nicht gelingt; zwischen cholerischen Ausbrüchen und schmerzhaften Depressionen flüchtet Erwin sich in die Kunst des Fliegenfischens. Deren Technik er fabelhaft beherrscht, aber ohne die Natur (das Wasser) um ihn herum wahrzunehmen, geschweige denn ein Gespür für Fische und ihre bevorzugten Plätze zu entwickeln. So manifestiert sich die Leere seines Lebens sogar in dem, was Erwin zeitweise am liebsten ist.
Es ist ein mutiges Unterfangen, eine Person in den Mittelpunkt eines fast zweihundertseitigen Romans zu stellen, für die man kaum Sympathien, sondern bestenfalls Mitleid entwickeln kann. Wobei Fromm konsequenterweise jede Figur im erweiterten Erzählzentrum mit Wesenszügen ausstattet, die ein wenig schmeichelhaftes Licht auf die Spezies Mensch werfen.
Dass man den Protagonisten und Erwins teilweise langwierigen Angelbemühungen interessiert folgt, liegt am Vermögen des Autors selbst sich wiederholende Vorgänge mit einer Intensität zu beschreiben, die sie geradezu originär wirken lassen. Dazu gesellen sich dezente Slapstick-Momente und zahlreiche absurd-komische Momente, die hart am Rand der Realität angesiedelt sind und genau wissen, dass treffsichere Pointen gerade dann entstehen, wenn der Humor seine Nähe zur Verzweiflung nicht leugnet, sondern voll ausspielt.
Wer jetzt noch glaubt, dass der Amoklauf des Titels mit Waffen oder Fäusten vonstattengeht, der wird eines Besseren beziehungsweise Anderen belehrt. Zwar ist ein gewalttätiger Ausbruch jederzeit möglich, doch Amok laufen in Christoph Fromms Groteske Lebensentwürfe, die in Erwins Fall komplett in Frage gestellt werden. Doch gesteht der Autor ihm, ganz am Ende, ein mildes Einsehen und vielleicht einen Hauch mögliche Veränderung zu. Was bei einem Charakter, der derart viel Ablehnung provoziert wie Erwin, verdammt viel ist. Unveränderlich bleiben hingegen die Hedonisten, die jede Verantwortung abgeben und für die Obsessionen nur Spielerei sind. Hohle Menschen, die nicht erkennen, was selbst Erwin möglich ist: Dass es vielleicht doch eine Chance auf Veränderung gibt und das Leben mehr sein kann, als eine Folge vorbestimmter Banalitäten, die eine Mischung aus Abscheu, Entsetzen und Langeweile mit Macht keimen lassen.
Auf jeden Fall gelten für den “Amoklauf im Paradies” jene bekannten Zeilen aus T. S. Eliots “The Hollow Men”, die besagen, dass die Welt nicht mit einem Knall zugrunde geht, sondern mit Gewimmer (“Not with a bang but a whimper”). Selten war dieses Gewimmer so vergnüglich wie in Christoph Fromms Roman.
Cover © Primero Verlag
- Autor: Christoph Fromm
- Titel: Amoklauf im Paradies
- Verlag: Primero Verlag
- Erschienen: 10.03.2016
- Seiten: 185
- ISBN: 978-3-9816083-1-1
- Preis: 3,99 €
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